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Manchmal ist ein Neuanfang notwendig, um das Beste aus dem Leben herauszuholen.

Agatha Christie, in: The Mysterious Affair at Styles

Mit pochendem Herzen starrte Ariane auf die Klausur, die vor ihr auf dem Tisch lag

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Mit pochendem Herzen starrte Ariane auf die Klausur, die vor ihr auf dem Tisch lag. Sollte sie noch einmal die dritte Aufgabe durchgehen? Oder die fünfte? Genug Zeit hätte sie eigentlich noch. Um sie herum herrschte geschäftige Energie. Jemand nieste, ansonsten war alles ruhig, bis auf das Kratzen von Stiften auf Papier. Ari schloss die Augen und atmete tief durch. Nein, jetzt noch wild drauflos zu korrigieren, wäre nicht der richtige Weg. Sie musste ihrem Instinkt vertrauen und loslassen. Langsam schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf. Die Aufsicht nahm ihre Klausur entgegen und lächelte ihr ermutigend zu. Dann verließ Ari den Saal. Vor der Tür traf sie auf Daria. »Oh, du bist auch schon fertig?«, stellte Ari das Offensichtliche fest und umarmte ihre Freundin.

»Ja, es lief erstaunlich gut«, antwortete Daria. »Und bei dir?«

»Ich glaub auch«, erklärte Ari. »Es war gar nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte.«

Sie grinsten sich an.

»Hey, ihr beiden!«, rief eine Stimme hinter ihnen und sofort stellten sich die Härchen auf ihren Armen auf. Luca trat aus einem der Gänge und kam auf sie zu. Er sah verboten gut aus.

»Hi, Luca«, sagten Ariane und Daria gleichzeitig.

»Wie ist es gelaufen?« Luca wirkte gelöst, beinahe entspannt und ähnelte viel mehr dem Mann, den sie vor all den Wochen beim Laufen getroffen hatte. Seine braunen Haare waren zu einem lässigen Zopf gebunden, nur die Hornbrille erinnerte noch an den Dozenten.

»Ganz gut, denke ich«, sagte Ariane.

Daria streckte sich. »Ich bin durch, das muss erstmal reichen.«

Luca nickte zufrieden. »Das freut mich zu hören. Als euer Dozent gehe ich davon aus, dass ihr die Klausur gerockt habt. Was mich zu dem nächsten Punkt bringt.«

Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete Ari, wie Luca auf seine Uhr schaute und den Kopf schräg hielt, als würde er auf etwas warten. Die Türen des Saals öffneten sich und die nächsten Studenten strömten heraus. Im Hintergrund konnten sie sehen, wie die Aufsicht von Reihe zu Reihe gingen, um die Klausuren einzusammeln.

Luca räusperte sich und beugte sich näher zu Ariane. Sein Atem strich federleicht über ihre Haut. »Du weißt, dass ich jetzt nicht mehr dein Dozent bin, oder?«

Oja, und wie sie dies wusste. Dies war der Moment, auf den sie gewartet hatte. Und offenbar nicht nur sie.

Luca nickte Daria zu und griff er nach Arianes Hand. Mit sanften Druck zog er sie hinter sich her. Über die Schulter warf sie Daria einen entschuldigenden Blick zu, die ihn mit zwei erhobenen Daumen kommentierte. Luca wurde immer schneller. Es fehlte nicht viel und sie wären durch die Gänge gejoggt. Vor den Fahrstühlen blieben sie stehen. Ein älterer Kollege hatte bereits auf den Knopf gedrückt und begrüßte Luca mit einem freundlichen Lächeln.

»Siemens, der macht angewandte Mathematik und Stochastik«, flüsterte Luca ihr ins Ohr.

»Hey, Luca!«, rief der Mann fröhlich und fuhr sich durch die grauen Haare. »Alles gut?«

Luca lächelte und nickte. »Ja, alles bestens. Danke. Und selbst?«

Der Fahrstuhl hielt uns sie stiegen ein.

»Ach, wie immer«, erklärte Herr Siemens und drückte auf den dritten Stock. »Hast du Pläne für die Semesterferien?«,

Ariane versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen, doch Luca ließ es nicht los. Mit dem Daumen streichelte er über ihren Puls und Ariane entspannte sich.

»Kann ich noch nicht sagen«, begann Luca, während er sie näher an sich zog, »das richtet sich danach, was meine Freundin so vorhat.«

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Damit hatte sie nicht gerechnet. Zumindest nicht jetzt schon, nachdem er sich so lange geziert hatte. Sie spürte, dass sie unbekanntes Terrain betrat.

Lucas Kollege zwinkerte Ariane zu. »Verstehe, verstehe. Na dann, viel Spaß bei den Verhandlungen. Und seien Sie nicht zu streng mit ihm, er hatte einen anstrengenden Kurs diesen Winter. Erstsemester.« Er schüttelte sich.

»Danke«, murmelte Ariane und wusste nicht, ob es tatsächlich irgendeine angemessene Antwort auf diese Feststellung gab. Der Fahrstuhl hielt und Herr Siemens stieg aus. Als sich die Türen wieder schloßen drückte Luca sie gegen den Spiegel und bedeckte ihre Lippen mit seinem Mund.

»Du hast keine Ahnung, wie sehr ich darauf gewartet habe«, knurrte er zwischen zwei Atemzügen.

Hinter ihr öffneten sich die Türen erneut und sie sprangen auseinander. Ein Frau mit einem Stapel Papieren unter den Armen trat ein, schien aber nichts von bemerkt zu haben. Sie drückte auf das Erdgeschoss und sie fuhren nach unten. Niemand reagierte oder sagte etwas.

Kaum hatte die Frau den Fahrstuhl wieder verlassen, brach Ariane in leises Gelächter aus. »Hattest du nicht gedrückt?« Das Adrenalin der Klausur verschwand langsam, und die Aufregung des Moments übernahm.

»Vergessen«, kommentierte Luca und zwinkerte ihr zu. Dann drehte er sich um und wählte den Stock, in dem sich auch sein Büro befand.

Als sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung setzte, beschränkte er sich darauf, ihre Hand weiter zu streicheln.

»Folge mir«, forderte Luca schließlich, als sie am Ziel waren und zog sie aus dem Fahrstuhl hinter sich her.

Immer schneller durchquerten sie die Flure der Abteilung, bis sie völlig außer Atem vor seinem Büro ankamen.

Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, und Luca wandte sich Ariane zu.

»Endlich alleine«, stellte Luca fest, bevor er sie erneut in seine Arme zog. Er war wie ausgewechselt. In den letzten Wochen hatte sie sich gewünscht, dass er auch einmal die Initiative ergriff. Keine Frage, seine Selbstbeherrschung war bewundernswert, aber sie hatte ihn so oft in Versuchung geführt, dass sie innerlich schon an sich gezweifelt hatte. Jetzt leistete er für ihr Selbstbewusstsein Wiedergutmachung.

Luca schob sie rückwärts zu seinem Schreibtisch, bis sie an der Kante anstieß. »Tztztz, Herr Professor. Jetzt sind sie aber ganz schön ungeduldig.«

»Definitiv«, bestätigte er und hob sie hoch. Mit einer Hand umfasste er Aris Hüfte und zog sie nähe an sich heran. Ari sank zurück, ihre Glieder schienen an Marionettenfäden zu hängen. Ohne ihr Zutun schlangen sich ihre Beine um seine Hüfte.

Luca lockerte seine Krawatte und öffnete die obersten Knöpfe des Hemdes. Dann beugte er sich vor und küsste Aris Hals. Er folgte einer unsichtbaren Spur, die ihn direkt zu ihrem Schlüsselbein zu führen schien. Bisher war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie viele empfindliche Stellen auf diesem Weg lagen. »Weißt du, was das Gute daran ist, dass du jetzt nicht mehr meine Studentin bist?«

»Ich habe ein paar Ideen«, murmelte Ari und befeuchtete ihre Lippen

Luca beugte sich vor und hielt ihre Handgelenke in Höhe ihres Kopfes fest. »Du hast in den letzten Monaten einige ziemlich schmutzige Bilder in meinen Kopf gepflanzt. Und jetzt kann ich mich endlich jedem einzelnen widmen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.«

Oja. Ihr gefiel definitiv die Richtung, in der sich das Gespräch entwickelte.

Er küsste sie hungrig, dann stützte er sich auf den Ellenbogen ab und nahm sich einen Moment, um ihr tief in die Augen zu schauen. »Du bist wunderschön, weißt du das?«

»Du auch«, erwiderte sie grinsend und zog ihm das Band aus den Haaren.

WG gesucht - Liebe gefunden (Stadtgeflüster)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt