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Die Welt ist nicht so übel, man muß sie nur zu nehmen wissen.

Hans Christian Andersen, in: Der Mistkäfer

Das Wohnhaus sah eigentlich wirklich nett aus und lag in der Nähe der Universität

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Das Wohnhaus sah eigentlich wirklich nett aus und lag in der Nähe der Universität. Vielleicht hatte Ariane ja Recht mit dem Glück. Daria kettete ihr Fahrrad an eine freie Laterne und machte sich auf den Weg zur Eingangstür. Ein älterer Herr im Anzug wartete bereits und schaute dabei immer wieder auf seine Uhr. War sie zu spät? Das konnte nicht sein. Ihre eigene Uhr zeigte zumindest an, dass sie sogar fünf Minuten zu früh war.

»Hallo?« Daria verzog ihre Lippen zu einem hoffentlich freundlich aussehenden Lächeln. »Mein Name ist Daria Meiner und ...«

»Ach gut, Sie sind da.« Ohne sie ausreden zu lassen hielt er die Tür auf und trat einen Schritt zurück. »Ich habe nicht viel Zeit. Kommen Sie.«

Der Hausflur zumindest sah schon einmal vielversprechend aus. Ein breites Treppenhaus aus Holz führte nach oben. Der ganze Bereich war sauber und gepflegt. Zwar gab es keinen Fahrstuhl, aber das konnte ihr egal sein, da ihr Ziel im Erdgeschoss lag.

Der Mann zog einen Schlüssel aus seiner Tasche und ging zur Treppe. »Wir müssen nur ein paar Stufen nach unten gehen.«

Daria zögerte. »Aber ich dachte, die Wohnung sei ebenerdig? Mit kleinem Garten?«

»Ja, es gibt einen Garten. Also, nicht nur für Sie natürlich, es ist eine Gemeinschaftsnutzung, aber ihre Wohnung hat einen Zugang. Es ist souterrain.«

Mit jedem Schritt, den sie über die Treppe hinab schritten, wurde es dunkler. Daria reckte ihr Kinn. Das musste ja nichts heißen. Souterrain hatte immerhin den Vorteil, dass es sich im Sommer nicht so aufheizte.

Der Mann hielt vor einer schmalen Tür, die Daria im ersten Moment für ein Kellerabteil hielt. Erst als er den Schlüssel ins Schloss steckte und aufschloss, erkannte sie ihren Irrtum.

Wieder ließ er Daria den Vortritt. »So, hier haben gleich einmal die Toilette. Der Raum ist separat, falls sie also mal Besuch haben, könnten Sie gleichzeitig aufs Klo, während ihre Begleitung duscht.«

Darias Augenlid zuckte. Die Porzellanschüssel sah älter aus als sie. Der Raum war so klein, dass sie sich nicht sicher war, ob sie die Tür schließen konnte. In der Wand, dicht unter der Decke, war ein Schlitz, dahinter erkannte sie Kacheln.

»Ja, dort oben ist ein Verbindungsfenster zum Badezimmer. Das erleichtert das Lüften.«

Soviel zu der angepriesenen Privatsphäre. Der Mann schien ihr Schweigen positiv auszulegen, denn er führte sie gleich in den nächsten Raum.

»Hier befindet sich die Küche. Sie ist klein, aber das hilft ja beim Sauberhalten.«

»Gibt es keine Fenster?«

Der Mann runzelte die Stirn. »Doch, natürlich. Dort, über dem Kühlschrank.« Wahrscheinlich hatte sie es übersehen, weil das Rollo heruntergefahren war.

Alles in allem war die Küche zusammengestückelt. Ihre Mutter würde einen Schreikrampf bekommen, sollte sie den alten Gasherd und die morsche Arbeitsplatte jemals sehen. Nachdem sie aber auch nur einmal vor vier Jahren ihre alte Wohnung besucht hatte, wäre zumindest das kaum zu erwarten. Außerdem könnte sie auch ihre eigene Küche mitnehmen, auch wenn sie kaum in den winzigen Raum passen würde.

Der Mann öffnete die Tür zur Vorratskammer, hinter der sich das restliche Badezimmer verbarg. Hätte sie sich eigentlich denken können, immerhin lag der Raum direkt neben dem Klo.

Ihr Augenlid zuckte immer mehr. Die grünen Fliesen waren dabei nicht einmal das Schlimmste. Das Waschbecken war winzig und die Dusche sah aus, als ob man sich dort Krankheiten einfangen konnte.

»Naja, es müsste halt einmal kräftig durchgeputzt werden.«

Oder so. Jetzt war zumindest klar, warum es in der Anzeige vom Bad keine Fotos gegeben hatte. »Das Wohnzimmer?«, presste Daria hervor.

»Natürlich.« Der Mann trat einen Schritt zurück und stieß gegen die Tischplatte. Sein gedämpfter Fluch passte sehr gut zu ihrer Stimmung. Vielleicht sollte sie sich auch mit dem Bein gegen etwas Hartes treten, um ihre Empfindungen angemessen zu transportieren. »Kommen Sie weiter.«

Das Wohnzimmer war ebenfalls klein, sah aber alles in allem ganz gut aus. Auf dieser Seite war es den Fenstern gar nicht anzusehen, dass die Wohnung tiefer lag. Neben dem Sofa führte eine Tür auf eine schmale Terrasse. Der Garten dahinter sah nicht so aus, als ob sich jemand darum kümmern würde. Ein Pluspunkt also. Als sie zurück ins Wohnzimmer trat, blieb ihr Blick am Türrahmen hängen. Auf dem Holz, direkt vor dem Schließblech, befanden sich deutliche Kratzer. »Gab es hier den Einbrüche, in der Gegend?«

In der Wange des Mannes zuckte ein Muskel. »Nun, ich denke nicht mehr als anderswo auch. Man muss halt besondere Vorkehrungen treffen, wenn man ebenerdig wohnen möchte.«

»Souterrain«, verbesserte Daria, aber er ging nicht weiter auf sie ein.

»Kommen wir nun zum Schlafzimmer.« Sie folgte seinem starren Rücken in den letzten Raum, dessen zwei Fenster sich wieder wesentlich höher befanden, als Daria es gewohnt war. »Ein großer Vorteil ist natürlich der Platz, der nicht von Fenstern blockiert wird.«

Für einen Moment durchdachte Daria ihre Möglichkeiten. Es war natürlich erst die erste Besichtigung, aber der Wohnungsmarkt galt als brutal. Das Badezimmer war eine Zumutung und auch die Küche entsprach nicht ihren Vorstellungen. Aber mit dem Wohnzimmer konnte sie leben, solange niemand einbrach.

»Und, was sagen Sie?«

Daria kratzte sich am Nacken. Wie wahrscheinlich war es wohl, dass sie noch einmal eine so tolle Wohnung fand wie ihr kleines Nest am Zoo? Dieser Ort war günstig, wenn ihr auch jetzt klar war, wieso. Ein großer Vorteil war, dass es keine WG war und sie ihr Reich nicht teilen müsste. »Nun ...«

Bevor Daria ihren Satz zu Ende führen konnte, fiel ein Schatten durch das Fenster. Sie erkannte fellbedeckte Beine, die mit Sicherheit zu einem mittelgroßen Hund gehörten. Das Tier wedelte mit dem Schwanz und hob sein Hinterbein. Ein gelber Strahl rann die schmutzige Scheibe hinunter.

»Hey!« Der Mann machte einen Satz und klopfte gegen das Fenster. Entweder war der Hund taub oder völlig desinteressiert an einer Interaktion, jedenfalls reagierte er nicht. Erst als er fertig war, senkte er das Bein und lief mit aufrechter Rute durch den Garten.

»Nun«, begann Daria erneut. »Ich danke Ihnen sehr für die Führung, aber ich glaube, die Wohnung und ich passen nicht zusammen.«

Zwischen seinen Brauen bildete sich eine steile Falte. »Sind Sie sicher? Sie werden in Hannover kaum noch einmal so ein Schnäppchen finden.«

Wahrscheinlich nicht. Allerdings könnte sie sich auch auf einer Parkbank anpinkeln lassen und das war noch billiger. Immerhin hatte sie noch ein paar Termine. Viel schlimmer konnten die kaum werden.

WG gesucht - Liebe gefunden (Stadtgeflüster)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt