Chapter 37: Namjoons Hinrichtung

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Osiris, der Herr des Abendlandes, begab sich seufzend in das Totengericht und klagte: „Wieso ruft ihr mich zu euch? Ich habe gerade alle Hände voll zu tun aufgrund einer wichtigen, verschwundenen Schriftrolle und ich- oh ... sind das etwa die Menschen?"

Seine Augen musterten die zerlumpten Fünf abschätzig, bevor er tief seufzte: „Ich wünschte, ich wäre nicht hier. Wirklich, warum sind schon wieder Menschen in den Hallen der vollkommenen Wahrheit angekommen? Was können diese lausigen Dämonen eigentlich, wenn hier jeder so einfach hinein spazieren kann? Es ist mir ein Rätsel. Wollte ich nicht mal eine Barriere errichten?"

Er kratzte sich. Natürlich hatte er dies völlig vergessen. Es war nun einmal ziemlich unwahrscheinlich, dass Menschen es bis hierher schafften. Er wollte seine Energie ungern unnötig verschwenden, aber nun bedienten sie sich seiner ebenso wertvollen Zeit. Wahre Plagegeister. Tot hatte er sie doch am liebsten.

Osiris gestikulierte nachdenklich, was er diesbezüglich nun unternehmen sollte. Auf den ersten Blick wirkte er etwas verstreut und gar nicht resolut, wie die anderen Nebengottheiten. Seine Haut war komplett grün, was Fruchtbarkeit und Agrarkultur verkörpern sollte. Er trat nicht als Mischwesen auf, was ihn soviel menschlicher wirken ließ. Die Augen der Freunde lagen total gebannt auf dem grünen Gott.

Sie alle fanden es schräg Osiris zu sehen. Immerhin war er der Gott des unteren Duats. Er leitete diesen höllischen Ort, aber wirkte dennoch so harmlos. Er war es also, von dem ihnen ständig in den Vorlesungen erzählt wurde. Er war mehr als legendär. Und nun standen sie wahrlich vor ihm. Hautnah.

Dennoch konnten sie ihn alle nicht einschätzen. Und gerade dies machte es so Furcht erregend. Das Wissen, dass man sich nun ins Ungewisse hinein begab. Eine Situation auf die selbst Namjoon ihnen nun keine genaue Antwort mehr vorgeben konnte.

Zuvor hatten sie alle sich noch sicher in seine Erklärungen und sein Wissen gehüllt. Seine Antworten hatten wie ein Federkissen gewirkt, welches sie auffing. Dieses Kissen wurden ihnen nun unter den Köpfen weg gerissen. Nun merkten sie erst, wie sehr ihnen Namjoons Wissen immer geholfen hatte. Keiner wusste was nun kam. Und darauf hätten sie sich auch niemals vernünftig vorbereiten können.

Die Richtgottheiten verneigten sich respektvoll vor dem Herrscher der Unterwelt. Nehebkau begann: „Usir, diese Menschen-" Osiris hob seine schlaksige Hand und wies ihn an zu schweigen. Nehebkau verstummte und verbeugte sich wieder tief. Schweigsam nickend trat Osiris auf die Menschen zu. Jeder seiner zielbewussten Schritte hallte laut durch die Hallen des Totengerichts. Sein Blick durch drang die Freunde starr.

Sanura konnte spüren, wieviel Macht dieser Gott besaß. Er hatte keinen großen Auftritt hingelegt, ja wirkte sogar etwas verstreut und nun waren alle in diesem Raum auf jeden einzelnen seiner Schritte bedacht. Er hielt die Stränge ihres Schicksals in seiner grünen Hand.

Das galt für die Gegenwart und die Zukunft. Irgendwann würde sie wieder hier stehen. Sie schüttelte den beunruhigenden Gedanken daran ab. Ihr wurde mulmig zumute. Aber vielmehr lagen ihre Sorgen nun bei Namjoon. Was hatte er zuvor damit gemeint? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn? Wollte er etwa gerichtet werden? Er war doch gar nicht tot! Sanuras Kopf raste.

Es war, als würde keiner der Freunde es wagen zu atmen. Ja, sogar Kala war von Osiris Präsenz eingeschüchtert. Sie wusste, wann es besser war nicht aufzufallen. Auch Namjoon unterband das Sprechen, aber er hob langsam seinen Blick vom Boden und wagte es in Osiris Augen zu sehen. Ein Schlag durchfuhr ihn. Er bekam Gänsehaut. Er konnte dem Gott nicht in die Augen sehen. Es war absolut seltsam. Sofort wandte er seinen Blick wieder ab.

Osiris verkniff sich ein Lächeln. Für lebendige Menschen war es schwer Augenkontakt mit ihm zu halten. Immerhin waren sie aus zwei völlig verschiedenen Welten. Den Lebenden war es nicht bestimmt dem Totengott in die Augen zu sehen. Es widersprach der Natur. Es war belustigend. Osiris konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, aber es schien äußerst unangenehm zu sein, in seine Augen zu gucken. Und so konnte er sein Gegenüber am besten mustern, ohne direkt in die Seele desjenigen zu sehen.

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