Er schloss die Augen und atmete tief durch. Die Stimmen, die unaufhörlich flüsterten, überwarfen sich. Verdammt, er war zu viel in die Nähe von anderen gewesen. Ein frustrierter Laut kam über seine Lippen und er hätte am liebsten seinen Schädel gegen die Wand geschlagen.
Es gab nur einen Weg, sie wieder zum Stillschweigen zu bringen. Er atmete tief durch. Hätte Nix diese Entdeckung nicht schon vor über zweihundert Jahren gemacht, wäre er wahrscheinlich schon längst im Jenseits. Er atmete tief ein und ließ die Melodie durch seinen Kopf surren, dann setzte er ein.
Seine Stimme erklang klar und hell. Der Raum begann zu schwingen und die Stimmen verstummten langsam. Mit jeder Note gewann er ein Stück Frieden zurück. Egal, was man auch über die Menschen sagen mochte, sie brachten mit ihren Liedern ihre eigene Hilflosigkeit und Qual perfekt zum Ausdruck. Es war, als wüsste der Sänger von Three Days Grace genau, wie er sich gerade fühlte.
Die Emotionen wallten auf und er legte alles in das Lied, das über seine Lippen wanderte. Seine Stimme erfüllte den Raum und für einen Moment vergaß er alle Schmerzen, all das Leid, das er nun schon so lange ertrug.
Während er sang, schlich sich ein Gedanke in seinen Kopf. Irgendwann werde ich über den Abgrund schreiten und das Ende wird mich begrüßen. Er wusste, dass er dem Abgrund gefährlich nahe war. Die Nix vor ihm hatten nicht so lange durchgehalten, doch auch er kam langsam an seine Grenzen.
„Lost inside my head, I open up the door..."
Es waren nicht die Stimmen des Schicksals von Personen, die ihn so sehr in den Wahnsinn trieben, es war die fehlende Nähe – körperliche Nähe. Wenn er sich anderen näherte, hörte er unaufhörlich die Stimmen ihres Schicksals. Diese flüsterten, was diesen passieren wird.
„Too much devastation in my world I hide..."
Alle diese Fäden liefen in einer Hand zusammen, dem Oberboss, der über das Schicksal aller bestimmte. Und dessen Sprachrohr war Nix – zu seinem eigenen Leidwesen. Er hatte sich das nicht ausgesucht, nein, das würde sich niemand aussuchen. Es wurde ihm aufgezwungen. Aber niemand konnte sich gegen das Schicksal wehren, niemand.
„Step right off the ledge into the abyss..."
Würde er heute dem Abgrund entgegenkommen? Nix war müde. Doch etwas hielt ihn noch. Es war nicht der Gedanke, länger auszuhalten, eine große Aufgabe zu erfüllen. Nein, es war ein ehrenloser Gedanke – ich zeige dir, Schicksal, so richtig den Mittelfinger. Denn er würde das tun, was alle anderen vor ihm nicht vermocht haben. Er würde sich mit einem Anderen verbinden.
Vielleicht würde ihm das endlich die Ruhe verschaffen, die er brauchte. Dafür würde er einen Weg beschreiten, den niemand von ihm erwartet hatte. Er würde das Schicksal selbst ändern – wie gesagt, Mittelfinger.
Mit der letzten Silbe des Liedes verstummten die Stimmen endgültig und Ruhe kehrte in den Raum ein, zumindest für eine kurze Zeit. Sein Kopf fiel zur Seite und er schlief einfach ein, in einer völlig gekrümmten Haltung auf seinem ach so tollen Thron, den er am liebsten abbrennen würde. Er glitt in einen unruhigen Traum und reiste in seine Vergangenheit.
Dayan der Wachhund stand vor der Tür zum Thronsaal. Dort stand er schon seit einer Stunde, hatte sich jedoch keinen Millimeter bewegt, wie denn auch? Nix' Stimme hatte ihn gefesselt, ihn zu seinem Sklaven gemacht. Wie eine Fessel hatte sie sich um dessen Gliedmaßen geschlungen und ihm jegliche Kontrolle über seinen Körper genommen.
Das war schon immer so gewesen und würde sich auch nie ändern. Mit einem Lächeln dachte er an sein erstes Treffen mit Nix zurück. Wer hätte damals ahnen können, was für grausame Pläne das Schicksal mit seinem besten Freund haben würde.
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Nix - ein schicksalhafter Kuss (BAND 3) ✅
Fantasy„Was hattest du vor?", fragte er mit kaltem Blick. Nix schaute ihn nur verwirrt an. Hatte er etwas falsch gemacht? Sein Herz raste. Das war knapp gewesen. Er könnte sich für seine Dummheit schlagen. Diesen Fehler würde er nicht noch einmal machen...