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Jazmyns Sicht:

Zum ersten Mal seit Jahren stand ich morgens auf und fühlte mich... frei.

Die ganze Last, die ich seit Ewigkeiten mit mir trug, war plötzlich nicht mehr da. Und erst jetzt, wo sie nicht mehr auf meinen Schultern lag, realisierte ich erst, wie anstrengend es doch war. Ich hatte mich so an dieses Gefühl gewöhnt, dass ich dachte es wäre normal.

Aber mein Zusammenbruch am Tag zuvor war meine Rettung gewesen. Ich wusste nicht, wie lange ich es sonst noch ausgehalten hätte. Mich meiner Mum zu öffnen, tat so unglaublich gut. Ich hatte endlich realisiert, dass ich mit solchen Dingen nicht allein fertig werden musste und konnte. Dass ich alles immer in mich hineingefressen hatte, machte es nur noch schlimmer.

Ich war Sydney dankbar, dass sie mich die ganzen Jahre über so sehr unterstützt hatte. Ich war Harry dankbar, dass er mir dabei geholfen hatte, meiner Mum alles zu erzählen. Und ich war meiner Mum dankbar, dass sie mir mit Verständnis zugehört hatte.

Harry blieb noch den restlichen Tag bei mir und tat alles dafür, dass es mir besser ging. Er machte sich enorme Sorgen um mich und es tat mir leid, dass er das mit ansehen musste. Gegen Abend schickte ich ihn dann allerdings wieder nach Hause, bevor Jayden wieder nach Hause kam. Noch mehr Drama hätte ich echt nicht gebrauchen können.

Und nun saß ich mit meiner Mum im Auto und erlebte die schrecklichste Fahrt meines Lebens. Sie führte schon seit knapp zehn Minuten ein Aufklärungsgespräch mit mir, bei dem ausschließlich sie redete und ich mich in Gedanken an einen anderen Ort wünschte. Ich war kurz davor, aus dem fahrenden Auto zu springen.

"Mum, dafür gibt es heutzutage das Internet", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und versank immer weiter in meinem Sitz.

Sie gab mir nicht mal irgendwelche hilfreichen Tipps. Das, was sie mir erzählte, war Biologieunterricht-Wissen, das jeder kannte. Alles darüber hinaus hatte ich von Sydney gelernt oder eben aus dem Internet.

Als wir dann endlich in der Straße von Sydney ankamen, atmete ich erleichtert auf. Mittlerweile erzählte Mum mir von historischen Ereignissen und ich verstand überhaupt nicht mehr den Zusammenhang. Ich konnte gar nicht schnell genug aus diesem Auto verschwinden, deswegen riss ich auch schon die Tür auf, als der Wagen noch rollte.

"Behalte das im Kopf, was ich dir über die Emanzipation der Frau erzählt habe", betonte sie nochmal. "Mach dich niemals von Harry abhängig."

"Ja, danke für das Gespräch. Das hat mir sehr geholfen", log ich und schmiss die Autotür zu.

Kopfschüttelnd lief ich über den Bürgersteig. Die letzten fünfzehn Minuten waren einfach nur... komisch. Ich wollte diese Autofahrt so schnell es ging vergessen.

"Haben wir schon Halloween oder warum siehst du so aus wie eine Tomate?", empfing mich meine beste Freundin, freundlich wie immer, als sie mir die Tür öffnete.

"Sehr witzig", brummte ich.

Wir gingen in ihr Zimmer und machten uns gemeinsam fertig für das Fußballspiel. Ich erzählte Sydney von dem gestrigen Gespräch mit meiner Mum und sie freute sich für mich, dass ich endlich anfing, die Vergangenheit zu begraben. Und als ich ihr dann von der Fahrt erzählte, bekam sie sich vor Lachen nicht mehr ein.

Pünktlich zum Anpfiff kamen wir beim Fußballplatz an. Wir mussten um den halben Platz laufen, bis wir dann endlich unsere Freunde fanden. Diese standen direkt am Feld und feuerten unsere Heimmannschaft an. Direkt fiel mir Harry ins Auge, der lässig mit seinen Händen in den Hosentaschen am Feldrand stand. Von der Seite konnte ich bereits den leichten, dunkelgefärbten Schatten erkennen, der sein Nasenbein zierte. Mein Magen zog sich jedes Mal zusammen, wenn ich die Auswirkungen unserer Geheimnistuerei in seinem Gesicht sah. Während er gespannt das Spiel verfolgte, kaute er auf einem Kaugummi rum, was seinen Kiefer noch markanter aussehen ließ.

unexpected love || h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt