Kapitel 4

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Lyric saß nun schon seit zwei Stunden auf dem Sofa und hatte den Blick nicht eine Sekunde von dem Zettel auf dem Boden gelöst.

Fliege hoch mein kleiner Vogel,
Fliege hoch, so weit es geht,
Doch gibt acht mein kleiner Vogel,
Sinke, wenn der Wind sich dreht.

Komm zu mir mein Vögelchen.

N.

Die Buchstaben waren anmutig geschwungen. Der Verfasser hatte eine wunderschöne Handschrift. Und so wunderschön wie seine Handschrift ist auch sein Äußeres. Hölle nochmal, was soll ich tun? Es stand außer Frage, wer ihm diese Nachricht geschickt hatte, denn niemand anderes als er würde eine solch kryptische Nachricht schicken, ohne auf eine Antwort zu warten. Es kam nur eine Person in Frage – Nix.

Auf der Rückseite des Zettels war ein kleiner magischer Zirkel – das Portal. Wenn er diesen aktivierte, würde er direkt zu seinem Gastgeber gelangen. Doch was soll ich dort? Es war nicht die Einladung, die ihn geschockt hatte, es waren die Zeilen. Erinnerung an seine Vergangenheit waren an die Oberfläche gekommen, Erinnerungen, die er hatte vergessen wollen.

Wenn Nix etwas vorhat, dann ist es meistens nichts Gutes. Andererseits konnte man die Einladung des mächtigsten Orakels der Hölle auch nicht ablehnen. Lyric seufzte. Das Unbehagen, das sich in seinem Körper breit gemacht hatte, bereitete ihm Bauchschmerzen.

„Gut, es bringt nichts."

Er erhob sich und las den Zettel auf, dann ging er in sein Schlafgemach, um sich vorzubereiten. Der Raum war quadratisch geschnitten mit einem großen Himmelbett, dessen Bettpfosten aus dunklem Holz mit der Form von emporwachsendem Efeu bestanden. Das Bassin sah aus wie ein großes Blättermeer, sodass er das Gefühl hatte, auf dem Waldboden zu schlafen. Warme beige Bettwäsche aus Satin und dazwischen ein paar grasgrüne Kissen rundeten das Ganze ab.

Dem gegenüber war ein Schminktischchen aus Mahagoni in demselben Design wie das Bett mit einem passenden Höckerchen – alles Handarbeit, verstand sich. Der Tisch erfüllte seinen Zweck, nur ohne das Schminkzeug. Er hatte in den vielen Schubladen zahlreiche Schmuckstücke verstaut – Ringe, Ohrringe, Armbänder, Ketten, Haarklammern und weiteren Schnickschnack. Doch nur eine kleine Auswahl seiner Lieblingsstücke.

Die Wände waren mit einer Szene aus dem Wald bemalt – zahlreiche Bäume und Sträucher. Es war die Szene, in der er sich am wohlsten fühlte. Ein etwa zwei Meter hoher Spiegel mit Holzrahmen zierte die Wand neben der Tür. In diesen warf er immer einen letzten Blick, bevor er das Zimmer verließ. So hatte er des Öfteren wieder kehrtgemacht, weil ihn das ein oder andere doch nicht gefallen hatte.

Er öffnete die Tür zu seinem begehbaren Schrank und der feuchte Traum alle Modeliebhaber erstreckte sich vor ihm. Einen Gang entlang fand man alles, was das Herz begehrte, sortiert nach Art und Farbe.

Lyric ging zunächst zu den Oberteilen und wählte ein schlichtes hellblaues Hemd. Dazu kombinierte er eine dunkelgraue Weste mit einem Rosenmuster und die passende Hose und wählte er schwarze Schuhe. Das Hemd krempelte er sich hoch und die obersten zwei Knöpfe des Hemdes blieben offen. Zum Vorschein kamen Runen, die seinen gesamten Oberkörper bedeckten.

Nun die Accessoires. Er entschied sich für seine Lieblingsstücke. Zwei Ohrringe in Form einer Rose und am linken Ohr eine kleine Silberkette, die von einem Klipp an der Spitze seines Ohres bis zum Rosenohrring an seinem Ohrläppchen reichte. Er hatte im Gegensatz zu vielen Dämonenrassen spitze Ohren, was ihn oftmals filigraner erschienen ließ als andere.

Dann kämmte er seine Haare, sodass sein Stufenschnitt, der hinten kurz und nach vorne hin schräg kinnlang wurde, sein Gesicht perfekt umrahmte. Seine Wimpern hatten dieselbe silberne Farbe wie seine Haare, was seinen Augen zu seinem Leidwesen nicht gut tat, denn diese hatten eine obsidianfarbene, glänzende Iris mit einem silbernen Ring und stachen somit stark hervor.

Nix - ein schicksalhafter Kuss (BAND 3) ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt