38.

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"Ally, Schatz. Was ist denn mit dir los?", fragt sie, doch ich schüttele abwehrend den Kopf.
Ich sehe es nicht, aber ich spüre den Blick, den sie Minna zuwirft. Meine Freundin zuckt entschuldigend mit den Schultern, ehe sie mich auf den Rücksitz schiebt. Dann setzt sie sich neben mich und schließt hinter sich die Tür.
Meine Mom setzt sich hinter das Steuer und startet das Auto.

"Ist es okay, wenn ich heute hier bleibe?", höre ich Minna meine Mom fragen, als wir den Flur unserer Wohnung betreten.
"Aber natürlich. Du bist Allys Freundin, natürlich bist du hier immer willkommen."
"Danke", flüstert Minna und führt mich hoch in mein Zimmer.
Irgendwie laufen immer noch Tränen über meine Wangen, die ich einfach nicht stoppen kann. Ich setze mich auf mein Bett und merke, wie Minna neben mir Platz nimmt und ihren Arm um meine Schultern legt.
"Du bist ja eiskalt", sagt sie, als sie ihre Hand auf meine legt. Ich zucke mit den Schultern und Minna steht auf, dreht die Heizung auf und nimmt aus dem Schrank meinen Lieblingspulli.
Schweigend nehme ich ihn ihr aus der Hand und ziehe den schwarzen Pullover aus und den lilafarbenen an.
Ich binde mir meine Haare zusammen und lasse mich dann nach hinten auf das Bett fallen. Minna tut es mir gleich und so sehen wir gemeinsam durch das Fenster an der Dachschräge.
Als ich nach fast einer halben Stunde immer noch weine, legt Minna ihre Finger unter mein Kinn, um mein Gesicht zu sich zu drehen.
Ausweichend sehe ich nach unten, will meinen Kopf wegdrehen, damit sie mich nicht so sieht, doch, als sie meinen Namen sagt begegne ich ihrem Blick.
Schweigend beginnt sie, die Tränen auf meinen Wangen wegzuküssen. Ihre Lippen sind sanft auf meiner Haut und obwohl mir gerade echt nicht nach lächeln zumute ist, bewegen sich meine Mundwinkel nach oben.
"Kannst du Musik anschalten? Ich halte die Stille nicht aus", sage ich und deute auf die Bluetooth Box auf meinem Regal. Meine Freundin nickt lächelnd und greift danach. Ohne zu fragen schnappt sie sich mein Handy und verbindet es mit der Box.
Sekunden später erfüllt ruhige Musik den Raum und ich fühle mich gleich ein bisschen besser.
Minna legt ihren Arm um meine Schulter und zieht meinen Körper noch ein Stück näher zu sich, als sie sich zu mir ins Bett legt.
"Alles gut. Sophie hatte vielleicht bloß einen schlechten Tag", versucht es Minna, doch ich schnaube nur.
"Pff...keine Ahnung, aber irgendwie...naja...wusste ich, dass sie so reagieren würde. Deshalb...naja...deshalb wollte ich es noch ein bisschen hinauszögern, bevor ich es ihr sage."
Minna legt ihre Hand auf meinen Rücken und sagt: "Auch wenn sie es noch nicht herausgefunden hätte, denkst du, sie hätte anders reagiert, wenn sie es später erfahren hätte?"
Ich zucke mit den Schultern: "Keine Ahnung. Aber wenn ich es ihr gesagt hätte, dann wären wir nicht ausgerechnet in der Öffentlichkeit gewesen."
"Guter Punkt. Aber du kannst es jetzt eh nicht mehr ändern. Auch sie wird es irgendwann akzeptieren."
Ich nicke: "Hoffentlich."
Dann schweigen wir. Aber es ist ein gutes Schweigen. Jeder ist irgendwie in seine Gedanken vertieft und ab und zu hört man mal ein Schnaufen. 
Der Himmel über uns wird immer dunkler und es ziehen graue Wolken auf. 

"Wie spät ist es?", höre ich Minna fragen und beginne zu blinzeln. Ich war doch tatsächlich eingeschlafen. Ich greife zu meinem Smartphone, um die Uhrzeit zu checken. Fast viertel sieben.
Minna nickt. Ich will schon mein Handy wieder beiseite legen, da kommt eine Nachricht von meiner Mom.
Wollt ihr hier unten mit uns essen?
Ich sehe Minna fragend an, die die Nachricht ebenfalls gelesen hat. Sie nickt zustimmend und ehe wir runtergehen, zieht Minna mich in unser Bad hier oben.
"Darf ich...?", fragt sie und ich weiß erst gar nicht, was sie will, doch da hält sie mir einen Waschlappen entgegen.
"Mach' die Augen zu", haucht sie und ich folge ihrer Anweisung. Dann höre ich, wie sie den Wasserhahn aufdreht, um den Lappen darunter zu halten.
Auf einmal spüre ich das nasse Stück Frottee an meiner Haut und muss schmunzeln. Vorsichtig fährt sie damit über meine Wangen und um die Augen herum, damit ich wenigstens nicht allzu verheult aussehe.
"Jetzt siehst du wenigstens nicht mehr wie so eine Gruselgestalt aus", sie grinst mich an und ich muss lächeln.
"Na komm'."
Gemeinsam gehen wir die Treppe nach unten und ich greife nach Minnas Hand, um sie ins Esszimmer zu führen.

"Da seid ihr ja!", meine Mom strahlt uns beide an und deutet auf die zwei Plätze gegenüber von ihr und meinem Dad. An der Stirnseite sitzt mein Bruder und ist schon dabei, fleißig das Hähnchen in sich hineinzustopfen.
"Also falls du Vegetarierin bist, Minna, wir hätten auch...", beginnt meine Mutter, doch Minna schüttelt den Kopf.
"Alles gut so. Hähnchen ist prima."
Ich reiche ihr die Schale mit den Pommes, von welchen sie sich einige auf den Teller schaufelt. Ich muss schmunzeln und ignoriere dabei meinen Bruder, der schon wieder von seinem Informatik Kurs in der Schule zu reden beginnt.

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