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Letztendlich kamen wir an einer abgelegenen Bank an, die sich inmitten von Bäumen befand. Ich war mir nicht ganz sicher, was Harry hier mit mir wollte. Aber an diesem Ort waren wir ungestört und ich nahm an, das war sein Ziel gewesen. 

"Tut mir leid, dass du das vorhin sehen musstest", sprach er in die Dunkelheit und ich wusste direkt was er meinte. 

Der Mond warf ein leichtes Licht auf Harry, so dass ich so eben seine Umrisse erkennen konnte und ich wusste, dass er mich ansah. 

"Am liebsten hätte ich ihr direkt gesagt, dass sie nervt und mich in Ruhe lassen soll. Aber die Jungs werden so langsam skeptisch, weil ich jedem Flirtversuch aus dem Weg gehe", erklärte er sich weiter. 

Es wunderte mich überhaupt nicht, dass Harry ständig von Mädchen angemacht wurde. Schließlich wusste ich ja, dass er sehr beliebt war und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Aber ich wusste auch, dass er mein Freund war und die Situation hatte mir nochmal deutlich gemacht, dass er wirklich nur Augen für mich hatte. Und das war ein unbeschreiblich tolles Gefühl.

"Ich bin dir nicht böse", lächelte ich und rutsche näher zu ihm. "Ich weiß, dass es zu auffällig wäre, wenn du alle direkt abblocken würdest. Aber ich wollte es mir nicht unbedingt ansehen."

Harry legte seine Hand auf meine und fuhr mit seinem Daumen kleine Kreise auf meinem Handrücken. 

"So geht es mir aber auch, wenn ich sehe wie dich die ganzen Jungs mit ihren widerlichen Blicken anschauen."

"Ich glaube, das bildest du dir nur ein", lachte ich. "Mich spricht ja nichtmal einer an, während dich immer zehn auf einmal umkreisen."

Harry schüttelte seinen Kopf und es sah so aus als würde er schmunzeln. 

"Du bist so ahnungslos, Baby. Warum können alle deine Schönheit sehen, außer du?"

Seine Worte ließen meine Wangen erneut an diesem Abend erhitzen und ich war dankbar, dass es diesmal dunkel war. 

Durch die jahrelangen Schikanen in der Schule von Alexandra und ihren Freundinnen, hatte sich mein Selbstbewusstsein schon vor Ewigkeiten von mir verabschiedet. Deswegen versuchte ich immer so unauffällig wie möglich zu sein, da ich bloß nicht im Mittelpunkt stehen und gesehen werden wollte. Man sollte mich einfach in Ruhe lassen. 

"Hey", hauchte Harry und drückte mein Kinn leicht nach oben, so dass ich ihn ansah. "Glaub mir, mindestens jeder zweite Junge würde dich gerne daten. Aber sie haben Angst."

Meine Stirn legte sich in Falten. Angst? Etwa vor mir? Beinahe hätte ich laut losgelacht. Das konnte Harry jetzt nicht wirklich ernst meinen. 

"Du spinnst doch", schüttelte ich meinen Kopf. 

"Ich meine das Ernst", beharrte er jedoch. "Ich weiß, dass Jayden sich nicht immer so dir gegenüber verhält, aber er ist sehr beschützend, wenn es um dich geht. Du glaubst nicht, wie oft er uns allen schon klar gemacht hat, dass wir bloß die Finger von dir lassen sollen, weil keiner dich verdient hätte."

Ungläubig blinzelte ich meinen Freund an. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass Jayden tatsächlich so einen ausgeprägten Beschützerinstinkt mir gegenüber hatte. 

"Dafür ist unser Verhältnis aber sehr schlecht geworden in letzter Zeit."

Erst in dem Augenblick wurde mir bewusst, dass unsere Geschwisterbeziehung erst in den letzten Wochen so schlimm geworden war. Um genau zu sein: seit er mit Alexandra zusammen war. Und dann kam mir auch das Gespräch mit Alexandra wieder in den Sinn, wo sie mich erwischt hatte, wie ich aus Harrys Haus kam. Sie meinte damals, dass Jayden so fies mir gegenüber wäre, weil ich seine Beziehung nicht akzeptierte. 

"Es ist meine Schuld, oder?", sprach ich meine Gedanken laut aus. 

"Was genau meinst du?", wollte Harry wissen.

"Jayden hat immer versucht, mich zu beschützen und wollte letztendlich nur das Beste für mich. Aber ich war von Anfang an gegen seine Beziehung und habe sogar versucht, die beiden auseinander zu bringen. Kein Wunder, dass er mich in letzter Zeit so scheiße behandelt. Ich habe ihn mit meinem Verhalten verletzt und habe nur an meine Vergangenheit mit Alexandra gedacht und was sie mir angetan hat. Dass er aber glücklich mit ihr ist, war mir egal."

Harry sagte für einige Sekunden nichts, da er erstmal über meine Worte nachdenken musste. Und wahrscheinlich stimmte er mir auch zu, aber wollte es nicht direkt aussprechen. 

"Mich würde es auch kränken, wenn Gemma gegen meine Beziehung wäre... Aber ich kann dich auch verstehen. Immerhin war Alexandra alles andere als nett zu dir in der Vergangenheit und du hast einfach Angst, dass sie ihn ebenfalls verletzen wird. Das zeigt doch nur, dass du Jayden genauso beschützen willst wie er dich."

Seine Worte brachten mich nur noch mehr zum Nachdenken und so langsam sah ich die Situation einfach aus einer ganz anderen Perspektive als am Anfang. Ich wusste, dass ich meinem Bruder sein Glück nicht verwehren konnte, nur weil ich Probleme mit seiner Freundin hatte. 

Es ging hier die ganze Zeit nicht um mich, sondern um ihn. 

Diese Erkenntnis ließ mich dermaßen schlecht fühlen. Ich war die ganze Zeit über total egoistisch gewesen.

"Komm mit", sagte ich nur und sprang in der nächsten Sekunde auch schon auf.

"Was? Wohin?"

Harry verstand erst überhaupt nicht, was nun los war, aber er folgte mir dennoch. 

"Wir erzählen es jetzt Jayden", war meine kurze Antwort.

"Jetzt?", fragte er verblüfft nach und versuchte meinen schnellen Schritten zu folgen. 

Mir war bewusst, dass ich in diesem Moment aus heiterem Himmel und wahrscheinlich auch sehr unüberlegt handelte. Aber ich konnte einfach nicht mehr mit diesem Geheimnis leben und ich wollte es nicht noch weiter aufschieben. Jayden hatte es verdient, die Wahrheit zu erfahren und dann konnte er entscheiden, wie er reagieren würde. Aber dann war es wenigstens raus und Harry und ich müssten uns keine Gedanken mehr machen. 

Und vielleicht fühlte ich mich auch einfach schuldig, weil ich erst seine Beziehung nicht akzeptierte und ihm dann verheimlichte, dass ich mit seinem besten Freund zusammen war. Ich erwartete doch tatsächlich von meinem Bruder, dass er meine Beziehung akzeptieren sollte, obwohl ich es selbst mit seiner nicht tat. 

"Wir müssen es jetzt tun. Dann haben wir es hinter uns", erklärte ich Harry und mittlerweile konnte ich schon wieder den beleuchteten Weg in der Distanz erkennen. 

"Findest du nicht, dass du gerade etwas zu impulsiv handelst?"

Es war nicht zu überhören, dass Harry ziemlich nervös klang und nicht so überzeugt von der ganzen Sachen war wie ich. Als hätten wir die Rollen getauscht, war er plötzlich verunsichert und ich ging mit Gelassenheit an die Sache ran. 

"Ich will es ihm ja auch sagen, aber wollen wir nicht lieber bis morgen warten?"

Abrupt blieb ich stehen und stellte mich vor meinen Freund. Ich legte meine Hände auf seine Schultern, um ihn zumindest ein wenig zu beruhigen und ihm zu signalisieren, dass er sich keinen Kopf machen sollte. Wir hatten definitiv die Rollen getauscht. 

"Es ist jetzt schon so oft etwas dazwischen gekommen. Wir ziehen es jetzt einfach durch und dann haben wir es hinter uns und müssen uns keine Sorgen mehr machen", versuchte ich ihn zu überzeugen. 

Allerdings war sein Blick nicht auf mich gerichtet, sondern auf etwas hinter mir. Und als ich ihn stark schlucken sah, wurde mir ganz komisch. 

"Ich glaube, wir müssen es ihm nicht mehr sagen", murmelte er.

Mir sank beinahe mein Herz in die Hose, als ich mich umdrehte und vom Weiten schon Jayden sah, wie er mit hochrotem Kopf in unsere Richtung starrte. Eric und Noah standen hinter ihm, hielten seine Arme fest und redeten wild auf ihn ein. Alexandra stand vor ihm und versuchte sein Gesicht zu umfassen, aber er stieß nur wütend ihre Hände aus seinem Gesicht. 

Und dann rannte er plötzlich los in unsere Richtung.  

unexpected love || h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt