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NATE:

Ich folgte Emma durch das Gedränge in Richtung Tür. Die Musik aus dem Haus war nur noch als gedämpftes Dröhnen im Hintergrund zu hören. Heute würde ich keinen Rückzieher machen, auch wenn ich eine Scheißangst hatte. Emma war mir so wichtig, dass ich mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen konnte. Ich durfte sie nicht verlieren. Nicht nach all den Jahren. Dennoch hielt ich es keine weitere Sekunde aus ihr nicht die Wahrheit zu sagen. Ich verbot mir jeden aufkommenden Gedanken an die möglichen Folgen meines Geständnisses. Heute würde ich kein verdammter Feigling sein.

Das kurze weiße Spitzenkleid, was sie trug brachte mich fast um den Verstand, doch nicht ihr Körper war es der mir letztendlich den Atem raubte. Es war die aufrichtige, liebevolle Wärme in ihren wunderschönen blauen Augen. Plötzlich fing mein Herz an zu rasen und ich war so nervös, dass ich keinen Ton herausbrachte.

"Nate?" Emmas Blick wirkte seltsam abwesend. Mein Magen verkrampfte sich. Fuck, ich musste mich zusammenreißen. "Sorry Em, ich..." Ich verstummte, als ich bemerkte, dass Emma leicht schwankte. "Ist alles okay?" Hatte sie zu viel getrunken? "Mir ist nur ein bisschen schwindelig." Emmas Stimme klang unsicherer, als zuvor. Besorgt musterte ich sie. "Möchtest du dich setzen?" Sie nickte und wir hockten uns auf die Treppenstufen vor ihrer Haustür. Vielleicht hatte Elias mit dem Alkohol in der Bowle doch etwas übertrieben.

"Geht es wieder?", fragte ich. Mein Herz schlug mir mittlerweile bis zum Hals. "Ja, so ist es besser." Sie drehte ihren Kopf zu mir um mich direkt ansehen zu können. "Du wolltest etwas sagen?" Ein ängstlicher Ausdruck trat in ihre Augen. Einem Instinkt folgend griff ich nach ihrer Hand. Unsere Finger verschränkten sich wie von selbst miteinander. Sofort spürte ich, wie sie sich entspannte. "Ja, ich..." Ich atmete tief durch. Dann brachen die Worte, die während der letzten Monate ein riesiges Gefühlschaos in mir hinterlassen hatten ungefiltert aus mir heraus.

"Irgendwas hat sich zwischen uns verändert. Schon seit Längerem. Und ich bin verwirrt, weil ich mich so nicht kenne und weil ich sowas noch nie zuvor gefühlt habe. Ich weiß nicht ob du es auch spürst. Das beschäftigt mich schon seit einer ganzen Weile. Dann haben wir uns auf dieser Party fast geküsst. Wer weiß was passiert wäre, wenn Rosi nicht dazwischen gekommen wäre. Seitdem gab es keine Minute, in der ich nicht an dich gedacht habe. Und vielleicht fühlst du nicht so, wie ich und das ist okay. Ich fürchte mich vor den Konsequenzen, die meine Gefühle für unsere Freundschaft haben könnten. Fuck, es macht mir sogar verdammt große Angst! Gleichzeitig kann ich nicht so weiter machen, wenn ich dich in Wahrheit jedes verdammte Mal, wenn wir uns sehen einfach nur an mich ziehen und küssen möchte. Ich kenne dich mein ganzes Leben lang. Du bist mir so unendlich wichtig. Egal, was du gleich sagen wirst. Ich will dich auf keinen Fall verlieren. Auch wenn du für mich viel mehr, als nur eine beste Freundin bist." Atemlos verstummte ich.

Adrenalin pumpte durch meine Adern. Spannungsgeladen sah ich Emma an. Doch anstatt einer Reaktion fiel ihr mühsam abgestützter Oberkörper nach hinten. Wenige Zentimeter bevor sie mit dem Kopf auf den harten Steinboden aufschlug, fing ich sie auf. Ihr Gesicht war einige Nuancen blasser geworden. Als ich in ihre Augen sah erkannte ich nackte Panik. Fuck, was war plötzlich mit ihr los? Ein Schauer lief über meinen Rücken und hinterließ eine eiskalte Gänsehaut.

"Nate", flüsterte sie kraftlos. "Mit mir stimmt irgendwas nicht." Ihr Blick wurde immer trüber bis sie ihre Augen schließlich nicht mehr offen halten konnte. Zittrig hob ich sie hoch. Eine alles einnehmende Angst stieg in mir auf und drohte mich zu lähmen. Scheiße, warum hatte ich nicht bemerkt, wie schlecht es ihr ging. Ich war so ein egoistischer Vollidiot. Mein Atem ging viel zu schnell. Schwindel erfasste mich. Ich musste jetzt einen klaren Kopf bewahren, verdammt nochmal.

Ich zwang mich langsamer zu atmen. Dann fischte ich mit zittrigen Fingern mein Handy aus der Hosentasche und wählte den Notruf.

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