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Liebe und Verlangen sind zwei unterschiedliche Dinge: nicht alles, was man liebt, verlangt man auch; und nicht alles, wonach man verlangt, liebt man auch.

Miguel de Cervantes in: Don Quijote

Mit angewinkelten Beinen saß Mark auf seinem Sofa und starrte auf den Fernseher

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Mit angewinkelten Beinen saß Mark auf seinem Sofa und starrte auf den Fernseher. Seine Gedanken waren weit entfernt von dem, was auf dem Bildschirm geschah. Die Suche in der Vergangenheit barg nicht nur schöne Erinnerungen. Also hatte zumindest Mira seine Gefühle für Daria von Anfang an wahrgenommen. War er zu aufdringlich gewesen, zu beschützend? Seufzend lehnte er sich auf dem Sofa zurück und legte seinen Kopf in den Nacken. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass das Klingeln das er hörte nicht aus dem Fernseher kam sondern von seiner Haustür.

Mark runzelte die Stirn. Angekündigt hatte sich niemand, aber das mochte bei seinen Geschwistern nichts heißen. Auch wenn er gerade keine Lust auf Besuch hatte, sollte er nachschauen, wer ihn belästigte. Samstag vormittag war er gewöhnlich nunmal zu Hause und wer ihn kannte, wusste das.

Mit einem weiteren Seufzen erhob er sich von der Couch und ging zur Tür. Als er sie öffnete, erreichte seine schlechte Laune einen unerwarteten Tiefpunkt. David, sein ehemaliger bester Freund und früherer Mitbewohner stand vor ihm, ein unsicheres Lächeln auf den Lippen.

»Hey, Mark«, sagte er leise, seine Augen vermieden den direkten Blickkontakt.

Mark war sprachlos. Niemals hätte er erwartet David so bald wiederzusehen, geschweige denn vor seiner Tür. Doch hier stand er nun. Als hätte er sich nicht entschieden, lieber mit Charlotte anzubandeln als ihre Freundschaft zu achten.

»Was willst du hier?«, fragte Mark schließlich mit einer Mischung aus Verbitterung und Neugier.

»Ich wollte mit dir reden, Mark.« David räusperte sich und strich sich nervös durch die Haare. »Das war Mist, was ich getan habe und ich möchte es klären. Kann ich reinkommen?«

Mit vor der Brust verschränkten Armen gab Mark den Weg in seine Wohnung frei. David betrat den Raum und Mark schloss die Tür hinter ihm. Es war eine unangenehme Stille, die den Raum erfüllte, als die beiden Männer sich gegenüberstanden.

Schließlich war es David, der das Schweigen brach. »Ich weiß, dass es nicht in Ordnung war, was Charlotte und ich gemacht haben. Es tut mir leid. Ich kann mir nur vorstellen, wie du dich gefühlt hast, als du herausgefunden hast, dass wir uns verliebt haben. Es hätte nicht so laufen sollen.«

Mark ballte die Fäuste, als alles wieder hoch kam. »Du hast mein Vertrauen missbraucht, David. Wir waren nicht nur Mitbewohner, sondern auch Freunde. Sowas tut man nicht.«

»Du hast Recht, Mark. Es hätte ander laufen sollen. Ich hätte ehrlich zu dir sein sollen. Aber bitte glaube mir, weder Charlotte noch ich wollten das.«

Langsam verwandelte sich Marks Ärger in eine Mischung aus Wut und Traurigkeit. »Du hast viel kaputtgemacht, David.«

»Das ist mir klar, aber ...«

Mit dem Heben seiner Hand brachte Mark ihn zum Schweigen. Gerade heute wollte er nichts mehr hören. Keine Ausreden, keine fremden Gedanken. Er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. »Ich fände es besser, wenn du jetzt gehst.«

Für einen Augenblick wirkte David, als wolle er noch etwas sagen, doch dann hob er in einer abwehrenden Geste seine Hände. »In Ordnung.« Als er nickte fielen ihm seine braunen Locken in die Stirn und verbargen seine Augen. »Wie du möchtest.«

So schnell David wieder an seiner Tür aufgetaucht war, so schnell verschwand er auch wieder durch den schmalen Hausflur.

Marks Herz raste. In ihm breitete sich eine Unruhe aus. Alles um ihn herum fühlte sich stickig an, einengend. Unten hörte er, wie die Haustür ins Schloß fiel. Doch der Klang brachte keine Erleichterung.

Ohne weiter darüber nachzudenken griff Mark nach seiner Windjacke und dem Haustürschlüssel. Er musste hier raus. Als er die Haustür erreichte, hörte er hinter sich das Geräusch einer knarrenden Tür. Mark würde jede Wette darauf eingehen, dass Anastasia gelauscht hatte und nun aus ihrem Loch kroch, um Unruhe zu stiften. Eine wirklich unangenehme Frau.

Bevor ihn jemand ansprechen konnte, hatte er das Haus verlassen und machte sich auf den Weg. Er verließ die Hauptstraße und streifte ziellos durch die Gassen. Vor seinen Augen überlagerten sich die Bilder von Daria und Charlotte. Die erste und die letzte Frau, die ihn wirklich interessiert hatten. Wind kam auf und fuhr durch seine Haare. Als er fröstelte bemerkte Mark, dass er noch immer die Jacke in der Hand hielt. Kopfschüttelnd schlüpfte er hinein.

Blätter wirbelten um ihn herum und er folgte ihrem Tanz bis zu einem kleinen Park. Im Schatten der Bäume spürte er zum ersten Mal an diesem Tag, wie die Unruhe ihn verließ. Tief sog er die Luft in seine Lungen. Erst einmal, dann noch einmal. Bis er nicht mehr das Bedürfnis hatte, laut zu Schreien.

Der Park war klein. In seiner Mitte fand sich ein Teich, der von einigen Weiden umgeben war. Mark sog die kühle Luft ein weiteres Mal ein, dann schlenderte er näher. Ein kleiner Pfad führte zum Ufer. Am Ende des Weges stand eine Bank. Links saß eine ältere Frau, aber ihm stand sowieso nicht der Sinn danach, sich hinzusetzen. Wasser hatte ihn schon immer beruhigt, Wasser und Dumas. Aber nachdem er heute schon geritten war, würde der kleine Teich reichen.

Mark ging näher zum Ufer. Die Nachmittagssonne stand tief und leuchte förmlich. Auch wenn sie nicht mehr viel Wärme schenkte, war sie wunderschön. Ein weiterer Knoten schien sich in seinem Inneren zu lösen. Das wäre der perfekte Zeitpunkt für das Universum, um ihm ein Zeichen zu senden, wie er weiter vorgehen sollte. Sein Wunsch brachte ihn zum Lächeln. Als ob sich irgendwer um seine Probleme scheren würde.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie die ältere Frau aufstand und sich ebenfalls dem Ufer nährte. Höflich trat Mark einen Schritt zur Seite, um Platz für sie zu machen. Doch sie trat direkt neben ihn.

»Hallo, Mark Darrer.«

»Frau Allermann?« Überrascht musterte er die Dame mit den perfekt frisierten Locken. »Was machen Sie denn hier?«

Lisas Großmutter lächelte. »Ach, ich habe nur den schönen Herbsthimmel genossen.«

»Haben Sie das?«, erwiderte Mark. Eloquent wirkte er in diesem Augenblick wohl kaum. War Frau Allermann eine Antwort? Oder lediglich ein weiteres Problem?

»Natürlich. Nachdem mir meine Lisa untersagt hat, Bingo zu spielen, mache ich neuerdings mehr Spaziergänge.«

Es erschloss sich ihm nicht, warum seine Schwägerin ihrer Großmutter das Kartenspielen verbieten sollte, aber so wie er sie kannte, hatte Lisa bestimmt ihre Gründe. Vielleicht betrog ihre Großmutter? »Ich verstehe.«

»Ach, tun Sie das?« Lisas Großmutter lächelte unverbindlich. »Aber schön, dass wir uns auch einmal getroffen haben. Ich wollte Sie schon längst einmal kennen lernen. Immerhin gehören Sie jetzt ja auch für mich zur Familie.«

Nachdem seine eigenen Großeltern bereits vor seiner Geburt gestorben waren, hatte Mark keine Vergleichsmöglichkeit. Wie sollte er also mit einer umgehen? Mark räusperte sich. »Nun, möchten Sie, dass ich Sie nach Hause bringe?«

»Sehr gerne, Mark.« Sie hakte sich bei ihm ein und schaute ihm unverwandt in die Augen. »Das gibt uns ja dann die Gelegenheit für eine Unterhaltung.«

WG gesucht - Liebe gefunden (Stadtgeflüster)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt