20 Männer über Bord

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Tom hatte verschlafen. Hastig erledigte er die nötigsten Hygienemaßnahmen, zog sich an, schlang zwei Scheiben Weißbrot herunter, trank ein Glas Wasser und packte ein paar Utensilien in seine Strandtasche. Erst in der U-Bahn hatte er Zeit, über die entscheidende Frage des Tages nachzudenken. Würde Sophia am Busbahnhof in Athen sein? Er schätzte die Chance als gering, aber nicht ganz aussichtslos ein, wenn er die Strenge ihres Vaters auf die eine und ihre Schlitzohrigkeit auf die andere Waagschale legte. Sein Herz klopfte ein wenig schneller und ein wenig lauter, je näher er dem Ziel seiner Fahrt kam.

Mit einem laut polternden Geräusch aus seiner Brust betrat er das weitläufige Gelände des Busbahnhofs, und sofort sah er die Gruppe von drei Mädchen, die vor dem Ticketschalter standen, mit dem schönsten Mädchen der Welt in ihrer Mitte. Er rannte zu dem Trio, begrüßte Sophias Freundinnen per Handschlag und küsste seine Freundin auf beide Wangen.

Er hatte beschlossen, vor der Fahrt zu Nikos noch Taucherbrille, Schnorchel und Flossen zu kaufen, und so schlenderte er mit Sophia, nachdem sich Dora und Maria verabschiedet hatten, in eine Straße hinter dem Busbahnhof, in der sich etliche kleine Geschäfte befanden.

Vor einem Lebensmittelladen standen zwei Tischchen. Er schlug vor, hier einen Nescafé zu trinken, während Sophia darauf bestand, auch ein paar Sesamkringel zu essen. Mit dem herrlichen Matsch aus Gebäck und süßem Kaffee im Mund nuschelte Tom:

„Was hat Dein Vater eigentlich gestern Abend gesagt?"

„Was meinst Du? Was sollte er gesagt haben? Ich habe ihm erzählt, dass ich heute mit Dora und Maria ins Museum will, und er sagte, schön, viel Spaß."

„Und sonst nichts?"

Sophia wusste nicht, was sie von dem merkwürdigen Verhör halten sollte.

„Ich verstehe nicht, was Du willst."

Tom erzählte ihr sein Erlebnis vom Vorabend.

„Das ist merkwürdig. Mein Vater ist ein paar Minuten nach mir gekommen, und er hat nichts davon erwähnt, dass er Dich gesehen hat. Kann es sein, dass er Dich gar nicht bemerkt hat?"

Tom war sich sicher. Er hatte Sophias Vater direkt in die Augen gesehen. Sie spekulierten darüber, was das zu bedeuten hatte, aber sie konnten sich keinen Reim darauf machen. Tom hatte mit dieser Variante überhaupt nicht gerechnet und war ganz und gar nicht beruhigt. Irgendetwas stimmte hier nicht.

Nach dem Frühstück gingen sie ein paar Häuser weiter, wo sie einen Laden mit einem außergewöhnlichem Sortiment erblickten. Das Angebot bestand hauptsächlich aus Schrauben, Muttern, Nägeln und Haken aller Größen und Materialien. Mitten in dem kleinen, fast undurchsichtigen Schaufenster aber prangte eine Taucherbrille mit angehängtem Schnorchel. Sie traten in das Halbdunkel des Ladens, der ein einziges Chaos war. Nur ein Ständer strahlte eine gewisse Ordnung aus. Er stand in der Ecke und enthielt: Taucherbrillen, Schnorchel und Schwimmflossen.

Ein junger Mann in grauem Overall und mit ölverschmierten Händen begrüßte sie. Sophia schilderte Toms Wunsch, und der Verkäufer forderte ihn auf, Taucherbrillen anzuprobieren und sich die passende zu nehmen. Tom suchte sich auch Flossen aus, die seiner Schuhgröße ungefähr entsprachen. Preisschilder gab es an den Waren nicht, sodass Sophia den Verkäufer fragen musste. Dieser überlegte hin und her, kalkulierte halblaut und sagte dann eine Zahl.

Tom rechnete den Drachmenbetrag um und kam auf weniger als 10 Mark, was ihn auf einen Gedanken brachte: wie, wenn er für Nikos die Ausrüstung gleich mitkaufen würde? Er teilte seine Überlegung Sophia mit, die ihn verschmitzt anlächelte und in eine lange Diskussion mit dem Verkäufer eintrat. Schließlich konnte sie ihn auf umgerechnet 15 Mark für zwei komplette Ausrüstungen herunterhandeln, und eine große Strohtasche zum Transport des Einkaufs gab es noch dazu.

Die richtigen Leute Band 1: Die grüne LeuchtschriftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt