Der Schmerz des Abschieds ist nichts gegen die Freude des Wiedersehens.
Charles Dickens, in: Nicholas Nickleby
Als Daria sich im Spiegel betrachtete, ging die Tür zur Diskothek auf und eine kurvige Frau schob sich hinein. Sie drückte sich an das Holz und atmete tief ein. Auch wenn sie zweifelsfrei älter geworden war und vor zehn Jahren noch keine Tätowierungen besessen hatte, zogen sich Darias Mundwinkel bei ihrem Anblick nach unten.
»Kalomira«, grummelte Daria, während sie einen Kajal aus ihrer Handtasche nahm und sich den Lidstrich nach zog. Es war zwar nicht notwendig, aber sie wollte Griechenland nicht mehr Beachtung zubilligen, als sie tatsächlich verdiente.
Die Frau zuckte sichtbar zusammen und rammte ihren Kopf gegen den Türrahmen. »Verdammt«, keuchte sie. »Erschreck mich doch nicht so.«
Wie immer umgab die Frau eine kaum zu übertreffende Dramatik. Sie lebte sie förmlich.
Mit einem Schulterzucken arbeitete Daria fein säuberlich an ihrem Augen-Make-Up.
Kalomira trat näher. »Daria. Du hast dich nicht verändert. Abgesehen von den Falten, natürlich. Könnte aber auch das Licht hier sein.«
Ohne auf den beleidigenden Unterton einzugehen beendete Daria ihre Arbeit. »Ich würde ja sagen, schön dich zu sehen. Aber ich lüge so ungern.«
Zu ihrer Überraschung blieb Kalomira ruhig. Der Blick der Frau schweifte zur Tür, als würde sie jemanden erwarten. Schließlich sog Griechenland ihre Lippe zwischen die Zähne und strich mit den Fingern über den Waschbeckenrand.
»Musst du nicht?«, erkundigte sich Daria misstrauisch. Zumindest früher konnte man mit Kalomira am Besten umgehen, indem man wie mit einem Stock in ein Hornissennest stach. Ob das immer noch funktionierte?
»Was?« Griechenland zuckte zusammen.
Daria deutete hinter sich und zog eine Augenbraue hoch. »Aufs Klo.«
»Ja, doch. Natürlich.«
Ihr Bauchgefühl hatte sie nicht getrogen, irgendetwas stimmte nicht. Kalomira schaute ein letztes Mal zur Tür, dann betrat sie eine der Kabinen.
Die Neugier hielt Daria zurück. Eigentlich sollte sie sich Ariane anschließen und den unerwartet lustigen Abend genießen. Aber dann würde sie nicht erfahren, was ihre frühere Schulfeindin hier trieb.
Aus der Kabine drang kein Laut. Daria öffnete die Tür, die hinaus führte und für einen Augenblick drang laute Musik zu ihnen hinein. Dann ließ sie sie zufallen, ohne den Raum zu verlassen.
Sofort öffnete sich die Kabinentür und Kalomira trat hervor. Ihre Augen schmälerten sich, als sie Daria erblickte.
»Du versteckst dich hier«, schlussfolgerte Daria. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie den Vorwurf wiederholte, den sie sich auf der Tauffeier eingefangen hatte. »Findest du das nicht etwas würdelos? Es ist immerhin ein Klo.«
DU LIEST GERADE
WG gesucht - Liebe gefunden (Stadtgeflüster)
RomanceDas darf doch nicht wahr sein! Gerade als sich Daria endlich zu einem beruflichen Neustart entschieden hat, flattert ihr auch schon die Kündigung ihres Vermieters in den Briefkasten. Jetzt gilt es im Studium einen kühlen Kopf zu bewahren und nebenbe...