Kapitel 8

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Die Nacht war kurz. Nix hatte nicht viel geschlafen, doch das war er gewohnt. Die Stimmen waren jedoch nicht so laut, wie sie sonst waren. Wenn er in Lyrics Nähe war, begannen diese dumpfer zu klingen. Er war einen Teil der Zeit einfach neben Lyric gesessen, der geschlafen hatte, hatte seine wunderschönen Züge betrachtet und sich ausgemalt, mit den Fingern darüber zu streichen. Doch er durfte es nicht.

Als Lyric erwachte, sah er Nix am Fenster sitzen und auf die wuselnden Leute in den Straßen blicken. Es war noch relativ früh und Lyric hätte noch das ein oder andere Stündchen Schlaf gebrauchen können, doch Nix' Silhouette zog ihn in seinen Bann. Er saß dort, still. Was wohl in seinem Kopf vorgeht?

Lyric räusperte sich, um Nix' Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dieser drehte sich langsam zu ihm um, doch bevor er etwas sagen konnte, spannte sich sein Körper an. Ein helles Weiß überzog seine Augen. Was zum...?

Zarte Fingerspitzen wanderten von seinem Solarplexus, an dem sich seine Orakelmarkierung befand, nach unten zu seinem Bauchnabel. Er bekam eine Gänsehaut. Es war ein völlig unbekanntes Gefühl, doch es sorgte dafür, dass seine Haut prickelte. Dann wanderten diese Finger die Seite hoch, umkreisten seine Brustspitze, berührte diese jedoch nicht. Sie endeten an seinem Schlüsselbein.
„Mein kleiner Schmetterling, Zeit, deine Flügel zum Flattern zu bringen."

So schlagartig wie die Vision gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Nix keuchte und musste sich an dem Stuhl festklammern, um nicht hinunterzufallen. Er hatte sich selbst gesehen. Zum ersten Mal in seinem Leben, hatte er eine Vision von sich gesehen.

Er wusste nicht, wer der Besitzer diese Finger gewesen war. Auch die Stimme war verzerrt gewesen, sodass er diese niemandem zuordnen konnte. Nicht zu fassen. Doch was er gesehen hatte, war mehr als eindeutig. Er ist berührt worden und er hatte es genossen, er hatte nicht gelitten.

Ein breites Grinsen breitete sich über Nix' Gesicht aus. Lyric war verwirrt. Was war das gewesen? Das hatte er schon einmal gesehen.

Plötzlich wurden Nix' Augen weiß. Sekunden vergingen. Dann kehrte er wieder zurück.

Hatte er gerade etwa eine Vision gehabt? Wovon hat sie gehandelt? Wie oft hatte er diese? All diese Fragen geisterten durch Lyrics Kopf und keine davon sprach er aus. Schaute nur gebannt das Orakel an, das aufstand und zu ihm lief.

„Auf geht's, Schlafmütze. Wir gehen zum Auktionshaus und informieren uns über die Versteigerung." Nix' Wesen war wirklich sprunghaft. Er war das lebendigste Wesen, dass ihm je begegnet war. In einem Moment war er ruhig und in die Umgebung vertieft, im nächsten sprang er grinsend durchs Zimmer, im anderen beleidigte er einen Höllenfürsten mit vulgären und sarkastischen Aussagen.

Für so ein Naturell gab es in seiner Kultur einen eigenen Ausdruck - kəpək. Er war noch keinem Wesen begegnet, zu dem dieser Ausdruck besser gepasst hätte als Nix. Er stand auf und begann seine Kleidung anzuziehen und sie mit Magie etwas zu glätten – ein klarer Vorteil ein Dämon zu sein, Bügeleisen waren unnötig.

Gemeinsam verließen sie das Zimmer und machten sich auf den Weg zum Auktionshaus. Dessen pompöses goldenes Tor war nun geöffnet und ein roter Seidenteppich führte die Gäste zu einem Tresen, an dem ein vornehm gekleideter Schafdämon saß und einige Dokumente durchging. Die Wände bestanden aus schwarzem Gestein, sehr edel, und waren mit goldenen Zirkeln verziert.

Diese hatten nicht nur eine dekorative Funktion, sie waren auch Schutzzauber, die verhinderten, dass sich Gäste gegenseitig angriffen. Wer diese Regeln brach, wurde wortwörtlich aus dem Gebäude geworfen. Die beiden hatten ihre Umhänge an, was an diesem Ort nicht verwerflich war. Es gab genügend Käufer, die gerne inkognito blieben, und das wurde toleriert. Hier wurde in bar bezahlt, wer die Käufer waren, war hierbei nicht von Belang.

Nix - ein schicksalhafter Kuss (BAND 3) ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt