Ca um sieben Uhr stand Lily vor meiner Zimmertür. Jedenfalls kam es mir vor wie sieben.
Sie half mir mit den Klamotten und schminkte leicht meine Wimpern.
"Danke, ich weiß nicht was ich ohne dich tun würde." Ich lächelte dankbar und nahm meine Tasche.
"Wahrscheinlich würdest du jeden Tag rum laufen wie ein Straßenpenner." Sie lachte und ich hörte wie sie mir nach unten folgte.
"Heute solltest du dich von Jason und Katy fern halten, ansonsten kann ich für nichts garantieren." Sie half mir in ihr Auto, über das sie stundenlang reden konnte, weshalb ich auch wusste welche Farbe es hatte und wo welche Kratzer waren.
"Hatte ich eh vor. Aber apropos Jason. Ich hab letzte Nacht von ihm geträumt." Gab ich zu und erwartete einen filmreifen Vortrag darüber, dass ich entweder in Jason verliebt war oder er in mich. Vermutlich beides.
Aber stattdessen schwieg sie eine Weile und das einzige Geräusch war das Brummen des Motors.
"Weißt du, ich frag mich wie du ihn dir eigentlich vorstellt. Ich mein, du weißt ja im Grunde nichts über sein Aussehen." "Na ja, in meinem Traum hatte er braune normale Haare und war sehr groß. Ich glaube er hatte braune Augen. Ein bisschen wie Francisco Lachowski." Ich musste grinsen, denn vor meiner Blindheit hatte ich sehr für diesen Typen geschwärmt, aber mittlerweile interessierte er mich nicht mehr so. Ich konnte ihn ja schließlich nicht ansehen und bestaunen.
"Da liegst du gar nicht mal so falsch," Wir lachten, aber als Lily meinte, dass wir gleich da wären, fühlte ich etwas komisches in der Magengegend.
"Ich hab keine Lust heute. Ich weiß, es ist erst der zweite Schultag, aber wenn es so wie gestern wird, dann zieh ich um." Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blieb trotzig sitzen, als Lily den Wagen anhielt.
"Ach komm schon, Amber. Ich pass schon darauf auf, dass du denen nicht begegnest. Das wird schon." Ich wusste, dass sie mich tröstend anlächelte und solange auf mich einreden würde, bis ich nachgab.
Da ich nach dieser Konversation eh auf sie hören würde, ersparte ich mir das Gespräch und stieg aus; und flog prompt auf die Fresse.
Ich legte mich der Länge nach hin und knutschte den Asphalt.
"Aua!" Nuschelte ich und versuchte auf die Beine zu kommen.
"Shit, alles in Ordnung? Ich hätte dir sagen sollen, dass da die Bordsteinkante ist." Sie zog mich am Arm hoch und wischte den Dreck von mir runter.
"Hättest du. Hat das jemand gesehen?" Fragte ich und sah mich um; unnötiger Weise.
"Ähm...."
"Na sieh mal einer an. Die kleine November hat wohl letzte Nacht nicht genug Schlaf bekommen und musste dann hier auf dem Boden schlafen. Hast du zu viel von mir geträumt?" Ich kannte diese arrogante hochmütige Stimme und sie ging mir endgültig auf die Nerven.
"Das ist nicht witzig, Jason! Sie hat's ja nicht gesehen!" Verteidigte Lily mich und gab mir meine Tasche, die ich fallen gelassen hatte.
"Ach, Lilymäuschen, dich gibts ja auch noch. Wir haben lange nichts mehr miteinander gemacht. Wie wärs? Kino und danach zu dir? Wie immer?" Ich wusste, dass auch Lily ihm wegen seinem selbstgefälligem Grinsen (ich musste es nicht sehen, um zu wissen, dass es da war) ins Gesicht schlagen wollte.
"Zieh Leine, Jason. Du nervst!"
"Bis nachher, Novemberchen." Schritte entfernten sich und Lily atmete hörbar aus.
"Sorry, aber ich muss dir leider sagen, dass ich ab sofort in Albanien leben werde." Verkündete ich und brachte ein gequältes Lächeln zustande.
"Albanien? Im ernst? Du weißt, dass ich dir hinterherreisen würde, um dich dann wiederherzuschleifen, oder? Jetzt komm, der Unterricht beginnt gleich." Sie hakte sich bei mir unter und lotste mich vom Parkplatz zum Schulgebäude.
Wir hatten zuerst Physik und das war auch nicht grad mein Lieblingsfach. Eigentlich alles wo man rechnen oder irgendwelche Formeln auswendig lernen musste. Mir lag eher Musik, denn ich konnte mich in der Melodie eines Liedes verlieren. Ich verstand im Unterricht mal wieder Null und versuchte so gut es ging mitzuschreiben (Anmerkung: Sie schreibt mit einem speziellen Stift, der alles ins Papier eindrückt, sodass sie es in Blindenschrift lesen kann), aber wahrscheinlich würde ich die Zusammenhänge später eh nicht mehr verstehen.
Als nächstes schlich sich Englisch rum und klatschte mir wieder einen Haufen an Hausaufgaben ins Gesicht.
Mittagspause.
Angst kroch meinen Rücken hoch und machte sich in mir breit.
"Hey, alles wird gut. Wir essen heute einfach draußen, okay?"
"Mhm." Gab ich zurück und versuchte meine zitternden Hände unter Kontrolle zu bekommen.{Rechtschreibfehler sind dabei}