Tom brach am späten Vormittag nach Athen auf, um sich mit Nikos am Bahnhof der Überlandbusse zu treffen. Er fuhr einige Stationen mit einem der gelben O-Busse, die sich geräuschlos und ohne Rauchfahnen zu produzieren durch den Stadtverkehr bewegten. „Eigentlich eine gute Idee," dachte er. „Wenn alle Busse in der Stadt so funktionierten, wäre die Luft sicher deutlich besser."
Als der Bus einem haltenden Taxi ausweichen musste und zu weit aus seiner Spur geriet, blieb er einfach stehen. Der Fahrer stieg aus und löste eine lange Stange von der linken Seite des Fahrzeugs, mit der er dann in einer zirkusreifen Vorstellung mitten in dem ihn umbrandenden Verkehr den Stromabnehmer wieder an die beiden Leitungsdrähte zu führen versuchte. Unter den fachkundigen Zurufen der Fahrgäste und Passanten, die im Nu eine Traube auf dem Bürgersteig bildeten, sowie unter mehr oder weniger netten Grüßen aus vorbeifahrenden Autos schaffte er es in wenigen Minuten, das uralte Fiat-Fahrzeug wieder flottzumachen.
Kurze Zeit später betrat Tom den Fernbusbahnhof, einen riesigen, ummauerten Asphaltplatz, über dem die Luft in der Hitze flimmerte. Auf dem Gelände warteten dutzende türkis-cremefarbene Reisebusse. Die älteren, die hier ihr Gnadenbrot verdienten, ließen unter ihrer neuen Lackierung zum Teil noch die Inschriften deutscher Busunternehmen erahnen, während die neueren, die überwiegend für längere Strecken eingesetzt wurden, sogar schon über Klimaanlagen verfügten.
An der Kopfseite des Platzes befand sich ein zweistöckiges, ehemals weißes Gebäude, von dem der Putz bröckelte, das als Ticketverkauf fungierte. Tom sah sich suchend um und entdeckte Nikos rechts vor dem Eingang. Sie reihten sich in eine Schlange vor einem der zahlreichen Schalter ein. Obwohl die Halle recht hoch war und sich an der Decke große Ventilatoren drehten, war die Luft zum Schneiden. Das Gemisch aus Abgasen, Werkstattgeruch und dem Schweiß tausender Menschen, die hier täglich anstanden, wurde durch die Rotoren nur gequirlt.
Nach dem zeitaufwendigen Ticketkauf suchten sie den Bus nach Sounion, und kurze Zeit später saßen sie auf den bequemen Polstern und ließen sich den Fahrtwind um die Nase wehen, denn die Klimaanlage dieses Busses, der bis auf den letzten Platz besetzt war, bestand aus hochgeschobenen Seitenfenstern. Sie ließen die Stadtlandschaft schweigend an sich vorbeiziehen, schmuddelige Gebiete mit überwiegend einstöckigen, einfachen Betonbauten direkt neben vornehmen Quartieren mit viel Grün, Parks und zahlreichen Hinweisen auf Hotels und Strandbäder - ein widersprüchliches Bild.
„Wo sind eigentlich Sophia und Georgios?"
Tom erzählte von dem Anruf ihrer Mutter. Nikos meinte, Sophias Eltern wollten wohl nicht, dass ihre Tochter den Tag mit zwei fast noch fremden Jungen verbrachte. Es brannte Tom auf den Nägeln, mit seinem Freund den Akropolisbesuch zu besprechen, aber der Zeitpunkt schien ihm noch nicht geeignet zu sein.
Stattdessen diskutierten sie das Erdbeben vom Vortag, das Nikos an der attischen Ostküste auch noch mitbekommen hatte. Er bestätigte, dass die Griechen ein solches Ereignis nur am Rande wahrnahmen, weil es sehr häufig vorkam. Was aber nicht hieß,dass die Gefahren unterschätzt wurden, denn er konnte ohne zu überlegen mehrere aufzählen, die erhebliche Schäden angerichtet, aber nie den Weg in die deutschen Zeitungen gefunden hatten. Dort wurde über solche Katastrophen nur berichtet, wenn – wie im Fall des Bebens von Skopje im Jahr 1963 – viele Menschen starben und ganze Städte oder Landstriche verwüstet wurden.
Kurz vor der Endstation stiegen sie aus. Warum an dieser Stelle eine Bushaltestelle war, erschloss sich Tom nicht, denn außer dem Schild der Haltestelle gab es nur einen Verkaufsstand, in dem sich ein senkrecht stehender Fleischspieß drehte. An der Rückwand glühte in einem Drahtgeflecht Holzkohle, sodass das Fleisch auf dem Spieß langsam gegrillt wurde. Neben dem Verkaufsbüdchen standen zwei Tische mit ein paar zusammengewürfelten Stühlen.
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Die richtigen Leute Band 1: Die grüne Leuchtschrift
Historical Fiction„Die grüne Leuchtschrift" ist der erste von 20 Bänden meiner Buchreihe „Die richtigen Leute". Tom, ein 15-jähriger Deutscher, verbringt die Sommerferien im Jahr 1969 in Griechenland, wo eine Militärdiktatur herrscht. Kaum angekommen, lernt er im Hau...