What We Could Be

3.

Irgendwann abends kommt Maureen ins Zimmer und Minna, Sophie und ich sehen sie fragend an.
"Die anderen spielen Wahrheit oder Pflicht und fragen, ob wir auch mitmachen wollen."
"Wer genau sind die anderen?", will ich wissen und ich sehe, wie Minna mir einen Blick zuwirft, den ich fast als dankend, dass ich die Frage gestellt habe, deuten würde.
"Ach ja. Pauline, Vicky, Klara, Caro, Hermine und die Jungs halt."
In dem Moment, wo Maureen Hermine erwähnt bin ich raus. Hermine und ich sind nicht zerstritten oder so, es ist einfach nur so, dass ich sie nicht leiden kann (was womöglich auf Beidseitigkeit beruht).
"Ich komm' mal mit gucken. Aber ob ich mitspielen werde, weiß ich noch nicht", meint Sophie und steht auf. Maureen sieht erst Minna, dann mich an. Ich schüttele den Kopf und Minna sagt: "Ne, macht ihr ruhig mal."
Maureen schüttelt enttäuscht den Kopf, was ihre dunklen Locken zum Wippen bringt.
"Sicher?", will Sophie von mir wissen und ich nicke. Dann verlassen die beiden auch schon das Zimmer und Minna und ich sind allein.

"Wahrheit oder Pflicht...pff", sagt Minna nach einer Weile und ich beginne zu lachen.
"Das spielen doch nur übermütige Teenager, oder?", frage ich kichernd und Minna zuckt mit den Schultern.
"Ich habe es vielleicht zweimal gespielt und beide Male nur Wahrheit genommen. Ich konnte meinen Mitschülern nie trauen", gibt Minna zu und ich nicke.
Dann Stille...

"Mist", schimpft Minna ein paar Minuten später und verlässt stöhnend ihr Bett.
"Was denn?", will ich wissen und stelle mich neben sie.
"Kein Akku mehr", kurz kramt sie in ihrer Tasche und gleich darauf noch ein Stöhnen. Da ich schätze, dass sie ihr Kabel vergessen hat, gehe ich zu meinem Rucksack rüber.
"Bitteschön", sage ich und überreiche ihr das pinke Glitzerkabel, was ich mal in London gekauft habe.
"Dankeschön", meint sie etwas schüchtern und steckt ihr Handy damit in die Steckdose.
"Also...äh...hast du dir das Ganze auch irgendwie spannender vorgestellt?", frage ich und klettere wieder ins Bett hoch. Minna zuckt nur mit den Schultern: "Naja, geht schon."
Mann...warum kann sie denn nicht ein bisschen mehr sagen? Warum muss ich hier das Gespräch am Laufen halten?
Langsam werde ich aggressiv.
Da ich nicht weiter verzweifelt versuchen will, ein Thema anzufangen, schnappe ich mir das Buch, das ich mir für solche Momente mitgenommen habe und beginne auf der Seite, wo ich aufgehört hatte.
"Was liest du da?", fragt Minna nach einer Weile und ich sehe zu ihr auf und zeige ihr das Cover des Buches. Ich kann bei ihr so gar nicht einschätzen, ob sie genauso ein Bücher Junkie ist wie ich oder nicht. Obwohl, wenn sie Bücher liest, dann doch sicherlich sowas wie Harry Potter...solche Leute sind mir suspekt.
"Ha!", sie lacht und holt das gleiche Buch aus ihrem Rucksack.
"Nein!", sage ich nur und muss lachen.
Da meine Ausgabe aber schon etwas zerknittert und ausgeblichen ist, erkennt Minna, dass es sicher nicht das erste Mal ist, dass ich es lese.
"Aber keine Spoiler, bitte. Ich bin erst bei Kapitel drei", meint sie lächelnd und ich winke ab.
"Keine Angst. Ich will dir ja nicht den Spaß verderben."
Jetzt lächeln wir uns nur an und auf einmal beginnt mein Herz schneller zu schlagen.

Irgendwann sind wir beide so in die Bücher vertieft, dass wir gar nicht mitbekommen, wie die Zeit vergeht.
"Na, was habt ihr die ganze Zeit gemacht?", Maureen lässt sich auf den Stuhl am Tisch fallen und Sophie betritt hinter ihr das Zimmer.
Minna und ich heben gleichzeitig unsere Bücher in die Luft und Maureen nickt.
"Wie spät ist es eigentlich?", frage ich und will schon nach meinem Handy greifen, da antwortet Sophie.
"Halb zehn!"
Na toll, da kommt in einer halben Stunden unsere Lehrerin und checkt, ob wir schon auf dem Weg ins Bett sind. Also gehen wir in das große Bad.

- - -

Die Lampe zwischen den beiden Betten brennt, als wir dann gegen 22 Uhr in den Betten liegen. Ich sehe nach Minna und bemerke, dass ihr Blick an mir hängen geblieben ist. Da ich sonst nicht weiß, was ich tun soll, lächle ich ihr zu und sie erwidert es schüchtern.
Irgendwann klopft es an unserer Tür und nachdem ich "Herein" gerufen habe, betritt Frau Müller das kleine Zimmer und sieht zuerst mich verwundert an, dann die anderen.
"Na das ist ja eine Überraschung. Sie sind die erste Gruppe, die schon komplett im Bett liegt! Und dabei ist das hier das vorletzte Zimmer auf meinem Rundgang."
Ich merke, wie Minna sich die Hand vor den Mund hält, um ihr Lächeln zu verstecken, was bei mir natürlich den gleichen Effekt hat.
"Gute Nacht dann", meint unsere Klassenlehrerin und wir erwidern den Gruß und schließlich verlässt sie den Raum auch wieder.
Sofort höre ich Maureen lachen, dann beugt sie sich aus ihrem Bett raus, um zu Minna und mir zu sehen. Wir tauschen einen Blick aus der so viel heißt wie: Was denkt Frau Müller sich denn? Wir sind alle fast achtzehn und müssen doch nicht mehr belehrt werden.