18 Doch die Erde bebte nicht

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Am nächsten Morgen brachen Christina und Tom gegen neun Uhr nach Voula auf. Die Straßen waren verstopft, sodass die Busfahrt fast zwei Stunden dauerte. An einem Sportplatz stiegen sie aus, gingen an einem Freibad vorbei, in dem Kinder kreischten, durch einen Park zur Polizeiwache, vor der sich das gewohnte Bild mit den Tischen der Schreiber bot. Christina fragte nach dem Beamten, der mit der LTF telefoniert hatte, und lächelnd trat ihnen ein älterer Mann entgegen, der seine Uniformjacke abgelegt hatte. Schweißperlen auf seiner Stirn ließen auf einen anstrengenden Dienst schließen. Der ziemlich übergewichtige Polizist machte nicht den Eindruck, als könnte er bei der Verbrecherjagd durch Schnelligkeit glänzen.

Er bot ihnen zwei Stühle vor seinem Schreibtisch an, ging zu einem Wandschrank und holte eine Akte heraus. Aus einem Karton, in dem die Beute des Taschendiebs aufbewahrt wurde, kramte er das grüne Heftchen hervor, das für so viele Probleme verantwortlich war. Er verglich das Bild im Ausweis mit Toms Gesichtszügen, erläuterte dann den folgenden Verwaltungsakt, und fragte Tom mit Christinas Hilfe, wann und wo er seinen Pass zum letzten Mal gesehen hatte. Die wahrscheinlichste Erklärung, wann der Dieb zugeschlagen haben könnte, war wohl das Gedränge beim Einsteigen in den Bus an Kap Sounion.

Anschließend ließen Tom und Christina einen der Schreiber das Protokoll anfertigen, das sie dem Beamten brachten, der es einem Kollegen gab, um nach Entrichtung einer Stempelgebühr das Dokument mit dem Amtssiegel und seiner Unterschrift zu versehen. Dann händigte der erste Beamte Tom seinen Pass aus und ermahnte ihn väterlich, in Zukunft besser auf das wichtige Dokument aufzupassen.

Inzwischen war es Mittag, und nach einer kurzen Erfrischungspause im nahe gelegenen Park machten sich Tom und Christina schweren Herzens auf nach Athen. Angesichts des bevorstehenden Gesprächs bei der Geheimpolizei wollte sich keine rechte Freude über den wiedergefundenen Pass einstellen. Schweigend und bedrückt gingen sie in die enge Stichstraße hinter dem Syntagmaplatz. Am Empfang schilderte Christina ihr Anliegen, und nach einem kurzen Telefongespräch geleitete sie ein Beamter in den 4. Stock.

Auf Anweisung ihres Begleiters setzte sich Christina auf einen Stuhl gegenüber der Tür zum Büro des Geheimpolizisten mit der Hakennase. Als Tom den Raum betrat, schaute der nur kurz von einem Schriftstück auf, das er weiterhin aufmerksam studierte. Tom stand vor seinem Schreibtisch und wartete eine Ewigkeit darauf, angesprochen zu werden. Nachdem er das Papier anscheinend auswendig gelernt hatte, blickte er freundlich zu Tom auf und bat ihn, sich zu setzen.

„Du hast es Dir also anders überlegt," sagte er in seiner trügerisch-väterlichen Art. Tom gab ihm seinen Pass zusammen mit dem Protokoll, aus dem hervorging, wie er ihn zurückbekommen hatte. Er las das Papier und blätterte den Ausweis von der ersten bis zur letzten Seite durch.

„Es tut mir leid, dass es auch in unserem Land Verbrecher gibt, die andere Menschen bestehlen. Ich verspreche Dir, dass der Dieb bestraft wird. Unsere Gäste sollen sich in Griechenland schließlich wohlfühlen. Und Du, mein Junge, musst sehr vorsichtig sein. Du solltest keine Fotos machen, wo es verboten ist. Vor allem solltest Du Dich nicht mit Menschen treffen, die auch Verbrecher sind. Wir tun zwar alles, um unsere Gäste zu schützen, aber wir können nicht immer zwei Leute abstellen, um auf einen deutschen Jungen aufzupassen. Wir werden das zwar immer mal wieder machen, aber Du kannst Dich nicht darauf verlassen, dass wir jederzeit da sind, wenn Dir jemand etwas Böses will."

Die in freundlichem Ton vorgetragene Drohung war nicht zu überhören. Dennoch hatte Tom das Gefühl, dass ihn der Polizist wenigstens heute nicht schikanieren wollte, was ihm half, seine Wut im Zaum zu halten. Ebenso unehrlich lächelnd wie der Beamte bedankte er sich für die Hilfe und versprach, in Zukunft aufzupassen, mit wem er sich traf. Der Geheimpolizist begleitete ihn zur Tür und nickte Christina zu.

Die richtigen Leute Band 1: Die grüne LeuchtschriftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt