Am späten Nachmittag fuhren sie zurück nach Piräus, wo sie ein schnelles Abendessen mit Fleischbällchen und einer köstlichen Tomatensoße zubereiteten. Während sie noch aßen, klingelte es. Auf Christinas „Nä!" tönte ein metallisches „Levkos Stavros" aus der Gegensprechanlage, woraufhin sie den Türöffner betätigte. Als es klopfte, warf sie einen kurzen Blick durch den Spion und öffnete dann die Tür.
Der Besucher, der sie mit Umarmungen begrüßte, war ein alter Mann. Tom schätzte ihn auf etwa 60 Jahre. Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, und die schneeweißen, buschigen Augenbrauen standen in auffälligem Kontrast zu seiner auch für griechische Verhältnisse sehr dunklen Hautfarbe. Seine fast schwarzen Augen wirkten lebhaft und fröhlich, was durch ausgeprägte Lachfalten unterstrichen wurde. Der Mann hatte volles, weißes Haar und trug einen leichten, grauen Anzug, der ihm einige Nummern zu groß war, ein weißes Hemd und braune Sandalen, in denen nackte Füße steckten.
Tom hörte, dass Christina seinen Namen erwähnte, woraufhin der Mann ihn von Kopf bis Fuß musterte und dann mit langsamen, etwas schleppenden Schritten auf ihn zukam. Als Tom aufstand, streckte er seine Arme aus und umarmte ihn mit einem Schwall griechischer Worte, die Tom nicht verstand. Christina übersetzte, wie sehr der Mann sich freute, ihn zu sehen, und dass er auch zwei Söhne hätte, und allerlei weitere Freundlichkeiten.
In diesem Moment klingelte es wieder an der Tür, und wieder krächzte ein „Levkos Stavros" aus der Anlage. Alles wiederholte sich zweimal mehr oder weniger wie bei dem ersten Besucher.
Nun schwante es Tom, dass keiner der Besucher Levkos Stavros hieß. Vielmehr handelte es sich anscheinend um eine Art Code. Der zweite Besucher war etwa so alt wie der erste, auch er hatte eine dunkle Gesichtsfarbe, und selbst die Kleidung war ähnlich. Der dritte war etwa 10 Jahre jünger, er trug eine braune Hose und ein derbes, blaues Hemd.
Dann klopfte es erneut. Christina ließ den vierten Besucher herein, der das Haus durch den Hintereingang betreten hatte. Er war etwa 25, groß, schlank und blass und hatte kurze, schwarze Haare. Tom erschrak. Im Gegensatz zu den fröhlichen Augen des ersten Gastes wirkten die des jungen Mannes so viel älter und trauriger. Wortlos reichte er ihm die Hand.
Die Männer nahmen auf den Sofas Platz. Während Christina Kaffee zubereitete, stellte Tom zwei Karaffen mit Eiswasser und ein silberfarbenes Tablett mit Gläsern auf den Wohnzimmertisch. Dann setzte er sich in einen der beiden freien Sessel, und der älteste der Männer sprach ihn auf Griechisch an.
Tom war dankbar, als der jüngste seine Worte in ein ziemlich holpriges Englisch übersetzte. Zunächst wurde er nach seinem Woher und Wohin ausgefragt, dann wollte der Alte Mann wissen:
„Wie gefällt es Dir in Griechenland?"
Tom schwärmte von Athen, der Akropolis und der Plaka. Die Antwort schien dem Mann nicht zu genügen:
„Wo ist es denn schöner, in Deutschland oder in Griechenland?"
Tom überlegte einen Augenblick.
„Eigentlich ist Deutschland ganz okay, aber Griechenland ist natürlich viel schöner."
„Soviel Höflichkeit muss schon sein," dachte er, und gelogen war es auch nicht. Der Alte Mann lächelte und sagte leise:
„Griechenland ist das schönste Land der Welt, aber Deutschland ist frei."
Er beobachtete Toms Reaktion sehr genau, was der auch wahrnahm. Er merkte, dass mehr von ihm erwartet wurde als oberflächliche Freundlichkeit. Bevor er sich jedoch weiter äußern konnte, betrat Christina mit den Kaffeetässchen den Raum und setzte sich auf den letzten freien Sessel.
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Die richtigen Leute Band 1: Die grüne Leuchtschrift
Ficción histórica„Die grüne Leuchtschrift" ist der erste von 20 Bänden meiner Buchreihe „Die richtigen Leute". Tom, ein 15-jähriger Deutscher, verbringt die Sommerferien im Jahr 1969 in Griechenland, wo eine Militärdiktatur herrscht. Kaum angekommen, lernt er im Hau...