Der nächste Morgen verlief zunächst relativ entspannt. Harry und ich waren schon gegen zehn Uhr wach gewesen, aber verbrachten noch knapp zwei Stunden im Bett, weil wir keine Lust hatten aufzustehen. Wir schauten nicht auf unsere Handys und genossen einfach die Zeit zu zweit.
Als wir es dann doch endlich aus dem Bett geschafft und gemeinsam geduscht hatten, gingen wir nach unten um zu frühstücken - obwohl es schon Mittagszeit war. Seine Mum war so lieb gewesen und hatte Brötchen gekauft, dazu bereitete Harry noch Rührei zu. Der Morgen hatte so gut angefangen, aber wir wurden schnell wieder von der Realität eingeholt. Anne war natürlich die Schwellung an Harrys Nase aufgefallen und somit erzählten wir ihr, was alles vorgefallen war. Sie war geschockt, aber andererseits sagte sie uns auch ehrlich, dass wir die Wahrheit zu weit hinausgezögert hatten.
Alexandra musste uns zuvorgekommen sein. Wer hätte Jayden sonst von unserer Beziehung erzählen sollen? Außer sie und meine Freundinnen wusste es keiner und meine Mädels waren mir garantiert nicht in den Rücken gefallen. Ich dachte eigentlich echt, dass Alexandra es für sich behielt, da sie uns auf der Party sogar noch gedeckt hatte. Aber anscheinend war das alles wieder nur ein böses Spiel von ihr gewesen und sie hatte auf den perfekten Moment gewartet um uns eiskalt bei Jayden auszuliefern. Aber ich war nicht mal wirklich sauer auf sie. Die Schuld lag hauptsächlich bei mir und Harry, weil wir es so weit aufgeschoben hatten. Und jetzt mussten wir halt mit den Konsequenzen leben.
Als wir fertig gegessen hatten, fühlte ich mich so langsam wieder wie ein Mensch. Ich hatte zwar diesmal keinen heftigen Kater, aber mir hing die vergangenen Nacht trotzdem noch in den Knochen. Das Essen hatte mir wieder etwas Kraft gegeben und ich war bereit, mich nun endlich nach Hause zu wagen.
"Bist du sicher, dass ich nicht mitkommen soll?", fragte Harry erneut nach, als wir an seiner Haustür standen.
Ich schüttelte meinen Kopf. Wir sollten Jayden nicht noch mehr verärgern, indem wir ihm wieder gemeinsam unter die Augen traten. Er brauchte erst mal seinen Abstand - vor allem von Harry. Bei mir war das etwas schwierig, da wir ja immerhin unter einem Dach lebten.
"Das würde die Sache nur noch schlimmer machen", erklärte ich mit geschürzten Lippen.
Harry fuhr sich mit der Hand durch seine Haare und atmete tief durch. Er wirkte plötzlich so gestresst.
"Jayden hatte gestern ja etwas erwähnt bezüglich meinem Umgang mit Frauen", fing er an zu erzählen und kratzte sich verlegen im Nacken. "Ich wollte dir das nur kurz erklären, damit du nichts falsches denkst, weil mir geht das schon die ganze Zeit durch den Kopf."
Da ich darüber gar nicht mehr nachgedacht hatte, war ich erst total überrascht gewesen, dass Harry das Thema nun ansprach. Aber anscheinend hatte ihm das keine Ruhe gelassen und er schien sich Sorgen gemacht zu haben, dass ich nun ein falsches Bild von ihm hatte. Aber um ehrlich zu sein, fand ich es in dem Moment einfach nur total süß wie verlegen er vor mir stand.
"Ich hatte bis jetzt noch keine Beziehung, die wirklich lange anhielt, da ich immer schnell das Interesse verliere", erklärte er.
Mein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig, da mich seine Aussage verunsicherte. Was genau wollte er mir damit sagen?
"Fuck, nein. So war das nicht gemeint!", stellte Harry mit aufgerissenen Augen klar als er meine Miene fallen sah. "Ich hätte mich anders ausdrücken sollen. Es war in der Vergangenheit so, aber jetzt nicht mehr."
Harry seufzte und fuhr sich zum fünften Mal durch seine Haare. Mittlerweile sah er so gestresst aus, dass ich Angst hatte, er würde jeden Moment umkippen.
"Ich wollte einfach nur sagen, dass ich noch nie so starke Gefühle für jemanden hatte wie für dich. Bei dir war ich noch keine einzige Sekunde verunsichert oder habe darüber nachgedacht, ob es wirklich das richtige ist. Ich bin-..."
"Harry", kicherte ich leise und legte meine Hände an seine Wangen. "Beruhig dich."
Es war ja schon niedlich, wie er sich unbedingt erklären wollte und versuchte die richtigen Worte zu finden. Allerdings war das überhaupt nicht nötig, da ich ihn schon längst verstanden hatte.
"Liebst du mich?", fragte ich ihn.
Verwundert runzelte er die Stirn.
"Natürlich liebe ich dich", antwortete er ohne zu zögern.
"Das ist alles, was ich wissen muss."
Ich stupste Harry mit meinem Finger auf die Nase und drehte mich dann grinsend um, um mich auf den Weg nach Hause zu machen. Als ich aus seiner Einfahrt raus war, drehte ich mich nochmal kurz zu ihm zurück und erwischte ihn dabei, wie er lachend seinen Kopf schüttelte.
Es überraschte mich selbst etwas, dass ich so locker reagierte. Aber ehrlich gesagt hatte ich auch keine Lust mehr auf noch mehr Drama gehabt. Es wäre auch einfach idiotisch gewesen, mich jetzt auch noch mit Harry zu streiten - in einer Zeit, in der wir besonders zusammen halten mussten. Natürlich hörte ich nicht gerne, dass er vor mir schon andere Beziehungen hatte und anscheinend nie wirklich richtige Gefühle entwickeln konnte. Aber es schenkte mir viel mehr an Selbstbewusstsein, zu wissen, dass ich die erste war in die er sich so richtig verliebt hatte. Am Ende zählte eh nur die Gegenwart und der Fakt, dass wir glücklich miteinander waren und uns gegenseitig liebten.
Aber nun musste ich mich erst mal meinem Bruder stellen.
Noch nie in meinem Leben hatte ich so große Angst gehabt nach Hause zu gehen. Ich lief so langsam, dass ich fast fünf Minuten für die winzige Strecke, die Harrys und unser Haus trennte, brauchte. Ich wusste nicht mal, ob Jayden überhaupt zu Hause war. Dennoch zitterten meine Hände so sehr, dass ich zwei Anläufe brauchte, um den Schlüssel in das Türschloss zu bekommen.
Im Haus war es so ruhig, dass ich dachte es wäre niemand da. Ich wollte schon beruhigt ausatmen und wog mich in Sicherheit, aber dann fiel mein Blick ins Wohnzimmer. Jayden saß auf dem Sofa und starrte einfach aus dem Fenster. Es war keine Musik an und der TV lief auch nicht. Es herrschte eine beinahe gruselige Stille.
"Hey", sprach ich leise und lief mit langsamen Schritten ins Wohnzimmer.
Jayden rührte sich kein Stück. Er sah weiterhin aus dem Fenster, seine Miene zeigte keinerlei Emotionen. Ich blieb am anderen Ende des Sofas stehen, um ihm genügend Abstand zu geben. Nervös spielte ich mit dem Saum meines Kleides und wählte mit Bedacht meine nächsten Worte.
"Können wir reden?", fragte ich vorsichtig nach und setzte mich hin.
Aber wieder kam keine Reaktion von meinem Bruder. Er sah aus wie versteinert, ich konnte ihn nicht mal atmen hören. Dass er dort so still saß, machte mir nur noch mehr Angst. Aber ich wollte meine Chance nutzen und vielleicht war seine Stummheit auch ein Zeichen dafür, dass ich weiter reden durfte.
"Es tut mir so leid, dass du es auf diese Art erfahren musstest. Ich schwöre dir, wir wollten es dir persönlich sagen, aber-..."
Plötzlich stand Jayden auf, verließ das Wohnzimmer und ließ mich alleine dort sitzen. Zehn Sekunden später knallte oben seine Zimmertür zu.
Kein Wort. Kein Blick. Nichts.
Ich sollte ihm wohl doch noch etwas mehr Zeit geben.

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unexpected love || h.s
FanfictionMein Leben verwandelte sich erst in die reinste Katastrophe, als meine Erzfeindin vor mir stand und mein Bruder sie als seine neue Freundin vorstellte. Während ich dann versuchte, sie wieder loszuwerden, trieb mich das Drama in die Arme einer unerwa...