35 Nicht zum ersten Mal

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Toms Schlaf war tief, lang und traumlos. Der Ausflug nach Delphi hatte Kraft gekostet. Er erwachte in einer leeren Wohnung, als das Telefon klingelte. Seine Gastgeber waren zur Arbeit gefahren, und nun rief Georgios an und fragte, ob er mit nach Salamis fahren wollte. Er hatte sich mit einigen Schulfreunden und Verwandten verabredet, die dort den Sommer verbrachten. Tom willigte sofort ein. An diese Insel hatte er nur gute Erinnerungen.

Im Gegensatz zu seiner Schwester steuerte Georgios keinen einsamen Strand am Rand des Hauptortes an, sondern lief mit Tom von dem Dorf, in dem das Schiff anlegte, oberhalb des Meeres entlang zu einer Bucht, die wohl für die Inseljugend reserviert war. Ein Teil des Strandes diente einer Gruppe von vielleicht 30 Jungen zwischen 12 und 18 als Fußballplatz, während an den Rändern kleinere Kinder unter Aufsicht ihrer Mütter oder Großmütter spielten. Mädchen aller Altersklassen hockten in Grüppchen im Sand und diskutierten das Fußballspiel oder vielmehr die Fußballspieler.

Als Georgios und Tom den Strand erreichten, verließen ein paar der Jungen das „Spielfeld", dessen einzige Markierungen zwei „Tore" aus Sandalen und Hemden waren, die die Mitspieler zu diesem Zweck aufgeschichtet hatten. Georgios stellte Tom seinen Freunden vor und tauschte mit ihnen die neusten Nachrichten aus. Tom schaute sich derweil verstohlen die versammelten Inselschönheiten an, die ihn früher einmal durchaus interessiert hätten. Aber schließlich war er so gut wie verlobt und stand obendrein unter der Aufsicht seines zukünftigen Schwagers.

Außerdem juckte es ihn, bei dem Fußballspiel mitzumachen, dessen Regeln ihm allmählich klar wurden. Mit den international üblichen hatte es wenig zu tun, was sich da abspielte. Die Jungen spielten barfuß mit einem Plastikball, und gegen einen großgewachsenen, etwa 17-Jährigen, der trickreich alle Gegner ausspielte und sogar ein Tor schoss, sahen alle anderen ziemlich amateurhaft aus. Es war genau dieser Junge, der hin und wieder aus dem Mädchencamp angefeuert wurde.

Fußball durfte sich das Spiel nennen, weil der Ball mit dem Fuß getreten und ein Schuss zwischen den beiden Kleiderhaufen hindurch als Tor bejubelt wurde. Vom Eishockey entlehnt war, dass jeder aus- oder einsteigen konnte, um eine Zigarettenpause einzulegen oder etwas zu trinken. An Rugby erinnerte, dass die Gegenspieler gerne auch einmal angerempelt oder in den Sand geworfen wurden. Hin und wieder gab es kleine Raufereien, die mit viel Geschrei und noch mehr Lachen ausgetragen wurden.

Tom spielte zuhause nicht gerne Fußball, wo jeder Kontakt mit der Asche des Platzes ein blutiges Knie oder aufgeschürfte Ellenbogen zur Folge hatte. Im Sand schien das deutlich mehr Spaß zu machen, und so reihte er sich mit Georgios zusammen in die Mannschaft ein, die definitiv keine Siegchance hatte, weil die andere von dem Jungen angeführt wurde, der etliche Gegner in kürzester Zeit ausschalten konnte. Sofort wurde er angespielt, und schon war er ein Teil der schreienden, lachenden, raufenden Meute, die im Rudel dem Ball hinterherrannte.

Nach zwei Gegentoren bot sich endlich die Chance für Toms Mannschaft. Er lief auf der linken Seite in Richtung des gegnerischen Tors, als der Ball zu ihm zurückgespielt wurde. Gerade wollte er ihn zu einem Spieler passen, der in der Mitte unbedrängt auf das Tor zu sprintete, als er von hinten festgehalten wurde, sodass sich ein Gegner den Ball angeln und den Angriff stoppen konnte.

Der Griff wurde auch nicht gelöst, als der Ball längst auf der anderen Seite unterwegs war, und als Tom sich in der Umklammerung umdrehte, blickte er in das grinsende Gesicht eines etwas älteren, muskulösen Jungen, der auf Griechisch Dinge sagte, die sich nicht nett anhörten.

Bevor Tom reagieren konnte, gab ihm der andere einen kleinen Schubs, stellte ihm ein Bein, und schon lag er im Sand. Er merkte sich das Gesicht des dunkelhäutigen Jungen mit einem kleinen Leberfleck auf der rechten Wange. Die Revanche würde knapp ausgehen, kalkulierte er, denn der Grieche war zwar nicht viel größer, aber auf jeden Fall viel kräftiger als er selbst.

Die richtigen Leute Band 1: Die grüne LeuchtschriftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt