2 Türkischer Kaffee

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Am ersten Abend in Piräus lud Stephanos Christina und Tom zum Essen ein. Sie gingen die wenigen Schritte zum Passalimani, dessen Uferpromenade von kleinen Restaurants gesäumt wurde. Es war zehn Uhr, Straßen und Tavernen waren brechend voll. Stephanos steuerte ein kleines, etwas schmuddeliges Gasthaus an, und nach einer lautstarken und lebhaften Begrüßung durch den Wirt begab er sich zu einem Tisch mit einem dutzend Plätzen, die bis auf drei alle schon besetzt waren. Die nächste Begrüßung war fällig. Die versammelten Freunde der Familie redeten alle gleichzeitig auf Tom ein und umarmten ihn, als ob Stephanos den lange vermissten Sohn heimgebracht hätte.

Tom war überrascht. Im Westfälischen und erst recht in England fielen Begrüßungen, zumal von Fremden, eher karg aus. Umarmungen hatte er eigentlich nur von ältlichen Tanten in unguter Erinnerung. Hier wurde er aufgenommen wie der Cousin aus der Ferne, der endlich seine Verwandtschaft besucht. Erstaunt stellte er fest, dass er alles verstand, was man ihm sagte, obwohl er nur einige englische und französische Brocken erkannte. Und offenbar verstanden ihn auch die Griechen.

Nach geraumer Zeit setzten sich alle wieder. Stephanos nahm ihn an der Hand und führte ihn in die Küche.

„So bestellt man in Griechenland," lächelte er. Er hatte genug Zeit in Deutschland verbracht, um zu wissen, dass die folgende Szene für einen Deutschen befremdlich sein würde.

In der Küche nahm sie der Wirt in Empfang, der sie in Töpfe und Pfannen schauen ließ und zu jedem Gericht eine Geschichte zu erzählen wusste. In einem Gespräch, das in Westfalen als heftiger Streit durchgegangen wäre, bestellte Stephanos von fast allem, das der Wirt ihm anpries.

Besonders laut wurde es, als die Fächer des riesigen hölzernen und mit Stangeneis belegten Kühlschranks der Reihe nach geöffnet wurden. Jeder Fisch und jedes Stück Fleisch führte zu einem Wortwechsel. Auf Stephanos' Geheiß wurden Fische und Fleischstücke in Blechschalen gelegt. Schließlich verließen sie die Küche, nicht ohne eine weitere mahnende Ansprache an den Wirt. Stephanos grinste:

„So macht man das in Griechenland. Jetzt wissen wir genau, was die uns auf den Teller legen."

In diesem Augenblick wurde Tom klar, wie weit weg von Zuhause er war, und er fand es unendlich geil. Seine Unsicherheit verschwand. Er konnte sogar zurückgrinsen:

„In Hohenberg hätten sie Dich dafür erschossen."

Stephanos' Stimme nahm einen spöttisch-verschwörerischen Ton an:

„Sag's nicht weiter, aber genau deswegen wohne ich in Griechenland, und nicht in Hohenberg." Das heißt, eigentlich sagte er „Kriechenland" und „Chochenberg".

Kaum waren sie zum Tisch zurückgekehrt, als Karaffen mit Rotwein und Eiswasser, viele kleine Teller und Schälchen mit Vorspeisen sowie Brotkörbe gebracht wurden. Tom war froh, zwischen Georgios und Sophia zu sitzen, die die Fragen der Erwachsenen und seine Antworten übersetzten. Georgios war 15 wie er, seine Schwester ein Jahr älter. Auf die Fragen, die sie sich zurechtgelegt hatten, um das Gespräch in Gang zu bringen, brauchten sie gar nicht zurückzugreifen.

Georgios kündigte an, er wollte Tom in den nächsten Tagen ein U-Boot zeigen, was der spannend fand. Die Vorfreude relativierte sich etwas, als er erfuhr, dass das U-Boot ein Museum und obendrein an Land war. Sehr interessant fand er allerdings die Karriereaussichten griechischer U-Boot-Kommandanten, denn Georgios erzählte voller Stolz, dass sein Vater ein solcher gewesen sei und nun, mit 42, als Pensionär ein Brautgeschäft betrieb, in das er seine Abfindung investiert hatte. Tom nahm sich vor, die entsprechenden Regelungen bei der Bundesmarine in Erfahrung zu bringen, mit enttäuschendem Ausgang, wie sich später herausstellen sollte.

Die richtigen Leute Band 1: Die grüne LeuchtschriftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt