25 Im Paradies der bunten Fische

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Die drei setzten sich an den kleinen Tisch, und als sie gerade dabei waren, sich an den Speisen zu bedienen, stand plötzlich der letzte Gast in der Tür. Lautlos war er erschienen, und nun starrte er Tom an, der ebenso ungläubig zurückstarrte. Es war mucksmäuschenstill im Raum. Nikos beobachtete die beiden fasziniert. Tante Kyra wurde kreidebleich.

Langsam ging der Mann auf Tom zu, der wortlos aufstand. Er streckte ihm die Arme entgegen, umarmte Tom, küsste ihn auf beide Wangen und sagte „Jassu, Tom." Die beiden Worte, leise und mit tiefer Stimme ausgesprochen, brachen das Eis, und Toms Antwort, „Nice to see you," war zwar furchtbar unbeholfen, nahm aber die Anspannung aus der Situation. Nikos' Gesicht war ein einziges Fragezeichen, und Kyra bemühte sich sichtlich um Fassung.

„Das ist mein Gast Petros, der Schriftsteller. Er ist hier, um ungestört an seinem Buch zu arbeiten. Das ist Tom aus Deutschland, aber den kennst Du ja anscheinend schon. Und das ist Toms Freund Nikos."

Petros gab Nikos die Hand, und alle setzten sich und begannen zu essen.

Petros' Augen wirkten immer noch traurig, wenngleich der Hauch von Angst nicht mehr zu sehen war, den Tom bei ihrem ersten Zusammentreffen in Christinas Wohnung wahrgenommen hatte. Der untergetauchte Ex-Elitesoldat überlegte seinerseits, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er war der jüngste der vier Männer, die Tom in Piräus kennengelernt hatte. Er hatte gehört, welche Probleme der Deutsche mit der Polizei in Athen hatte, und er wusste auch von dem Notfallplan, wie er das Land unter Umständen hätte verlassen können.

Aber er ahnte nicht, dass er ausgerechnet hier auftauchen würde. Seine Mitstreiter hatten ihm geraten, sich einige Wochen weit weg von Athen zu verstecken. Die Geheimpolizei war der Widerstandsgruppe, der er angehörte, gefährlich nah gekommen, und ihm drohte die Todesstrafe, wenn sie ihn erwischten. Der Alte Mann hatte schließlich die Idee, ihn zu einer alten Freundin und entfernten Verwandten auf Mykonos zu schicken. Christina erfuhr davon nichts, weil man der Anwältin ersparen wollte, zur Mitwisserin zu werden.

Die ersten Minuten des Essens verliefen schweigend, bis Petros das Wort ergriff und Nikos erklärte, wie er Tom kennengelernt hatte, welches Verbrechen ihm zur Last gelegt wurde, und warum er sich hier versteckte. Kyra ermahnte die Jungen überflüssigerweise, von ihrem heimlichen Gast nichts zu erwähnen.

Das weitere Gespräch drehte sich um die Insel, Ouzo, das Wetter, Windmühlen, Kapellen, Tauchgänge, Seeigel, Deutschland, das Wetter dort, und und und, nur um eines nicht: um Petros und den griechischen Widerstand.

Kurz nach Mitternacht lagen die beiden Jungen im Bett. Sie hatten die Kerze gelöscht, sodass es stockdunkel war. Nur wenige Laute drangen gedämpft durch das Luftloch. Flüsternd eröffnete Nikos das fällige Gespräch:

„Hey, Gangster, Du kennst Leute auf Mykonos."

Tom übersetzte seine Bemerkung treffenderweise mit „Nun mal raus mit der Sprache." Allerdings konnte er Nikos nicht viel mehr mitteilen, als er ohnehin schon wusste.

Sie diskutierten leise, welche Strafe Petros in einem Prozess drohte, und ob die Flucht seine Lage nicht womöglich noch verschlechterte. Sie spekulierten auch darüber, wie lange das Versteckspiel gutgehen könnte, wobei die Touristensaison sicherlich dazu beitrug, dass ein geheimer Gast nicht weiter auffiel. Dennoch war ihnen bewusst, sie selbst hatten ein großes Interesse daran, dass ihr Zimmernachbar nicht aufflog. Mitgefangen – mitgehangen: ein zweites Mal würde die Geheimpolizei Tom sicher nicht laufen lassen. Nikos hatte tausend Fragen, die alle unbeantwortet blieben.

Am Ende murmelte er:

„Ich habe noch nie einen richtigen Widerständler getroffen. Seit ich Dich kenne, hat sich so einiges für mich verändert."

Die richtigen Leute Band 1: Die grüne LeuchtschriftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt