Kapitel 2

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P.o.V. Akaashi (gleiche Szene)

Akaashi wusste, dass es falsch war. Er wusste auch, dass es keine Garantie dafür gab, dass der Mann wiederkam. Eigentlich war das sogar sehr unwahrscheinlich, immerhin regnete es in Strömen. Aber dennoch: Er wollte wieder zu dem Strand und nachsehen. Solange es keine Gewissheit gab, konnte er nicht einfach Zuhause bleiben. Er erreichte die Wasseroberfläche. Eiskalte Tropfen schlugen auf sein Gesicht, als er dem Sandstrand entgegen blickte. Keine Eule. Das war nicht weiter verwunderlich, wenn man Uhrzeit und Wetter bedachte. Doch etwas enttäuscht war Akaashi schon. Es hätte ihn gefreut, den Mann von gestern noch einmal zu sehen. Es war seltsam gewesen; trotz dem Gesetz, dass man keinen Kontakt zu Luftwesen haben durfte, hatte die Neugier ihn an die Oberfläche getrieben um die Eule zu beobachten. Er wollte gerade abtauchen, als er eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes wahrnahm. Der Junge von gestern kam über den Strand gelaufen, im strömenden Regen und nur mit einer dunkelblauen Badehose bekleidet. Er wollte doch nicht etwa...? Doch wie es aussah, war genau das sein Plan. Er lief unaufhaltsam den Wellen entgegen, ohne den Blick vom Meer abzuwenden. Der vom Luftvolk erreichte die Wassergrenze. Eine Welle spülte über den Sorglosen. Wollte er sich umbringen? Entgeistert sah Akaashi zu, wie der Andere in den Wassermassen umherschwamm. Was zur Hölle dachte sich dieser Dummkopf dabei? Da konnte er doch nicht mehr stehen... und die Wellen wurden auch immer größer. Endlich schien er sich dazu entschlossen zu haben den Rückweg anzutreten. Der Mann drehte sich um. Eine Welle traf ihn am Hinterkopf. Akaashi hielt die Luft an. Der schwarz-weiß Haarige tauchte auf, der Meermann konnte ihn husten hören. Sofort kam die nächste Welle und drückte den Jungen nach unten. Komm schon, sauf jetzt bloß nicht ab! Akaashi bekam langsam Panik. Da! Der Kopf tauchte auf, ging aber direkt wieder unter. Bitte, bitte, stirb jetzt nicht! Doch dieses Mal blieb er verschwunden. Verdammt! Verrat, Volksverleumdung, Regelbruch, schoss ihm durch den Kopf, als er untertauchte und mit einigen schnellen Schlägen seiner Schwanzflosse zu dem Ort schwamm, an dem er den Gestaltwandler zuletzt gesehen hatte. Suchend blickte er in dem aufgewühlten Wasser umher. Da! Der Mann trieb schlaff im Meer, vermutlich war er Ohnmächtig. Schnell legte Akaashi seine Arme um die Brust des Anderen. Er war schwerer als erwartet und der Meermann musste heftig paddeln, um an die Oberfläche zu kommen. Das dauerte viel zu lange! Er durchbrach die Wellen. Sofort drehte er sich auf den Rücken, so zeigte das Gesicht des Ertrinkenden nach oben. Akaashi brauchte lange bis zum Strand, der Mann war schwer und die Flosse behinderte ihn im flachen Wasser. Als er so nah am Ufer war, dass er immer wieder an den Grund stieß, verwandelte er sich in einen Menschen. Er tat das nicht oft, da er es nicht gewohnt war und ihm das Laufen schwer fiel. Aber in einer Notsituation wie dieser, überwand er seine Abneigung gegen Beine. Er hängte sich das Luftwesen über die Schulter und schleifte ihn mühsam durch das Wasser. Das letzte Mal hatte er sich vor einigen Jahren verwandelt und so waren seine Beine schwach. Oft stolperte er, gab sich aber Mühe den Mann, der ihm das Gehen auch nicht gerade erleichterte, nicht fallen zu lassen. Immer wieder schlugen die Wellen ihm von hinten in die Kniekehlen, er musste sich anstrengen um nicht einzuknicken. Wankend erreichte er schließlich den Strand, der Eulenmann rutschte von seiner Schulter und fiel in den Sand. Auch Akaashi brach zusammen, seine Beine brannten wie Feuer. Doch er hatte dafür jetzt keine Zeit, der Andere brauchte seine Hilfe. Vorsichtig beugte er sich über den Jungen. "Hey." Keine Reaktion. "Junge!" Immer noch keine Regung. Besorgt beugte Akaashi seinen Kopf über das zugegebenermaßen hübsche Gesicht des Mannes. Er konnte ihn schwach atmen hören. Der Meermann wusste, dass der Junge Wasser geschluckt hatte, aber solange er es nicht von selbst aushustete, konnte er nichts tun. Der Kerl musste aufwachen! Gut. Er tat das zwar nicht gerne, wusste aber auch nicht, was er sonst tun sollte. Akaashi hob die Hand und ohrfeigte den Ohnmächtigen. Dieser blieb wie er war. Bedauernd holte er ein zweites Mal aus. Blinzelnd öffnete der Junge die Augen. Erleichtert ließ der vom  Meeresvolk den Arm sinken. Der schwarz-weiß Haarige sah ihn verwirrt aus großen, gelben Eulenaugen an. "Bist du ein Junge?", fragte er. Kurz überlegte Akaashi, ob er dem Mann nicht doch noch eine scheuern sollte, doch dann bekam dieser einen heftigen Hustenanfall. Er half dem Gelbäugigen sich aufzusetzen und schlug ihm auf den Rücken, bis er Wasser spuckte. Erschöpft beugte sich der junge Mann vor und legte seinen Kopf auf die angewinkelten Knie. "Du bist ein Idiot.", seufzte Akaashi. Der Andere blickte auf. "Was?"
"Na, du bist zwar ein guter Schwimmer, aber schlicht und ergreifend dumm. Wer geht denn bitte bei so einem Wellengang schwimmen?"
Der Mann mit den zwei Haarfarben sah ihn einen Moment an, dann begann er leise zu lachen. Es war ein schönes Lachen, fand der Meermann. "Stimmt, ich bin ein Idiot. Hast du mich gerettet?"
"Wer sollte es sonst gewesen sein?"
Der Mann lächelte ihn offen an. "Danke."
Plötzlich wurde das Grinsen breiter. "Wie Arielle."
Akaashi warf dem Kerl einen ungläubigen Blick zu. "Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?"
Er zuckte mit den Schultern. Sie saßen noch eine Weile schweigend da und sahen auf den Boden, während der Regen langsam verebbte. Dann fragte der Schwarzhaarige: "Wie heißt du eigentlich?"
"Bokuto. Und du?"
"Akaashi."
Bokuto. Der Name passte irgendwie.
"Akaashi."
"Ja?"
Bokuto sah auf, er wirkte etwas verlegen.  "Ach nichts, ich wollte nur mal deinen Namen sagen." Akaashi spürte wie er errötete. Dieser Junge brachte ihn aus der Fassung! Schnell sah er weg. "Warum hast du nichts an?" Stimmt ja. Das hatte er fast vergessen. "Weil ich mich verwandelt habe. Wenn du deine Gestalt änderst, ist das bei dir doch auch so." Bokuto lehnte sich interessiert vor.
"Zu welchem Volk gehörst du?"
"Wasser."
"Oh. Ich habe noch nie einen Meermann getroffen. Ich bin übrigens..."
"Luft.", unterbrach ihn Akaashi. "Ich weiß."
"Woher?"
Die Eule kniff die Augen zusammen. Das wurde dann doch etwas unangenehm. "Ich habe dich gestern gesehen.", sagte Akaashi ausweichend. Der Andere grinste. "Verstehe." Er ließ es darauf beruhen. Zum Glück. "Also... wie ist es so als Eule? Wenn ich ehrlich bin interessiere ich mich schon seit Längerem für dein Volk. Könntest du mir ein bisschen was über euch erzählen?" Bokuto lächelte. "Sicher. Was möchtest du denn wissen?" Akaashi spürte die Aufregung, als er antwortete: "Wie wohnt ihr? Was esst ihr? Was tut ihr in eurer Freizeit?" Der Eulenmann lachte ein unwiderstehliches Lachen. "Wir wohnen tatsächlich zumeist in Wäldern. Viele von uns haben einfach Nester, andere Baumhäuser. Wir essen die Nahrung der Menschen. Brot, Kartoffeln, Fleisch, sowas eben. In unserer Freizeit machen wir... normale Sachen, denke ich. Fliegen, Schwimmen, Sport, manchmal gehen wir feiern. Was ist mit dir?"
"Was meinst du?"
"Na, was hast du für Hobbys? Was machen Meermänner in deinem Alter so, wenn sie nichts zu tun haben?"
"Hm. Grob das Gleiche, denke ich. Nur fliegen tun wir nicht."
Bokuto lachte wieder sein wunderschönes Lachen, wurde aber von einem Hustenreiz unterbrochen. "Alles in Ordnung?", fragte Akaashi besorgt und hätte sich gleich darauf für diese Frage ohrfeigen können. Natürlich war mit ihm alles in Ordnung, ganz abgesehen davon, dass er eben fast ertrunken wäre. Wie blöd von ihm! Aber der Andere schien nichts gemerkt zu haben und antwortete nur: "Sicher, ich sollte nur etwas trinken. Ich habe da vorne eine Flasche Wasser liegen, ich gehe nur schnell und hole sie." Der Junge stand auf und lief über den Sand davon. Der Meermann hätte ihn gerne begleitet, doch seine Beine wollten ihn noch nicht tragen. Einen winzigen Moment hatte er Sorge, Bokuto würde nicht mehr wiederkommen, aber das war unbegründet, der Mann kehrte schnell mit der Flasche zu dem brav wartenden Akaashi zurück. Schweigend sah er zu wie die Eule trank. Etwas Wasser lief ihm aus dem Mundwinkel. Der vom Meeresvolk sah dabei zu, wie es über seinen Körper rann. Über das Kinn, den Hals entlang, an der muskulösen Brust hinab bis zum Bund der Hose. "Wo schaust du denn hin?" Bokutos Stimme klang leiser als davor. Wieder errötete Akaashi, als ihm aufging, wo sein Blick hängen geblieben war. Schnell drehte er den Kopf weg. Der Andere lachte leise und neckend hinter ihm. Der Meermann ließ sich rücklinks in den Sand fallen und blickte in den Himmel. Aus Gewohnheit sah er nach dem Sonnenstand, konnte aber unter der Wolkendecke den Feuerball nicht richtig ausmachen. Moment mal! Er fuhr hoch und blieb leicht wankend stehen. "Ich muss los! Tut mir leid Bokuto, aber ich war schon viel zu lange hier. Man sieht sich." Akaashi wankte so schnell wie er konnte zum Meer. Diese verfluchten Beine! Plötzlich stolperte er über eine Unebenheit im Boden. Einen Moment lang strauchelte er, dann hielt eine große Hand die seine fest. Keinen Augenblick später lag er in Bokutos Armen, der ihn von hinten umarmt hatte. "Vorsicht!" Der Körper des Mannes war warm und am liebsten wäre Akaashi für immer in dieser Position verblieben, doch das ging nicht. "Bokuto! Ich kann alleine gehen..." Der Größere lachte an seinem Ohr, der heiße Atem streifte ihn. "Ja, das sehe ich. Gut festhalten, Arielle." Ohne Vorwarnung hob der vom Luftvolk ihn im Brautstyle hoch und trug ihn in die Wellen. "Bokuto, du saufst wieder ab!", versuchte das Meerwesen den Anderen aufzuhalten, aber der lachte nur und lief tiefer ins Wasser. "So, ich denke, hier ist es tief genug. Bitteschön." Er ließ Akaashi vorsichtig herunter. "Du bist ein Idiot!"
"Das sagtest du schon."
Der Meermann seufzte. Langsam verwandelte er sich. Sein Hals schwoll an, die Kiemen bildeten sich, seine Beine wurden wieder zu der silberfarben Flosse. Bokuto starrte einen Moment auf den Fischmann vor ihm. "Akaashi, ich..."
"Ich muss wirklich los!"
Der Meermann drehte sich um und machte Anstalten abzutauchen. Eine Hand, die plötzlich an seinem Handgelenk lag, hielt ihn auf. "Wann sehe ich dich wieder?" Keine Zeit mehr, er war sowieso schon spät dran. "Morgen." Der Meermann streifte sanft die Hand ab und tauchte unter. Morgen. Was hatte er sich nur dabei gedacht, als er das gesagt hatte?

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