Kapitel 30

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Als die beiden in Nix' Zuhause ankamen, gingen beide erst einmal auf die Knie und atmeten tief durch.

„Hölle, Orakel, wegen dir bin ich gerade tausende Jahre gealtert! Was denkst du dir dabei, dich mit einem Höllenfürsten anzulegen? Du kannst doch nicht einfach Sereph auf gut Glück erpressen", sagte Lyric aufgebracht.

Nix antwortete ihm mit einem Lachen, das immer lauter wurde. „Ach komm schon. Das war doch aufregend. Er war wirklich die härteste Nuss, die ich je geknackt habe. Aber wir waren doch erfolgreich", sagte er, als sei es hier um ein Kaffeekränzchen und nicht um einen beinahe schmerzhaften Tod ihrerseits gegangen.

Lyric konnte es immer noch nicht fassen. Er ist wahnsinnig, eine andere Erklärung gibt es nicht. Er stand auf und legte sich die Hand auf die Augen und seufzte. Was mache ihn nur mit meinem kleinen Wahnsinnigen? Bevor Lyric seine Gedanken jedoch vertiefen konnte, umarmte ihn Nix und kuschelte sich an seine Brust.

„Wie wäre es jetzt mit etwas, das.... mehr entspannend ist", sagte er und leckte sich einladend über die Lippen.

„Ich fürchte, dafür habt ihr keine Zeit", unterbrach eine Stimme Nix' Avancen.

Er drehte das Gesicht und grummelte: „Was denn, Dayan?"

Dayan schaute mitleidig zu Lyric. Er kannte Nix nun Jahrhunderte und wusste um sein unberechenbares Gemüt. Doch in Lyrics Beisein schien dieser Zug gerade richtig aufzublühen.

„Ich habe einen Hinweis auf den sechsten Gegenstand", sagte er und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.

Sie setzten sich – wie so oft – in das kleine Besprechungszimmer. Doch die Szene unterschied sich grundlegend von all den vorherigen, denn nun saß ihm kein nachdenkliches Orakel, sondern glückliches Orakel gegenüber. Nix kuschelte sich an den Runendämon, der seine Arme um ihn legte, wie Dayan es auch oft mit seiner Gefährtin tat. In diesem Moment bekräftigte sich seine Vermutung, dass Lyric Nix' Herz war, noch weiter.

Er räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der beiden zu bekommen. Er legte ein Pergament mit einer sehr krakeligen Handschrift auf den Tisch. „Einer meiner Informanten hat etwas gefunden. Es ist eine Erzählung über einen versteckten Tempel in Behemoths Gebiet, der von einem Wächter beschützt werden soll. Sie bewachen den Kamm des Phoenix, der die Haare der Toten kämmen soll. Es könnte sich also um den gesuchten Gegenstand handeln."

Nix las sich das Geschriebene aufmerksam durch. Nachdenklich schaute er zu Lyric und sagte: „Es könnte sich tatsächlich darum handeln, doch wird nicht viel über dessen Wächter oder auch dessen genauen Standort erwähnt."

Lyric schaute es sich genau an. „Das hört sich an wie eine Legende, die uns als Kinder erzählt worden ist", sagte der Runendämon.

Beide schauten ihn erwartungsvoll an. Lyric holte etwas aus: „Es ist mehr ein Kindermärchen, das man erzählt, um Kinder davon abzuhalten, an unbekannten Orten zu spielen. Es geht wie folgt:

Es war einmal ein kleiner Junge, der voller Abenteuerlust und Mut steckte. Er kletterte in jeden versteckten Winkel, jede dunkle Höhle und scheute auch nicht die Höh'. So wanderte er auf der Suche nach einem Abenteuer durch den Wald, den er schon oft erkundet hatte, und hielt vor der Brücke. Diese Brücke zu überqueren, ward ihm strengstens verboten, denn die Toten ruhten auf der and'ren Seite. Doch die Neugier ihn quälend vorantrieb und ließ ihn brechen diese Regel. Stein für Stein wanderte er über den Fluss, der die Lebenden von den Toten trennte. Kaum hatte er die Brücke überquert, hörte ein seltsames Geräusch. Diesem folgend ging er unbeirrt ins Dunkel des Waldes und verschwand. Ringsherum nur Bäume und Zweige, bis er sich völlig darin verlor. Er irrt' umher, der Rückweg verschwunden, bis ein Gemäuer ihn begrüßte. Ein Wächter stand vor diesem Tempel, der König der Vögel, zum Schutze des Schatzes – den Kamm, der die Haare der Toten kämmte, sodass sie ihren Frieden fanden. Der Wächter fragte ihn, was er an diesem Ort zu suchen hatte und der Junge blieb stumm, zu ängstlich auch nur ein Wort zu sagen. Der Wächter hatte Mitleid und ließ Gnade mit der unschuldigen Seele walten, die einfach nur der Neugier erlegen war. „Geh mein Kleiner und sei bedacht, das nächste Mal wirst du diesen Ort nicht mehr verlassen können." Mit einem Flügelschlag entfachte der Dämon einen Orkan, der den Jungen erfasste und ehe er sich versah, befand er sich wieder auf der Brücke. Nimmer ward er wiedergekehrt, nimmer hatte er die Brücke übertreten und die Toten gestört."

Nix - ein schicksalhafter Kuss (BAND 3) ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt