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Emma:

Meine Welt war aus den Angeln gehoben worden. Der Schwindel war so überwältigend, dass ich das Gefühl hatte davon verschlungen zu werden. Alles drehte sich. Mein Magen rebellierte. Angestrengt versuchte ich Nate im Blick zu behalten, doch das Bild vor mir verschwamm immer mehr. Was geschah nur mit mir?

Panik erfasste mich und ließ mich unkontrolliert zittern. Von Weitem hörte ich Nates Stimme, obwohl ich mir sicher war, dass er bis eben direkt neben mir gesessen hatte. Die Worte klangen verzerrt. Hier war irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung. Es wurde immer anstrengender die Augen offen zu halten. Meine Lider waren tonnenschwer. Ich versuchte mich zu wehren, doch die Dunkelheit zog mich mit aller Macht in ihre Fänge. Also gab ich mich ihr hin.

"Fuck, wie konnte sowas passieren? Wenn ich herausfinde wer ihr das angetan hat bringe ich ihn um." Ich hätte die Stimme unter Tausenden wiedererkannt. Doch ich hatte sie noch nie so wütend und entsetzt erlebt. Warum war er so aufgewühlt? Es war doch alles gut. Die Dunkelheit, die mich umgab war angenehm. Sie hatte mich von dem Schwindel befreit.

"Emma? Hörst du mich?" Die Stimme war nun ganz nah. Ich zwang mich meine erschöpften Augen zu öffnen. Das warme Braun ertrank in Sorge und zerriss mir damit fast das Herz. Dennoch breitete sich Erleichterung in mir aus. Er war bei mir. Natürlich war er das. Er hatte mich noch nie allein gelassen. Alles war in Ordnung.

"Nate, was ist passiert?" Erst jetzt bemerkte ich, dass wir nicht mehr zu Hause waren. Klinisch weiße Wände umgaben uns und der Geruch von Desinfektionsmittel lag in der Luft. Der Raum wirkte zu steril um gemütlich zu sein. Mühsam richtete ich mich auf. Das war ein Krankenhaus. Was zur Hölle machten wir hier? Elias und ich hatten die ersten Partygäste begrüßt. Und dann... Da waren nur noch unscharfe Bilder in meinem Kopf. Egal, wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte mich einfach nicht erinnern.

Meine Muskeln fingen an zu zittern, brachten mich ins Taumeln. Sofort war Nate an meiner Seite und legte einen Arm um meine Taille. Er war mein personifizierter Rettungsring. Schon immer. Dankbar lehnte ich mich gegen ihn. Mein Kopf fing an schmerzhaft zu pochen. Ich unterdrückte ein Keuchen und krallte mich noch etwas mehr in Nates T-Shirt. Warum ging es mir so schlecht?

Mein bester Freund zog mich noch enger an sich. Ich konnte seine Sorge regelrecht körperlich fühlen. Und seine Wut. Ich wollte ihm dafür danken, dass er immer für mich da war, wollte ihm versichern, dass es mir gut ging, doch die Worte wollten mir einfach nicht über die Lippen kommen. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Eine träge Müdigkeit breitete sich langsam in meinem ganzen Körper aus und zog mich ohne Vorwarnung gewaltvoll zurück in die Dunkelheit.

Es fühlte sich an, wie tauchen. Hier unten war es finster. Ich versuchte mich mit aller Kraft an die Oberfläche zu kämpfen, doch die Strömung zog mich immer und immer wieder erbarmungslos auf den Grund. Mein Herzschlag pulsierte in jeder Zelle meines Körpers. Ich weiß nicht, wie lange ich gekämpft hatte, doch irgendwann schaffte ich es aufzutauchen. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Das grelle Licht brannte unangenehm auf meiner Bindehaut.

"Emma? Geht es dir besser?" Nates Stimme klang besorgt. Als ich nickte breitete sich ein erleichtertes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Ich griff nach seiner Hand. "Danke." krächzte ich. Mein bester Freund sah mich mit einer Wärme an, die irgendetwas tief in meinem Inneren berührte. Ich schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte herunter. Als ich auf meine Armbanduhr sah stellte ich mit Entsetzen fest, dass es bereits 2:00 Uhr morgens war.

"Was ist passiert? Bin ich krank?" Ich hörte mich nun deutlich klarer an. Nates Gesicht verdüsterte sich so sehr, dass ich Angst bekam. War es etwas Ernstes? Sein Blick sagte mehr, als tausend Worte. Mein Herz begann zu rasen.

"Irgendjemand hat dir K.O. Tropfen untergemischt. Deshalb bist du zusammengebrochen." Seine Stimme bebte vor Wut. Mir wurde kotzübel. "Wer?", war das einzige Wort, was ich herausbrachte. "Ich weiß es nicht. Kannst du dich an etwas erinnern?" Ich schüttelte den Kopf. Da war nur ein großes schwarzes Loch. Mehr nicht. Egal wie krampfhaft ich versuchte die Erinnerung heraufzubeschwören, es wollte mir einfach nicht gelingen. "Die ersten Gäste sind eingetroffen. Danach ist nur noch Leere."

"Die Party hatte gerade erst so richtig begonnen, da sind wir gemeinsam vor die Tür gegangen. Ich..." Nate brach ab. Sein leidender Gesichtsausdruck brach mir das Herz. Warum quälte er sich so? Er hatte mich gerettet. So wie er es immer tat. Eigentlich sollte ich hysterisch sein. Man hatte mich unter Drogen gesetzt. Doch die Anwesenheit meines besten Freundes ließ mich durchatmen. Jemand hatte auf mich aufgepasst. Er würde immer da sein um auf mich aufzupassen.

Nach einem tiefen Atemzug schien Nate sich wieder gefasst zu haben. "Wir standen dann vollkommen allein draußen. Und wir haben geredet. Eigentlich nicht WIR, sondern ICH habe geredet. Ich war so nervös, dass ich nicht gecheckt habe, wie schlecht es dir wirklich ging. Du hast sogar gesagt, dass dir schwindelig ist. Ich dachte du hättest einfach zu viel getrunken. Es tut mir leid." Sein Blick triefte vor Schuldgefühlen. Am liebsten hätte ich ihn einfach gepackt und durchgeschüttelt. Wie konnte er nur so denken? Das hätte er unmöglich wissen können.

"Nate, bitte hör mir zu." Ich suchte seinen Blick. "Das ist nicht deine Schuld. Du bist der Mensch auf der Welt der vermutlich am allerwenigsten etwas dafür kann. Du hast mich ins Krankenhaus gebracht und du bist bei mir geblieben. Du hast mich aufgefangen und selbst jetzt hilfst du mir so sehr ohne es überhaupt zu merken. Ich wäre wahrscheinlich schon längst durchgedreht ohne dich. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie unendlich dankbar ich dir bin." Ich lehnte mich an ihn, konnte durch den Stoff die Wärme seines Körpers spüren. Mein Puls beruhigte sich augenblicklich. Ich liebte die Wirkung, die er auf mich hatte.

Ein älterer Arzt betrat den Raum. "Guten Tag Mrs. Haydn. Schön zu sehen, dass sie wieder bei Bewusstsein sind. Unsere Tests sind abgeschlossen. Das Präparat, was Ihnen verabreicht wurde wirkt glücklicherweise nur über einen sehr kurzen Zeitraum. Der Wirkstoff dürfte ihren Körper schon fast vollständig verlassen haben. Die Vitalzeichen sind im Normbereich. Somit steht ihrer Entlassung nichts im Wege."

Erleichtert nickte ich. Eine halbe Stunde später verließen wir das Krankenhaus. Ein hysterisches Kichern bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. "Irgendwie hatte ich mir diesen Abend anders vorgestellt." Nun musste auch Nate grinsen. "Wem sagst du das."
Nachdenklich musterte ich meinen besten Freund.

"Nate, was hast du mir eigentlich gesagt, als wir gemeinsam raus gegangen sind? Du meintest vorhin du wärst deshalb nervös gewesen. Es ist doch nichts Schlimmes, oder?"





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