In der Zeit nach Sydneys ereignisreicher Geburtstagsparty kehrte endlich wieder ein normaler Alltag für mich ein. Ich ging gerne zur Schule, traf mich mit meinen Freundinnen, ging am Wochenende mal aus und verbrachte jede freie Minute mit Harry. Jayden und ich hatten wieder eine bessere Bindung aufgebaut. Wir redeten viel miteinander und jeden Freitag holte er mich mit Harry von der Schule ab für ein gemeinsames Mittagessen. Die zwei verbrachten auch endlich wieder mehr Zeit zusammen. Es war zwar nicht mehr so wie früher, aber sie näherten sich langsam wieder an. Harry wollte es nicht zugeben, doch ich merkte genau, wie sehr ihm sein bester Freund gefehlt hatte - er wirkte wieder viel ausgeglichener.
Alles schien auf einmal so normal - so sorglos. Es mag skurril klingen, aber ich lebte zum ersten Mal so richtig mein Leben und hatte Freude daran. Das lag vor allem daran, dass meine Mum sich um einen Therapieplatz für mich gekümmert hatte. Als sie mir das vorsichtig mitteilte, war ich anfangs verunsichert. Ich wusste nicht genau, wie ich damit umgehen sollte, denn ich assoziierte Psychotherapie mit etwas Negativen und Krankheit.
Aber ich war froh, dass ich mich drauf eingelassen hatte, denn bereits nach der ersten Sitzung merkte ich, dass es unglaublich gut tat eine neutrale Person zum Reden zu haben. Die Therapie fing glücklicherweise genau nach dem Vorfall mit Dean an - dadurch konnte ich es viel besser verarbeiten und rutschte nicht in ein tiefes Loch hinein. Ich lernte, dass ich nicht alles mit mir selbst ausmachen muss und dass meine Gefühle wichtig sind. Nun freute ich mich auf unsere wöchentlichen Sitzungen und konnte endlich ordentlich mit der Vergangenheit abschließen.
Nach einer weiteren erfolgreichen Stunde mit meiner Therapeutin lief ich aus dem Gebäude und erkannte sofort Harrys Auto auf der anderen Straßenseite. Er bestand darauf, dass er sich immer die Zeit nahm mich abzuholen.
"Hey", lächelte ich, nachdem ich auf den Beifahrersitz geklettert war und wollte meinem Freund einen Kuss auf die Lippen drücken. Jedoch hielt er mich davon ab, indem er mein Kinn mit seinem Daumen und Zeigefinger umfasste und konzentriert mein Gesicht betrachtete.
"Hat die Therapeutin dich schon wieder zum Weinen gebracht? Das kann doch nicht richtig sein." Seine Besorgnis brachte mich zum Schmunzeln.
"Wir reden dort über viele persönliche und verletzliche Dinge. Aber das Weinen tut mir gut - ich habe das Gefühl, dass ich dadurch endlich die schlechten Erinnerungen und Gefühle aus mir rauslassen kann. Danach fühle ich mich immer viel leichter", erklärte ich ihm.
Harrys grüne Augen huschten zwischen meinen blauen hin und her. Schließlich platzierte er einen langen und sanften Kuss auf meine Stirn. "Ich bin so stolz auf dich, Baby. Du meisterst das super und bist dabei so stark und auch reflektiert."
"Das liegt größtenteils an deiner Unterstützung", gab ich ehrlich zu. "Ohne dich würde ich das nicht schaffen. Danke."
Harrys Hand wanderte an meine Wange und er kam mir so nah, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Seine Lippen waren nur einige Zentimeter von meinen entfernt, während unsere Nasen sich bereits berührten. "Ich liebe dich", hauchte er leise und dann küsste er mich endlich.
Der Kuss fing sanft an, artete dann aber ganz schnell in eine wilde Knutscherei aus. Erst als uns ein vorbeifahrender LKW mit einem Hupen anfeuerte, zuckten wir auseinander und ich realisierte, dass wir uns immer noch am Straßenrand in Harrys Auto befanden.
"Ich würde das sehr gerne fortsetzen, aber ich glaube Jayden wartet schon auf uns", seufzte Harry niedergeschlagen. Er richtete seine Jeans und startete darauf den Motor.
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"Ihr seid fast zwanzig Minuten zu spät." Mit diesen Worten wurden wir von einem brummigen Jayden begrüßt, der bereits im Five Guys auf uns wartete für unser typisches Mittagessen am Freitag. Diesmal war es etwas später als sonst, da ich direkt nach der Schule noch meine Therapiestunde hatte.
"Jazmyn war heute sehr aufgewühlt nach der Stunde - ich musste sie erstmal beruhigen", log Harry. Zumindest stimmte es halbwegs, denn er hatte mich danach tatsächlich mit seinen immer noch leicht geschwollenen Lippen beruhigt. Und dann vorhin nochmal auf dem Parkplatz, weshalb wir auch zu spät waren.
"Habt ihr über... schlimme Dinge gesprochen?", wollte Jayden wissen. Er war immer sehr vorsichtig, wenn er mich etwas zu meiner Therapie fragte - das Thema verunsicherte ihn und er wollte nichts Falsches sagen.
"Ging nur um dich." Ich sprach diesen Satz mit so einer Ernsthaftigkeit aus, dass Jayden leicht der Mund aufklappe und das schlechte Gewissen ihm aufs Gesicht geschrieben stand. Eigentlich wollte ich ihn ärgern, aber dann tat er mir doch leid. Deswegen fügte ich noch hinzu: "Wir reden über vieles. Aber mir geht es gut und ich habe echt Hunger."
Während Harry zum Tresen gegangen war, um unser Essen zu bestellen, unterhielt ich mich mit meinem Bruder.
"Gestern hat Harry einfach den kompletten Verkehr blockiert, weil auf der Straße eine dicke Taube saß, die nicht verschwinden wollte. Die ganzen Autos hinter uns haben wie wild gehupt und dann ist er auch noch ausgestiegen, um das Vieh zu vertreiben", erzählte Jayden.
Ich schaute rüber zu Harry, der gerade an der Ausgabe auf unser Essen wartete. Er lehnte an der Theke, das reichte Bein war über seinem linken überkreuzt und seine Arme hielt er verschränkt. Mit gedankenverlorener Miene schaute er den Mitarbeitern bei der Zubereitung der Speisen zu.
"Was hätte er sonst machen sollen?", verteidigte ich meinen Freund direkt.
"Draufhalten und Vollgas - die wäre schon rechtzeitig weggeflogen."
Die gefühllose Aussage von Jayden ließ mich die Augen verdrehen. "Harry ist nun mal nicht so brutal wie du." Mit meinem Finger drehte ich eine Haarsträhne auf, während ich ungeduldig auf das Essen wartete. "Warum dauert das denn so lange? Der Laden ist fast leer."
Als ich merkte, dass Jayden mir weder eine Antwort noch eine Reaktion entgegenbrachte, schaute ich zu ihm. Er hielt sein Handy in der Hand und starrte mit einem undefinierbaren Ausdruck auf das Display. Seine Knöchel hatten sich weiß gefärbt, weil er das Handy so feste umklammerte. Ich machte mir Sorgen, traute mich aber nicht, ihn zu fragen, ob alles okay ist.
Wir verstanden uns zwar wieder gut, aber noch nicht auf dem Niveau, dass wir über unsere Probleme redeten - oder zumindest redeten wir nicht über seine. Die Trennung von Alexandra war nun schon einige Zeit her, dennoch hatte ich das Gefühl, dass er seitdem nicht mehr der alte Jayden war. Er wirkte zwar nicht unglücklich, aber eben auch nicht wirklich glücklich. Über den Brief verloren wir kein Wort mehr, deswegen wusste ich auch nicht, ob er ihn gelesen hatte. Wie gerne ich ihn darauf ansprechen wollte, aber es fühlte sich einfach nicht richtig an. Ich war nicht die richtige Person dafür.
Als Harry mit unserer Bestellung zurückkam, erwachte Jayden aus seiner Starre. Er steckte sein Handy weg, setzte ein gezwungenes Lächeln auf und dann stürzten wir uns auf das Essen, als wäre nichts gewesen. Er ließ sich nichts anmerken - wir alberten herum und dann hatte ich das Ganze auch schon wieder vergessen.
Aber als wir dann fertig mit dem Essen waren und das Restaurant verließen, verhielt Jayden sich wieder komisch.
"Ich treffe mich noch mit einem Freund aus der Uni - wir müssen für so ein mega wichtiges Projekt einiges recherchieren. Es kann also länger dauern, aber ihr könnt euch ja auch ohne mich ganz gut beschäftigen", lachte er nervös, bevor er auch schon zu seinem Auto verschwand.
Harry schien sich keine Gedanken zu machen, aber mir kamen die Situation und sein Verhalten sehr komisch vor.
"Hat Jayden bei dir mal irgendwas erwähnt bezüglich des Briefes von Alexandra?", wollte ich von Harry wissen, als wir nach Hause fuhren.
"Nein, aber wir reden da auch nicht wirklich drüber. Ich habe einmal versucht ihn auf Alexandra anzusprechen, aber da hat er direkt abgeblockt." Harry schaute fragend zu mir. "Warum?"
"Ach, nur so."
Wahrscheinlich interpretierte ich wieder zu viel in die Sache hinein. Es musste nicht immer alles eine tiefere Bedeutung haben.
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unexpected love || h.s
FanfictionMein Leben verwandelte sich erst in die reinste Katastrophe, als meine Erzfeindin vor mir stand und mein Bruder sie als seine neue Freundin vorstellte. Während ich dann versuchte, sie wieder loszuwerden, trieb mich das Drama in die Arme einer unerwa...