Teil 6

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Sobald es zur Mittagspause geklingelt hatte, hörte ich wie die Stühle über den Boden scharrten und der Raum füllte sich mit Gesprächen.
"Komm, in der Cafeteria gibts Essen." Lily berührte mich am Arm und half mir unbeschadet durch die Klasse zu kommen.
"Und, wie findest du es bis jetzt?" Fragte sie.
"Ganz gut. Der Unterricht war doch nicht so beschwerlich, wie ich erst gedacht hab. Und die meisten Leute sind okay, aber ich kenn die ja kaum." Ich zuckte mit den Schultern.
"Was gibts zu Essen?" Versuchte ich einen Themenwechsel.
"Montags ist Lasagne-Tag." Verriet sie mir und ich konnte ihr das Grinsen anhören.
Mein Magen freute sich über diese Nachricht und gab ein fröhliches Grummeln von sich.
Der Weg zur Kantine war nicht weit und sie befand sich auch auf dieser Etage.
Lily lotste mich zu einem Tisch und sagte:"Ich hol uns das Essen. Bleib einfach hier und pass auf."
Am Anfang pulte ich an meinen Fingernägeln, aber nachdem ich bemerkt hatte, dass sie schon total abgefressen waren, hörte ich auf.
Eine Weile lauschte ich den Menschen um mich herum, bis mir das zu langweilig wurde.
Wo blieb Lily nur?
Ich fuhr zusammen, als ich spürte, wie sich jemand neben mich setzte.
"Lily?" Fragte ich, denn irgendwie kam mir die Person deutlich größer und fremder vor.
"Nicht ganz. Jason." Meinte eine männliche Stimme und innerlich stöhnte ich genervt auf.
Früher, vor meiner Blindheit, da hatte ich viel mit 'Bad Boys' zu tun und sie wollten halt alle nur 'das eine'. Jason war hundertprozentig so einer.
"Was willst du denn?" Meine Stimme klang dünn, ein bisschen ängstlich.
"Mich vergewissern, ob du wirklich nichts sehen kannst. Weil irgendwie glaube ich dir das nicht so ganz." Er redete in einer so arroganten Art, dass mir das Kotzen kam.
"Wieso sollte ich denn lügen? Weißt du wie es ist sein Augenlicht zu verlieren?" Ich wusste jetzt schon, dass das hier ein unangenehmes Gespräch werden würde. Na klasse.
"Ich weiß nicht. Siehst du denn schwarz oder wie? Kennst du überhaupt sowas wie Farben?" Jason sagte das so, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen. Arschloch.
"Ich bin doch nicht behindert. An meinem fünfzehnten Geburtstag verlor ich einfach meine Sicht. Und sie wird auch noch für ein zwei Jahre weg bleiben. Und ja, alles ist schwarz" Erklärte ich und wusste nicht, warum ich diesem nervigem Jungen meine Geschichte erzählte.
"Aha." Gab er zurück.
"Lass mich testen ob du wirklich blind bist, weil ich das immer noch nicht fassen kann." Ein Schauer lief mir über den Rücken. Testen?
"Was zum...?" Ich hörte ein Schnipsen direkt vor meiner Nase.
"Was soll das?" Der Typ hatte sie nicht mehr alle.
"Ich probier nur was aus" Verteidigte er sich.
"Wir viele Finger halte ich hoch?" Fragte Jason und damit war meine Geduld am Ende.
"Was soll das denn? Es ist mir egal ob du mir nun glaubst oder nicht." Ich spürte wie meine Wangen rot vor Wut wurden.
"Oh, wie süß. Die kleine November wird sauer." Er seufzte gespielt schmachtend und wandelte meine Wut und Verlegenheit um. "Nenn mich nicht so." Ich versuchte ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, aber ich wusste nicht, ob ich das überhaupt konnte.
Plötzlich war etwas genau vor mir und war nur ein paar Millimeter von meinem Gesicht entfernt.
"Tut mir leid, November." Flüsterte Jason und er war mir so nah, dass ich Gänsehaut bekam.
"Was machst du da?" Schüchternheit überkam mich und ließ mich wirken wie ein verliebtes kleines Mädchen.
"Jason, was zur Hölle treibt ihr da?" Ich erkannte Lilys Stimme und hatte mich noch nie so auf Lasagne gefreut.
Jason war zurückgewichen und meinte seelenruhig: "Eigentlich wollte ich nur wissen ob sie wirklich nichts sehen kann, aber anscheinend können selbst blinde Mädchen mir nicht widerstehen."
Diese Hochmütigkeit ging mir so auf den Geist, dass ich nach dem nächstbesten Griff und in Jasons Richtung schleuderte.
Bedauerlicherweise hatte ich mein Ziel verfehlt, denn es erklang ein spitzer Schrei, der definitiv nicht von Jason kam.
Ich hatte mit dem Getränk, das Lily wahrscheinlich gerade geholt haben musste, so daneben geworfen, dass es umso peinlicher war.
"Was fällt dir ein, du kleines Mist..." "Lass sie in Ruhe, Katy! Los komm, lass uns abhauen." Lily griff nach meinem Arm und zog mich weg.
"Das werd ich die heimzahlen, Bitch!" Schrie das Mädchen, dann war es still. Wir waren glaube ich in einem Gang und flüchteten vor dem peinlichen Erlebnis.
"Was war das denn?" Lily war so wie ich noch außer Atem.
"Dieser Jason hat mich so angekotzt, da wollte ich ihm was an den Kopf werfen, aber irgendwie hab ich nicht getroffen." Mir wurde das Ausmaß der Situation erst jetzt bewusst und versteckte mein Gesicht in meinen Händen. Das war ja so peinlich.
"Hab ich gesehen. Du hast Katy getroffen und ich sag dir, es hätte nicht noch schlimmer werden können. Wahrscheinlich werden sie dich jetzt nie mehr in Ruhe lassen. Aber was war das mit Jason? Es sah so aus, als hättet ihr euch fast geküsst." Ich hörte den Ekel in ihrer Stimme und verzog angewidert den Mund. Das wärs ja noch gewesen.
"Er wollte sehen ob ich wirklich blind bin." "Jason ist ein Arsch."
"Ich weiß."
Es klingelte und schon näherten sich die ersten unbekannten Stimmen.

{Rechtschreibfehler sind dabei}

Blind LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt