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"Stell dich erstmal auf das Board", forderte Harry und ich tat, was er sagte. "Aber wehe du verstauchst dir wieder deinen Arm."

Ich funkelte ihn böse an, während er laut lachte. Früher hatte mich Jayden nie mit seinem Skateboard fahren lassen, weil er meinte, dass es nur etwas für Jungs war und Mädchen das nicht durften. Also hatte ich es mir damals heimlich genommen und wollte damit eine Runde um den Block fahren, jedoch bin ich nicht einmal aus der Einfahrt gekommen. Denn sofort als ich den ersten Anschwung genommen hatte, flog ich runter und war so unglücklich auf meinen Arm gefallen, dass dieser verstaucht war. Und Harry fand das anscheinend immer noch sehr amüsant.

"Ich war sieben und tollpatschig!", verteidigte ich mich mit erhobenem Zeigefinger.

Allerdings hatte ich mich anscheinend zu viel bewegt, wäre beinahe schon wieder vom Skateboard geflogen und hätte mir vermutlich erneut den Arm verstaucht. Aber diesmal hatte ich Harry bei mir, der mich noch rechtzeitig festhielt.

"Und jetzt bist du achtzehn und immer noch tollpatschig", grinste er frech und sah zu mir runter, da ich halb in seinen Armen lag.

Peinlich berührt stellte ich mich wieder auf und strich räuspernd meine Kleidung zurecht. "Ja, kann schon sein..."

"Aber mach dir nichts draus. Ich bin auch nicht der geschickteste und kann trotzdem Skaten. Wir bekommen das schon hin." Er stupste mich ermutigend an und fing dann an, mich über den Betonboden zu schieben.

Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. "Ich dachte, ich soll selber fahren und mich nicht von dir herumschieben lassen."

"Du musst erstmal ein Gefühl dafür bekommen. Dich mit dem Board vertraut machen."

"Soll ich also erstmal auf ein Date mit dem Ding gehen? Um es richtig kennenzulernen?", machte ich mich über seine Worte lustig.

Harry zuckte mit den Schultern und sah mich ernst an. "Warum nicht?"

"Du spinnst doch", lachte ich kopfschüttelnd, worin er mit einstieg.

"Aber ernsthaft. Das ist alles eine Frage des Gleichgewichts und des Gefühls. Wenn du wackelig bist oder dich zu weit nach vorne oder hinten lehnst, dann fliegst du runter."

Ich stellte meinen Fuß auf dem Boden ab und stoppte somit das Skateboard, sowie auch Harry, da er mich immer noch über den Skateplatz schob. Augenblicklich nahm er seine Hände von mir weg und sah mich fragend an. Er dachte wohl, er hätte etwas falsch gemacht. Aber ich wollte es einfach nur einmal allein versuchen. Immerhin konnte es wohl nicht so schwer sein, auf diesem Ding zu fahren. Die ganzen anderen Leute um uns herum konnten es schließlich auch.

"Genug mit der Hilfe. Ich versuche es jetzt allein", kündigte ich an und nahm tief Luft.

"Jazmyn, nein!", warnte mich Harry.

Ich ignorierte ihn allerdings, stellte meinen rechten Fuß auf dem Skateboard ab und nahm mit dem linken Anschwung. Danach stellte ich diesen auch auf das Board und ich hätte es ehrlich gesagt nicht erwartet, aber ich fuhr tatsächlich. Glücklich lachte ich auf und drehte mich zu Harry um, der mir misstrauisch hinterher sah.

"So schwer ist das ja ga-... Ah!"

Und schon landete ich auf dem Boden. Anscheinend waren die Rollen in einem Loch im Boden hängen geblieben.

"Was für ein Scheiß", fluchte ich leise vor mich hin.

Harry kam auf mich zu gerannt und kniete sich zu mir auf den Boden.

"Alles okay bei dir?", fragte er besorgt und musterte mich von oben bis unten. "Oh, fuck. Dein Knie blutet."

Ich winkelte mein Bein leicht an und sog vor Schmerz die Luft ein. Dort befand sich eine Schürfwunde, die natürlich am Bluten war.

"Ich bin so eine Idiotin", ärgerte ich mich über mich selbst.

"Fehler sind dafür da, um aus ihnen zu lernen."

Harry stand auf und hielt mir seine Hand hin. Ich legte meine kleine Hand in seine große und für einen kurzen Moment erstarrte ich. Da war plötzlich so ein komisches Gefühl in mir, das ich nicht zuordnen konnte. Aber ich schüttelte meinen Kopf über diesen Gedanken und ließ mich von ihm hochziehen. Das war nur Einbildung.

"Danke", murmelte ich und entriss mich seiner Hand so schnell es ging.

Harry nahm sein Skateboard und lief mit mir zum Ausgang von dem Park. Allerdings dauerte es bei mir etwas länger, da ich durch mein schmerzendes Bein etwas humpeln musste.

"Ja, dann viel Spaß noch... Man sieht sich", lächelte ich einfach, da ich nicht wusste, wie ich mich sonst von ihm verabschieden sollte.

"Jazmyn, warte!" Ich blieb stehen und drehte mich zu Harry um, der auf mich zugelaufen kam. "Ich hatte eigentlich vor, dich zu begleiten", lachte er.

"Oh", murmelte ich peinlich berührt.

Damit hatte ich nun nicht gerechnet, dass er mich nach Hause bringen wollte. Also liefen wir nebeneinander und tauschten hin und wieder mal ein paar Worte aus.

Als wir dann später in unserer Straße ankamen und Harry ohne eine Verabschiedung in seine Einfahrt einbog, wollte ich eigentlich auch weiterlaufen zu unserem Haus. Allerdings hielt er mich ein zweites Mal zurück.

"Komm", lächelte er und deutete mit einer lässigen Kopfbewegung auf seine Haustür.

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Warum wollte Harry, dass ich mit zu ihm nach Hause kam? Man durfte nicht vergessen, dass er der beste Freund von meinem Bruder war. Es wäre total komisch gewesen, wenn ich mit ihm in sein Haus gegangen wäre. Wir kannten uns zwar schon mehrere Jahre, aber dadurch waren wir ja nicht gleich Freunde oder so etwas in der Art.

"Ich würde deinem Bruder noch etwas Zeit allein mit Alexandra lassen. Und außerdem muss deine Wunde versorgt werden", ermutigte er mich, da er wohl bemerkte, dass ich recht unsicher war.

Aber auf der anderen Seite hatte er auch Recht. Ich hatte keine Lust, bei irgendetwas reinzuplatzen, denn weiß Gott, was Jayden da mit seiner ach so großartigen Freundin trieb. Und auf sie hatte ich eh keine Lust, also wäre es bei Harry doch um einiges besser. Schlussendlich folgte ich ihm dann doch in sein Haus.

"Mum?!", rief Harry durch das Haus, nachdem wir uns die Schuhe ausgezogen hatten.

Ein leckerer Duft von frischem Kuchen lag in der Luft, wodurch ich sofort Hunger bekam. Anne kam aus der Küche in den Flur. Ihre Hände wurden von Ofenhandschuhen geziert und sie trug eine Schürze. Als sie mich erblickte, war sie ganz offensichtlich überrascht.

"Hallo, Jazmyn. Was machst du denn hier?"

Gute Frage. Was machte ich hier?

"Ich habe sie im Park getroffen und sie ist hingefallen." Harry deutete auf mein Knie. "Bei ihr ist niemand Zuhause, deswegen habe ich sie mit zu uns genommen", log er.

Anne sah sich mein Knie an und sagte dann besorgt: "Ich hole sofort den Verbandskasten. Setzt euch am besten ins Wohnzimmer. Der Kuchen ist auch gerade fertig geworden."

Und schon war sie nach oben verschwunden.

Ich musste kichern, weil sie genauso fürsorglich war wie meine Mum. Harry führte mich ins Wohnzimmer, wo wir uns auf der Couch niederließen.

"Das ist das erste Mal, dass wir alleine was machen", stellte er plötzlich fest.

"Ja, das ist schon ein bisschen komisch", lachte ich.

Das war es wirklich. Ich wäre auch niemals auf die Idee gekommen, etwas mit dem besten Freund von meinem Bruder zu unternehmen. So ganz allein.

"Aber es ist nicht das letzte Mal", fügte Harry noch hinzu.

Wollte er mir damit sagen, dass er mich nochmal treffen wollte?

Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah ihn verwundert an. "Was meinst du damit?"

"Du wolltest, dass ich dir das Skaten beibringe, und das werde ich auch", grinste er mich an, was mich augenblicklich rot anlaufen ließ.

Stimmt, er wollte mir ja das Skaten beibringen und sich nicht einfach so mit mir treffen.

Auf was hatte ich mich da bloß eingelassen?

unexpected love || h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt