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Je weniger es gibt, um einen traditionellen Brauch zu rechtfertigen, desto schwieriger ist es oft, ihn loszuwerden.

Mark Twain, Das Abenteuer von Tom Sawyer

Der Vorlesungsraum war bereits überfüllt, als Daria eintraf

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Der Vorlesungsraum war bereits überfüllt, als Daria eintraf. Einige Studenten saßen in den Gängen auf dem Boden, andere standen an der hinteren Wand.

In der letzten Reihe saß Ariane auf dem Außenplatz und beschützte den Nebensitz hauptsächlich mit unfreundlichen Blicken.

»Ich bin zu spät«, flüsterte Daria, doch ihre Freundin winkte ab. »Es kamen noch ein paar Gäste ins Tak-Tak und die Übergabe hat gedauert.«

»Nicht schlimm. Wer hätte auch mit so einem Ansturm gerechnet.«

Gerade als Daria sich auf ihren Sitz schob, betrat weit unter ihnen ein Mann die Tribüne. Sie zog ihren nagelneuen Laptop aus der Tasche, der die letzten Trinkgelder aufgefressen hatte, während sie seinem Weg zum Pult beobachtete.

Abgesehen von der Tatsache, dass er recht jung zu sein schien, entsprach er recht genau dem Bild, dass sie sich immer von Mathematikern gemacht hatte. Von der dünnen Wollweste über die Hornbrille bis zu den ordentlich zurück frisierten Haaren. Dennoch, irgendetwas an dem Mann, der mit routinierten Bewegungen die Elektronik anschaltete, kam ihr bekannt vor. Daria runzelte die Stirn. Paul und sie teilten seit Ewigkeiten den gleichen Freundeskreis, aber vielleicht kannte Daria ihn über Noah oder Marlene?

»Guten Morgen. Mein Name ist Professor Schütz und ich begrüße Sie zum Kurs Analysis I. Wir werden zunächst erst den Ablauf des Semesters besprechen und ich bitte Sie, sich folgende Daten zu notieren.« Die Stimme des Mannes hörte sich über die Lautsprecher blechern an. Vielleicht hatte sie ihn ja einfach nur schonmal im Restaurant ihrer Mutter bedient?

Ariane tippte mit ihrer Bleistiftspitze auf die leere Blockseite. »Irgendwoher kenne ich den Mann.«

»Du auch?«

»Was?«

Unauffällig schob sich Daria näher an ihre Freundin heran. »Ich habe genau das gleiche gedacht.«

»Verrückt.«

Über den Beamer wurde ein große Übersicht auf die Leinwand projiziert, die eine Übersicht über die folgenden Wochen enthielt.

Eine Erinnerung zupfte an Darias Gedanken. Raschelnde Blätter und kühle Nachtluft. Hatte sie ihn vielleicht schon einmal gedatet? »Was denkst du denn, wie alt er ist?«

Ariane beugte sich nach vorne. »Schwer zu sagen, mit der Brille. Definitiv älter als wir, aber bestimmt noch keine vierzig.«

»Shh«, zischte die Studentin, die auf Darias anderer Seite saß.

»Mach nicht so einen Lärm«, konterte Daria. »Sonst verstehe ich ihn nicht.«

Das Mädchen warf ihre dunkelbraune Wallemähne zurück und reckte das Näschen in die Höhe. Ihre manikürten Nägel sahen gefährlich aus, aber sie beschränkte sich darauf, Daria zu ignorieren.

»Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viele Frauen sind«, flüsterte Ariane. »Schön, dass Mathe anscheinend doch nicht so ein Cliché ist.«

Darias Blick wanderte durch den Raum. Viele der Mädchen sahen aus, als ob sie aus dem Vorleseraum direkt zu einer Verabredung gehen würden. Oder auf den Laufsteg, je nach Interesse. »Glaubst du echt, dass das alles Mathematikstudentinnen sind?«

»Was sollen die denn sonst hier machen?«

Nur die Hälfte der Anwesenden machte sich Notizen, die anderen beschränkten sich darauf, die Bühne zu beobachten. »Den Professor anstarren?«

Leise pfiff Ariane durch die Zähne, bei dem sich das Mädchen neben Daria versteifte. »Ich kann es von hier hinten nicht genau sehen, aber ich glaube, er sieht ganz gut aus.«

Der Professor beendete seine Übersicht und startete einen Vortrag über die richtigen Unterlagen.

»Schwer zu sagen.« Daria tippte seine Hinweise in ein Dokument. »Aber seine Körperhaltung spricht für ihn.«

»Du achtest auf seine Körperhaltung?«

»Du nicht?«

Ariane versteckte ein Grinsen hinter ihrer Hand. »Nein.«

In der vordersten Reihe wurde eine Hand gehoben und Professor Schütz erteilte dem Studenten mit einem Nicken das Wort. Zwar konnten sie die Frage nicht verstehen, aber da schienen sie nicht die einzigen zu sein. »Lauter bitte«, rief jemand.

Professor Schütz trat um das Pult herum und hob seine Hände. »Ruhe bitte! Ich werde auf Zwischenfragen eingehen und einfach die Frage widerholen.«

Seine Haltung war locker und er schien sich wohl zu fühlen. Er schob sich die Ärmel der Weste nach oben und das Mädchen neben Daria seufzte.

Darias Blick traf Arianes und sie mussten sich Mühe geben, nicht zu Lachen. Die Frage drehte sich um Basics und langsam schweiften ihre Gedanken ab. Woher konnten Ariane und sie den Mann nur kennen? Hoffentlich hatte er sie nicht bei der Orientierungsphase zu Gesicht bekommen, das wäre nun wirklich nicht der beste Eindruck gewesen. Auf der anderen Seite, die meisten ihrer Mitkommilitonen waren noch betrunkener gewesen und warum sollte es wichtig sein, aus der Masse hervorzustechen?

»Gehst du später in die Mensa?«

»Nein, ich habe noch einen Besichtigungstermin.«

Eine weitere Frage wurde gestellt. Der Professor wiederholte sie und Daria war sich ziemlich sicher, dass er das bereits alles am Anfang geklärt hatte. Hörte denn eigentlich niemand zu?

»Oh, wie läuft denn die Wohnungssuche?«

»Schleppend. Gestern hatte ich einen Termin in einer Techno-WG. Es war super laut und sie haben jedem Bewerber Fragen gestellt.«

»Zum Einkommen?«

»Schön wärs. Über Konzerte und so.«

»Ach, kennst du dich da aus?«

Daria schüttelte den Kopf. »Nicht die Spur. Aber im Vergleich zum Kellerloch war hier die Ausstattung echt gut. Sie hatten eine neue Küche bekommen und das in Frage kommende Zimmer besaß sogar ein großes Fenster.«

»Woah, ein Fenster!«

»Nun, Verzweiflung macht anspruchslos. Allerdings war meine gespielte Begeisterung nicht wirklich überzeugend. Sie haben mir mit einem Liedtext abgesagt. Zumindest glaube ich, dass es einer war.« Der Professor deutete mit seinem Laserpointer auf die Tafel. Aber auch jetzt noch herrschte ein Mix aus Ankündigungen und Basics. Daria hatte sich ihr Studium interessanter vorgestellt.

»Hast du du denn beim Studentenwerk nachgefragt?«

»Ja. Aber so kurzfristig ist da am Anfang des Semesters wenig zu machen. Aber man hat mich auf eine Liste gesetzt. Was immer das auch heißen mag.«

»Es freut mich, dass sich so viele von Ihnen für Mathematik begeistern und verspreche, dass wir in der nächsten Stunde richtig in die Thematik eintauchen werden.« Der Professor packte seine Unterlagen zusammen. Ein Pulk junger Studentinnen versammelte sich unterhalb der Tribüne.

»Ob die wohl alle mit ihm reden wollen?«

Es war eine Neigung seines Kopfes. Eine kurze Bewegung, die den Schleier über Darias Erinnerung zerriss. »Verdammt!«

Ariane zuckte zusammen. »Was ist?«

»Ich glaube, ich weiß, woher ich ihn kenne. Das müsste der Bruder von Kalomira sein.«

Ihre Freundin runzelte die Stirn. »Sagt mir gar nichts.«

Daria steckte ihren Laptop in die Tasche und schob Ariane in Richtung Ausgang. »Nicht so wichtig. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, also Kalomira und ich. Ihr Stiefbruder ist wesentlich netter, als sie, zumindest war er es damals.«

Wieder eine Erinnerung an Mark. Sie stopfte sie in die hinterste Ecke, während sie einen Blick auf die Uhr warf. »So, ich muss los.«

WG gesucht - Liebe gefunden (Stadtgeflüster)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt