22.

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Es ist Abend und wir sitzen mal wieder alle im Wohnzimmer und jeder macht so sein Ding. Alex steht auf, verabschiedet sich und geht in sein Zimmer, als es ihm zu langweilig wird.
Meine Mom scrollt mal wieder durch ihr Instagram und von weitem sehe ich auch meinen Dad irgendein Spiel auf seinem Handy spielen. Ich räuspere mich.
Seit dem Kuss mit Minna lassen diese Gefühle einfach nicht locker. Ich denke ununterbrochen an die ganze Situation und habe mich jetzt endlich dazu entschlossen, es meinen Eltern zu sagen.
"Ist was, Schatz?", fragt mich meine Mutter und sieht mich fragend an. Zögernd gehe ich auf den Hocker an der Heizung zu und lasse mich nieder. So ist eine gewisse Distanz zwischen uns und ich kann ihre Reaktion besser beobachten.
Als ich tief Luft hole, blickt nun auch mein Vater auf und legt sein Smartphone beiseite.
Scheiße, was mache ich hier?
Einfach gerade raus? Oder doch lieber erst um den heißen Brei herum? Scheiße!
Ich glaube ich breche es ab, doch da sind die Worte schon über meine Lippen: "Ich stehe auf Frauen."
Stille.
Meiner Mutter fallen fast die Augen aus dem Kopf und ihr Mund ist vor Schreck geöffnet. Mein Dad hingegen runzelt die Stirn, sieht erst seine Frau an und dann wieder mich.
"Okay", meint mein Paps und sieht wieder auf sein Handy. Dann Ruhe.
Keiner sagt irgendwas und ich will schon aufstehen, um mich aus dem Staub zu machen, da sehe ich, wie meine Mutter dazu ansetzt, etwas zu sagen.
Also setze ich mich nochmal hin und warte mit klopfendem Herzen auf ihre Reaktion.
"Du...du...was?", fragt sie, sichtlich verwirrt und ich höre ihre Stimme am Ende brechen.
"Ich bin bisexuell."
So. Jetzt habe ich es ausgesprochen!
Kurze Stille.
Ich sehe in das blasse Gesicht meiner Mutter. Sie scheint vollkommen überfordert mit der Situation zu sein und irgendwie tut sie mir leid.
"Und...wie...woran merkst du das?", fragt sie skeptisch und ich hole tief Luft.
"Ich habe mich verliebt."
"Pff", macht meine Mutter und schüttelt abwertend den Kopf.
Ich zucke mit den Schultern, als wäre es das Normalste auf der Welt.
"Du...wie bitte? Verliebt? In ein Mädchen?"
Ich nicke vorsichtig und erkläre: "Naja...die Gefühle waren irgendwie schon immer da. Ich wusste die ganze Zeit, dass irgendwas anders mit mir ist und jetzt ist da dieses Mädchen und ich...ich habe mich verliebt."
Mom sieht immer noch skeptisch aus und langsam finde ich ihre Reaktion etwas respektlos.
Ich will schon ansetzen, um mich zu verteidigen oder es ihr zumindest erklären, da sagt sie: "Ally...ich...ich muss das erstmal verarbeiten."
Sie hat die Hand an ihre Brust gelegt, als hätte sie einen Herzinfarkt oder so und diese Reaktion tut mir weh.
Ich nicke und bemerke, wie sie angestrengt versucht, den Blick meines Vaters zu erhaschen, um ihm dann irgendeinen Blick zuwerfen zu können. Doch der steht auf, bemerkt den gescheiterten Kommunikationsversuch meiner Mom gar nicht und kommt zu mir.
Er legt seine Hand auf meine Schulter und ich sehe zu ihm hoch.
"Das war mutig von dir und ich akzeptiere es. Zwar hatte ich immer auf einen Schwiegersohn gehofft, aber mit einer Schwiegertochter komme ich auch klar."
Dann verlässt er den Raum und mir läuft es kalt den Rücken runter, bei dem Blick, den mir meine Mutter zuwirft.
Ich schlucke und weiß nicht, was ich noch sagen soll.
"Ich glaube, du bist einfach verwirrt", sagt sie nach einer Weile und fährt sich durch die Haare.
Ich schnaufe: "Nein, bin ich nicht."
"Ist sie es?"
Ich sehe meine Mom verwirrt an.
"Diese Minna, die letztens bei dir übernachtet hat?"
Ich schlucke, ehe ich nicke und beobachte, wie Mom nervös an ihrem Armreif rumspielt.
"Nimm's mir nicht übel Ally, aber ich muss darüber nachdenken."
Ich nicke wieder.
"Alleine."
Also stehe ich auf, um in mein Zimmer zu gehen. Als ich an der Küche vorbeikomme, winkt mich mein Dad zu sich. Er nimmt mich in den Arm (die erste Umarmung von ihm, seit ich ein Kind war) und sagt: "Deine Mutter wird schon damit klarkommen. Gib ihr einfach ein bisschen Zeit."
Ich nicke und er lässt mich los, sodass ich in mein Zimmer verschwinden kann.

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