Lass mich bei dir bleiben

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⚠️TW Suizidversuch

John pov

Ich klebe den Brief zu und lege ihn auf meinen Sessel. Dann ziehe ich meinen Mantel an und verlasse 221B Baker Street. Meinen Gehstock lasse ich einfach in der Ecke stehen. Das Humpeln ist wieder da. Es ist wiedergekommen, nachdem Sherlock gestorben ist. Genau wie meine Selbstmordgedanken. Ich will nicht ohne ihn leben. Ich kann nicht ohne ihn leben. Sherlock ist mein bester Freund.

Nein, er war mein bester Freund. Er ist mein Ein und Alles. Und das wird er immer sein. Meine Freunde vom Militär beerdigen zu müssen, was mir damals unheimlich schwer gefallen ist, war ein Leichtes im Gegensatz zu Sherlocks Beerdigung. Ich konnte nicht mal weinen oder sowas. Ich war einfach nur da, habe auf seinen Sarg gestarrt und irgendeine Rede gehalten, in der ich versucht habe in Worte zu fassen, wie viel dieses Arschloch mir doch bedeutet hat und dass ich mir nicht mehr vorstellen kann, wie es ohne ihn weitergehen soll. 

Mycroft war nicht auf der Beerdigung. Greg sagte, er würde es nicht verkraften - schon gar nicht die Paparazzi dazu, die einfach überall waren und nicht mal ein Fünkchen Respekt hatten. Mycrofts Leute haben sie dann aber doch recht gut vom Geschehen ferngehalten. Trotzdem hat ihre Anwesenheit es nur verschlimmert. 

Ich gehe die Stufen nach oben und öffne die Tür. Langsam, humpelnd gehe ich über das Dach bis zur Kante. Ich sehe einfach geradeaus, blicke auf die Dächer Londons und überlege, was Sherlock gedacht haben muss, als er hier oben stand. Vermutlich hat er gar nichts gedacht. Er hat nicht darüber nachgedacht, wen er verletzt. Natürlich nicht. Er war ein Soziopath. Warum sollte er sich um so etwas Gedanken machen?

Ich steige auf die Kante und blicke nach unten. Ja, von hier aus zu springen wird mich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit töten. Sehr gut. Ich blicke noch ein letztes Mal über die Dächer Londons, dann greife ich in meine Tasche und ziehe Sherlocks Handy hervor. 

Ich weiß nicht mehr, was mich dazu gebracht hat, damals hier auf das Dach zu gehen. Aber ich habe Sherlocks Handy mit zerschmettertem Display gefunden. Es funktioniert nicht mehr. Und in dem halben Jahr habe ich nicht den Versuch unternommen, es zu reparieren oder reparieren zu lassen. "Ich vermisse dich, Idiot." flüstere ich und drücke das Handy gegen meine Brust, "Aber ich komme zu dir." 

"Nein, das werden Sie nicht! Nicht auf diesem Weg!" Ich fahre herum und steige automatisch wieder von der Kante runter. Mycroft steht hinter mir und streckt seine Hand nach mir aus. "Bitte... Lass mich einfach springen. Lass mich einfach sterben. Ich will nicht mehr ohne ihn leben. Bitte!" "Sherlock lebt! Und er wird mich umbringen, wenn Sie jetzt springen!" "Er lebt nicht! Er kann nicht leben! Ich habe ihn gesehen! Ich weiß, er ist tot! Ich habe ihn springen sehen!" "Sherlock lebt. Warte, ich beweise es dir!" Er greift in seine Tasche und zieht sein Handy hervor. Er tippt kurz darauf. Dann hält er es vor sich. Ich höre das Tuten, was anzeigt, dass ein Anruf vorbereitet wird. Ich sehe ihn nur verwirrt an. 

"Mycroft, ich habe wirklich keine Zeit dafür! Was willst du?" Ich erstarre. "Ich musste es ihm sagen." "Was? Du hast es... Wo ist er? Ich will mit ihm sprechen!" "Er steht direkt hier. Er kann dich hören." antwortet Mycroft. "John? John! Es tut mir leid! Ich weiß, ich habe dich verletzt, aber..." "Hör auf! Hör auf damit, Mycroft! Das... Ihr habt das irgendwie vorbereitet! Ihr habt... Ich weiß nicht wie, aber... Hört einfach auf!" schluchze ich und breche zusammen. Ich beginne zu zittern und vergrabe mein Gesicht in meinen Armen. 

"John, hör mir zu. Hör mir genau zu! Deine Schwester, Harry, ich habe sie für deinen Bruder gehalten, als wir uns kennenlernten. Das Erste, was ich zu dir sagte, war 'Afghanistan oder Irak?'. Ich habe Donovans und Andersons Affäre geoutet bei unserem ersten Fall. Ich habe Angelo angerufen, damit er deinen Gehstock in die Baker Street bringt. Du hattest ihn vergessen. Du hattest dein psychosomatisches Hinken vergessen." "Hör auf." wimmere ich, "Du bist tot. Ich hab dich sterben sehen." 

"Es tut mir leid, John." Ich hebe den Blick und sehe Mycroft verwirrt an. Erst nach einigen Sekunden bemerke ich die Spritze in seiner Hand. Aber da ist es schon zu spät. Mycroft hat mir, was immer sich in der Spritze befand initiiert. Es dauert nicht lange, dann wird mir auch schon schwarz vor Augen. 

~*~*~

Stimmen dringen langsam zu mir durch. Mein Schädel brummt und mein Hirn fühlt sich an, wie zähflüssiges Wachs. Ich versuche irgendwie meine Gedanken zu ordnen, kann mich aber an nichts erinnern. Nur noch die Erinnerung an meinen Selbstmordplan und Mycroft mit seiner blöden Spritze ist da. Ich fasse mir an den Hals. An einer Stelle habe ich leichte Schmerzen, dort muss er eingestochen haben. Ich versuche mich zu konzentrieren, die Stimmen zuzuordnen. 

"Du bringst ihn in Gefahr! Er ist hier nicht sicher! Außerdem bin ich mit ihm viel zu leicht zu erkennen und er mit mir! Deinetwegen wird er verletzt werden! Du bringst ihn sofort nach London zurück!" "Sherlock, er wird sich umbringen, wenn er nicht bei dir ist! Du bist sein Ein und Alles! Wenn du ihn weiterhin glauben lassen willst, dass du tot bist, dann wirst du in eine leere Wohnung zurückkehren. In eine leere Wohnung, die John nie wieder betreten wird. Dann wirst du an seinem Grab stehen." 

"Hör auf! Hör auf das zu sagen!" Ich drehe den Kopf und versuche, irgendwen zu sehen. Und tatsächlich erkenne ich Sherlocks Silhouette, die die Mycrofts gegen eine Wand drückt. Sie sind unverkennbar. Ein Vorhang trennt mich von den beiden. "Sherlock..." keuche ich und versuche mich aufzurichten. Bei dem Versuch, mich hinzusetzen, halte ich mich am Nachtschrank fest und stoße dabei versehentlich ein leeres Glas um, welches vom Tisch rollt und auf dem Boden zerschlägt. 

Die beiden Gestalten fahren auseinander und erstarren dann für einen kurzen Augenblick. Kurz darauf setzen sie sich in Bewegung und der Vorhang wird beiseite geschoben.

Und da steht er. Seine Locken sind so durcheinander wie immer. Seine blauen Augen sehen mich aufmerksam an. 

Ich will etwas sagen, kriege aber keinen Ton raus. Er kommt auf mich zu und setzt sich auf die Bettkante. "Es tut mir so leid." sagt er. Ich lasse meinen Kopf einfach auf seine Schulter sinken und beginne zu schluchzen. Sherlock drückt mich vorsichtig an sich und legt seinen Kopf auf meinem Kopf ab. "Wie konntest du nur?" schluchze ich, "Wie konntest du mir das antun?" "Ich musste es tun." flüstert er. 

"Nichts! Nichts musstest du tun!" schluchze ich wütend und schlage ihm gegen die Brust, "Er wusste es! Mycroft wusste es! Wieso hast du es mir nicht gesagt? Wieso hast du mir das angetan?" "Es musste sein." flüstert er und streicht über meine Haare. "Es musste sein? Du hast keine Ahnung, was du mir angetan hast! Du gottverdammtes Arschlo-" Er unterbricht mich, indem er seine Lippen fest auf meine drückt. Ich erstarre. Aber Sherlock scheint sich daran nicht zu stören, küsst mich einfach weiterhin. Nach einigen weiteren Sekunden, entspanne ich mich ein wenig und erwidere den Kuss.

"Du bist trotzdem ein Arschloch." "Ich weiß." flüstert er und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. "Was machen wir jetzt?" "Ich beende, was ich angefangen habe und du gehst mit Mycroft zurück nach London." "Klar und da setze ich mich in meinen Sessel und warte, bis du nach Hause kommst? Vergiss es! Ich will und werde nicht einfach nur rumsitzen und auf dich warten!" "Doch, wirst du." Ich packe Sherlocks Kragen und ziehe ihn nah zu mir: "Hör mir gut zu! Du denkst, dass du machen kannst, was du willst, nur weil du ein Soziopath bist und glaubst, allen egal zu sein. Du bist einigen Menschen verdammt wichtig. Du bist mir verdammt wichtig und ich werde nicht monatelang hier rumsitzen und warten, dass du nach Hause kommst!" "Aber was willst du denn dann tun? Ich kann dich nicht mitnehmen! Du wirst in Gefahr geraten!"

"Ich kann immer und überall in Gefahr geraten!" schreie ich ihn an, "Ich will bei dir in Gefahr geraten, wenn ich schon in Gefahr gerate." Sherlock sieht mich einfach nur emotionslos an. "Ich will bei dir sein. Ich brauche dich." flüstere ich und lehne meinen Kopf gegen seine Brust, "Sherlock, ich wollte sterben, als ich dich verloren habe. Nicht mehr. Ich dachte, ich sehe dich nie wieder. Ich wollte sterben, um bei dir sein zu können. Jeden Morgen habe ich mich gehasst, weil ich aufgewacht bin. Also wenn du wieder weggehst, dann... Dann weiß ich nicht, ob ich noch da bin, falls du wieder kommst. Dann musst du an meinem Grab stehen." Sherlock schlingt seine Arme fest um mich und drückt mich nah an seine Brust.

"Nein, sag... Sag sowas nicht..." sagt er an meinem Ohr und ich höre ihn schluchzen. Unsicher lehne ich mich zurück und sehe ihn an. Er weint. Sherlock Holmes weint. Sanft küsse ich ihn. "Lass mich bei dir bleiben." hauche ich gegen seine Lippen. "Es könnte gefährlich werden." "Umso besser." Grinsend küssen wir uns.

Johnlock OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt