11 Eine Hakennase und eine ganze einfache Lösung

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Schweigend und unbeweglich starrte ihn der Mann hinter dem Schreibtisch an, wobei sein Gesicht in keiner Weise bedrohlich, sondern eher etwas gelangweilt wirkte. Erst als die Getränke gebracht wurden, kam wieder Leben in ihn. Er sah Tom in die Augen und begann eine freundliche Ansprache:

„Ich freue mich, wenn junge Menschen aus anderen Ländern mein schönes Heimatland besuchen. Weißt Du - ich darf doch „Du" sagen, ja? - ich habe selbst viele Freunde in Deutschland. Ich sehe es als meine Pflicht an, Dir in Deiner schwierigen Situation zu helfen. Das ist ja schon ein Gebot der Gastfreundschaft." Er lächelte großzügig-wohlwollend und fügte sanft hinzu, „Gastfreundschaft bedeutet natürlich nicht nur die Freundschaft zu einem Gast, sondern auch die Freundschaft des Gastes. Du bist ja ein intelligenter junger Mann. Wir werden Deine Probleme sicher ganz schnell lösen."

Tom konnte sich seiner väterlichen Freundlichkeit kaum entziehen. Nach den zunehmend unangenehmen Besuchen bei den anderen Polizeibehörden hatte er hier das Gefühl, dass seine Sorgen verstanden wurden und man sich wirklich bemühen würde, ihm zu helfen. Trotzdem warnte ihn eine innere Stimme. Die Sache mit der „Freundschaft des Gastes" klang ein wenig wie eine Drohung.

Ihm war nicht klar, bei welcher Behörde er genau gelandet war. Die Frage platzte einfach so aus ihm heraus:

„Wo bin ich hier eigentlich?"

Der Mann lächelte ihn weiterhin gutmütig an:

„Die korrekte Übersetzung ist „Geheime Staatspolizei". Wir kümmern uns um Probleme, die die normale Polizei nicht so gut bewältigen kann."

GESTAPO, durchzuckte es Tom. Nicht dass er genau wusste, was diese Behörde in Deutschland bis vor zweieinhalb Jahrzehnten gemacht hatte, aber viele Menschen hatten immer noch Angst vor ihr. Das wusste er, seit er ein Gespräch zwischen seinen Eltern mitbekommen hatte. Sein Vater las hin und wieder ein politisches Magazin, den „Spiegel", dessen Richtung ihm zwar nicht passte, das aber eine Pflichtlektüre für politisch interessierte Menschen war.

Irgendetwas höchst Verbrecherisches musste der Chef dieses Magazins angestellt haben, denn die Zeitschrift wurde verboten und die Redaktion verhaftet. Es ging um Geheimnisverrat, so viel hatte Tom mitbekommen. Sein Vater hatte seine Mutter angewiesen, nie zu erwähnen, dass er die Zeitschrift las, und alle noch vorhandenen Exemplare zu verbrennen. Und dann hatte Tom mitgehört, wie er sagte, man wüsste ja nie, wer aus der Nachbarschaft bei der Gestapo sei.

Tom fühlte sich von seinem Gegenüber aufmerksam beobachtet. Nach einer Pause, die ihm sehr lang vorkam, fuhr der Beamte mit seiner sanften Stimme fort:

„So ein verlorener Ausweis kann im Ausland ein ziemlich großes Problem sein. Aber natürlich nicht bei uns. Ich weiß auch schon eine ganz einfache Lösung."

Tom war hin und her gerissen. Einerseits war ihm bei dem Begriff „Gestapo" der Schreck in alle Glieder gefahren, andererseits war dieser Mann anscheinend wirklich nett und hilfsbereit. Schließlich hatte er ja auch deutsche Freunde.

„Du gehst einfach zur deutschen Botschaft, sagst denen, dass Du Deinen Ausweis verloren hast, und dass ich sie bitte, Dir einen Ersatzausweis auszustellen. Ich gebe Dir meine Karte mit, und im Handumdrehen hast Du ein Dokument, mit dem Du dich überall in Griechenland bewegen kannst. Eine ganze Woche lang."

Tom war ein bisschen erleichtert. Natürlich hatte er auch schon mit Christina besprochen, zur Botschaft zu gehen, aber sicher würde das alles viel einfacher, wenn er auch noch eine Empfehlung dieses Beamten hätte. In diesem Moment meldete sich wieder seine warnende innere Stimme. Keinen Augenblick zu früh, denn urplötzlich ging mit dem Geheimpolizisten eine drastische Wandlung vor sich. Ohne die Stimme zu erheben, aber in einem eisigen, schneidenden Ton sagte er:

Die richtigen Leute Band 1: Die grüne LeuchtschriftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt