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Es waren die besten Zeiten, es waren die schlimmsten Zeiten.

Charles Dickens in: Eine Geschichte aus zwei Städten

Nachdenklich stupste Mark die Kante seines Handys an und beobachtete, wie sich das Gerät auf der Tischoberfläche drehte

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Nachdenklich stupste Mark die Kante seines Handys an und beobachtete, wie sich das Gerät auf der Tischoberfläche drehte. Wenn er ganz ehrlich war, hätte er auch nicht wirklich damit gerechnet, dass Daria sofort antworten würde.

Aber nett wäre es schon gewesen.

Mark lehnte sich zurück und ließ sich gegen die Rückenlehne seines Sofas fallen. In letzter Zeit fehlte ihm der Antrieb. Im Ergebnis war Samstagabend und das Einzige, was er zustande brachte, war daheim auf dem Sofa zu sitzen und zu grübeln. Wenn er nicht aufpasste, würde er sich noch in Paul verwandeln. Mark schüttelte sich.

Aber seid Davids Auszug fehlte ihm einfach die Muße. Eigentlich fehlte ihm sein Freund. David hatte oft interessante Impulse gesetzt. Immer wieder lief die Abschiedsszene vor seinen Augen – eine Demütigung in Endlosschleife. David, wie er entschuldigend die Hand hob und dann Charlotte hinaus folgte. Keine Erklärungen, keine Rechtfertigungen, einfach nur die Präsentation von nackten Tatsachen. Und sein Besuch letzte Woche, der einfach zu spät war.

Das Türschloss drehte sich und überrascht drehte sich Mark um, als sich seine Haustür öffnete.

»Liebling, ich bin zu Hause!« Ein hellbrauner Schopf schob sich durch den Spalt hindurch.

»Ben?« Mark blinzelte überrascht. »Ich dachte, du bist in Fulda?«

»Nur bis letztes Wochenende.« Mit einem dumpfen Aufprall landete Bennets Seesack neben ihm auf der Couch. Wie merkwürdig, dass er diesen Freund hatte, der sich selten meldete und mit dem er nichts teilte. Dennoch, aus welchen Gründen auch immer, hatte Ben ihn niemals enttäuscht.

»Warum hast du nicht angerufen?« Mark stand auf und umarmte seinen Freund zur Begrüßung.

Ben drückte ihm den Reserveschlüssel in die Hand. »Dann wäre es keine Überraschung gewesen. Du solltest übrigens ein besseres Versteck für den finden. Ich meine, ernsthaft? Die Blumenvase?«

Kopfschüttelnd stand Mark auf, um aus der Küche zwei Flaschen Limonade zu holen. »Das ist eigentlich meine Reserve«, brummte er aus den Tiefen seines Kühlschranks. »Soll heißen, keine Selbstbedienung. Für Gäste gibt es die Klingel.«

Ben legte seine Beine auf den Couchtisch und hob theatralisch seine Hände. »Ich kann mich nur wiederholen: Wo wäre da die Überraschung geblieben?«

Bei seiner Rückkehr schob Mark sanft aber bestimmt die zumindest bestrumpften Füße von seiner Tischplatte. »Du lebst immer für einen guten Auftritt, hm?«

»Was soll ich sagen? Deine Beliebtheit besteht nur in dem Maße, in dem ich sie dir zubillige? War ein Klassiker.« Bens Grinsen zeigte strahlend weiße Zähne.

Die winzige Spitze ließ Mark von sich abprallen. Mit der Flasche prostete er Ben zu. »Hat doch funktioniert, oder?«

»Ansichtssache. Apropos, wie geht es Daria so?«

Mark verschluckte sich. Hustend stellte er seine Flasche zurück auf den Tisch.

»So gut also? Man, du machst echt keine Fortschritte.«

»Willst du mir etwa Tipps geben? Du stehst nicht mal auf Frauen!« Mark bedachte seinen Freund mit einem müden Lächeln. Bisher hatte er nie Hilfe gebraucht. Nunja, solange es nicht um Daria ging. Charlottes Anzeichen waren zumindest rückblickend nicht zu übersehen gewesen.

»Ich stehe auf Musik, mein Lieber. Verstehst du Musik, verstehst du auch Frauen.«

»Soso.« Mark kratzte sich mit der linken Hand am Ohr. Irgendwie war der Gedanke witzig, dass sich jemand, der sich so wenig von Musik inspirieren ließ wie Daria, von einem Sänger deuten ließ. »Und, was sagt dir dein Verständnis von Frauen in Bezug auf unsere geliebte ehemalige Mitschülerin.«

Ben grinste. »Du bist sowas von am Arsch. Allerdings schon immer gewesen.«

Lachend warf Mark eins der Kissen nach ihm. »Erzähl mir etwas Neues!«

Ruckartig setzte sich Ben auf und fächerte elegant seine Arme zur Seite. »So sehr fehlt mir ihr Gesang.« Seine warme Tenorstimme legte sich wie ein Umhang um Mark und die jahrelange Erfahrung füllte jeden Ton mit einer Bedeutung.

»Daria singt nicht«, erklärte Mark, als Ben seine Vorstellung unterbrach.

»Diesmal ging es auch nicht um sie. Ich bin hier, um mit dir zu feiern.« Bens Augen leuchteten, als er sich vorbeugte und seine Ellenbogen auf den Knien abstützte.

Mit seinem Finger deutete Mark auf die Flaschen mit Limonade. »Reicht das oder brauchen wir etwas Stärkeres?«

»Auf jeden Fall!« Ben stand auf und warf sich in Pose. »Rate, wer ab nächster Saison die Hauptrolle in der Hamburger Inszenierung von Liebe stirbt nie besetzt?«

»Alexander Klaws?«

Bens überraschter Gesichtsausdruck war Gold wert. Er legte seine Hand auf den Brustkorb. »Ein Stich ins Herz, mein Freund.«

»Tja, wofür hat man Freunde?«

In Bens Augen schimmerte seine Liebe zur Kunst. »Um einen auf dem Boden der Tatsachen zu halten. Ein Jahr Hamburg. Ich könnte schreien vor Glück.«

Mark bedachte seinen Freund mit einem langen Blick, bevor er aufstand und in die Küche ging. Auf den Schränken tummelten ein paar angebrochene Flaschen, noch aus der Zeit, in der er die ein oder andere WG-Party mit David verbracht hatte. Wahllos griff er zu und beförderte eine Flasche Rum hinunter. Die würde genügen. Als er dieses Mal aus der Küche zurückkehrte, blickte Ben mit einem versonnenen Lächeln aus dem Fenster. Zweifellos stellte er sich gerade den donnernden Applaus vor, oder etwas anderes abgedrehtes. Zuerst schenkte er Ben ein, dann sich selbst. Auch wenn Ben unstet war, seine Ensembles ständig wechselten und er privat so zuverlässig wie ein verstopfter Abfluss war, freute Mark sich sehr, dass er nun in Hamburg auftreten würde. Zumindest für eine Zeitlang. Hamburg war nah und selbst ein Laie er er wusste, dass es das Mekka für Musicals war.

»Weißt du was?« Ben richtete sich ruckartig auf. »Wir sollten ein Treffen machen. Die alte Gang wieder zusammen bringen.«

»Du klingst so, als wären wir irgendetwas besonderes gewesen«, wiegelte Mark ab.

Theatralisch griff sich Ben an die Brust in Höhe seines Herzens. »Aber das waren wir doch!«

Schweigend tranken sie einen Schluck Rum und die Schärfe des Alkohols weckte seine Energien. Waren sie das wirklich gewesen? Seine Erinnerung an die Schulzeit schien sich von Bens zu unterscheiden.

Das Klacken eines Glases riss ihn aus seinen Überlegungen. Ben hatte sein Getränk auf den Glastisch gestellt und verschränkte die Hände vor seiner Brust. »Hast du eigentlich eine Ahnung, warum es kaputt gegangen ist?«

Mark zuckte mit den Schultern. »Du bist auf die Academy nach Hamburg gegangen und die anderen sind auch nach und nach abgewandert. Schließlich waren nur noch Daria und ich übrig. Und das hat nicht gereicht.«

Schließlich war es Ben, der die Frage stellte, die ihn auch beschäftigte: »Aber warum eigentlich nicht?«

WG gesucht - Liebe gefunden (Stadtgeflüster)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt