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Elias blätterte durch meine Unterlagen. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine kleine Falte gebildet, die immer dann entstand, wenn er versuchte sich zu konzentrieren.
"Okay, dann gehen wir jetzt mal zum Strafrecht über."
Ich unterdrückte ein Stöhnen. Der juristische Teil meines Studiums war trockener, als die Sahara und langweiliger, als die schlimmste Folge "Der Bergdoktor". Mein Bruder nahm einen Schluck aus seiner Lieblingsteetasse, bevor er fortfuhr.
"Wie viel Zeit muss verstreichen bis man keine Fangprämie mehr verlangen darf? Und nach wie viel Zeit darf ein Geschäft nicht mehr von einem Dieb verlangen das Geld für die geklaute Ware zurückzuzahlen?"
Emmas Hoffnung auf einen guten Notenschnitt. Papierkorb. Löschen.
"Äääähm...."

"Hate me when I'm gone, I'll make it worth your while when I'm successful..." 
Raleigh Ritchies Stimme rettete mich vor meiner eigenen Unwissenheit. 
Ich warf Elias einen entschuldigenden Blick zu, bevor ich mein Handy aus meiner Hosentasche fischte. 
"Mh, komisch. Das ist Dr. Naster." Sie hatte mich bisher noch nie privat angerufen. 
Mein Bruder fing meinen verwirrten Blick auf und nickte mir mit einem aufmunternden Lächeln zu.
 "Du solltest rangehen. Strafrecht kann 5 Minuten warten."
Seine Stimme hatte einen warmen Ton angenommen, der mir verriet, wie froh er war, dass ich meine Therapie so ernst nahm.
Nach einem leichten Nickten tippte ich auf den grünen Hörer. 
"Emma Harrison, Hallo?"
"Guten Tag Emma. Ich hoffe, ich störe nicht." Ihre Stimme klang gehetzt und im Hintergrund war ein Rascheln zu hören. Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort. "Hier ist Dr. Naster. Ich habe gerade für nächsten Mittwoch einen Notfallklienten reinbekommen. Ich würde jedoch nur äußerst ungern deine Therapiestunde ausfallen lassen. Wäre es dir vielleicht möglich sofort vorbei zu kommen? Gerade habe ich ein bisschen Freiraum und könnte mir eine Stunde für dich Zeit nehmen."
Unentschlossen blickte ich auf meine Lernunterlagen. 
Die Prüfung war bereits in zwei Tagen und es war noch jede Menge zu tun. 
Andererseits halfen mir die Sitzungen mit Dr. Naster wirklich weiter.
"Können Sie für einen Moment dran bleiben?"
"Aber natürlich.", versicherte mir meine Therapeutin, bevor ich auf das kleine Mikrophonsymbol tippte um meine Stimme stumm zu schalten. 
"Alles okay?", fragte Elias, während er mich aufmerksam musterte.
"Ja, aber Dr. Naster hat einen Notfall am Mittwoch und fragt, ob wir meinen Termin auf jetzt sofort vorziehen können. Meinst du das wäre in Ordnung?"
Ich deutete verunsichert auf den Stapel an Karteikarten und den dicken Hefter, welcher noch immer aufgeschlagen auf Elias' Schoß ruhte. 
"Wir haben heute schon viel geschafft und sobald du wieder da bist setzen wir uns sofort wieder ran. Die Gesundheit geht vor, Schwesterchen. Du bist schlau. Die Prüfung schaffst du schon."
"Okay. Danke." Ich umarmte meinen Bruder flüchtig, bevor ich das Telefon erneut an mein Ohr presste.
"Ich bin in 10 Minuten da."

Der kühle Fahrtwind peitschte erbarmungslos gegen meine Hände und ich verfluchte mich innerlich dafür meine Handschuhe in der Eile vergessen zu haben. In den letzten Wochen hatte sich in unserer Kleinstadt eine klirrende Kälte eingenistet, dich mich immer ungeduldiger auf den Sommer warten ließ.
Ich war nur noch 2 Blöcke von Dr. Nasters Praxis entfernt, als plötzlich ein schwarzer SUV viel zu schnell auf mich zufuhr. War der bescheuert? Der Fahrer müsste mich doch schon längst bemerkt haben, doch anstatt abzubremsen, beschleunigte sich der Wagen augenscheinlich nur noch mehr. Fuck. Schnell bog ich in die nächste, kleine Gasse ein um dem Auto auszuweichen. 
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und eine unangenehme Gänsehaut, die nichts mit den niedrigen Außentemperaturen zu tun hatte, überzog meinen ganzen Körper. 
Der Typ hätte mich mit diesem wahnsinnigen Fahrstil umbringen können!
Einatmen. Ausatmen. Bleib ruhig. Es ist nichts passiert.
Als ich den gleichen schwarzen SUV plötzlich auf der anderen Straßenseite stehen sah, wurde mir schlagartig speiübel. Irgendetwas stimmte hier nicht. 
Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass ich in eine kleine, enge Sackgasse ausgewichen war. 
Weit und breit war keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. 
Zumindest bis ich das Zuschlagen von Autotüren und schwere Schritte hörte. 
Mein Magen war nur noch ein steinharter, kalter Klumpen. 
Mit schwitzigen Händen umklammerte ich den Lenker meines Fahrrads, als wäre es ein Schutzschild. 
Beruhig dich, Emma. Das ist bestimmt nur ein blöder Zufall. 
Ich zwang meine Beine sich nach vorne zu bewegen. 
Ein Schritt nach dem anderen.
Hinaus aus dieser engen Sackgasse, die mir auf einmal wie eine Rattenfalle vorkam. 
"Nicht so schnell, Kleine." Eine tiefe Männerstimme ließ meinen Puls in Sekundenschnelle wieder in die Höhe schießen.
Ich versuchte die immer größer werdende Panik in mir zu ignorieren und hob den Blick um dem Mann ins Gesicht sehen zu können.
Er war ein zwei Meter großes Muskelpaket.
Seine Augen wirkten kalt und distanziert, doch es war ihr Ausdruck,  der mich erschaudern ließ. Sein Blick strahlte eine derartige Brutalität aus, dass ich mich nur mit Mühe davon abhalten konnte vor ihm zurückzuweichen. 
"Ich habe keine Zeit. Bitte lassen Sie mich vorbei." Meine Stimme klang deutlich selbstsicherer, als ich mich in Wahrheit fühlte. 
Das raue Lachen eines zweiten Mannes, der nun auch an uns herantrat, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. 
"Warum redest du mit ihr? Hör auf Spielchen zu spielen und lass uns endlich zur Sache kommen. Du verschwendest meine wertvolle Zeit."
Die Klaue der Angst umschloss meinen Brustkorb und erschwerte jeden Atemzug. 
Während mein Blick unaufhörlich zwischen den beiden Männern hin und her zuckte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass sich mir auch noch eine dritte Silhouette näherte.  
Fuck, was wollten die von mir und wie sollte ich an 3 Arnold Schwarzenegger-Doubles vorbei kommen?
Auf einmal fiel mir eine flache, seitliche Ausbuchtung am Hosenbund des Mannes direkt vor mir ins Auge. Das musste eine Waffe sein. Verdammte Scheiße. Die waren auch noch bewaffnet.
Ich versuchte Ruhe zu bewahren und atmete tief durch. 
Okay, erinnere dich an das, was du gelernt hast. 
Zuerst musste ich dem Typen seine Knarre abnehmen. 
Die anderen würden nicht wild drauf losschießen, wenn ihr Kollege so nah bei mir war. 
Adrenalin pumpte brennend heiß durch meine Adern. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. 
Als mein Gegenüber nach meiner Schulter greifen wollte, stürzte ich mich auf ihn.
Er war massiv und stark, aber deutlich langsamer als ich. 
Das war mein Vorteil. Ich trat ihm mit voller Wucht in die Weichteile. 
Ein teils wütender, teils schmerzerfüllter Schrei entwich meinem Angreifer. 
Während er sich krümmte ließ ich mein Hand an seine linke Seite gleiten und zog mit einer fließenden Bewegung die Pistole aus der dem Bund seiner Jeans. 
Doch bevor ich meinen neu gewonnene Überlegenheit nutzen konnte, wurde ich aus dem Nichts seitlich gegen die raue Mauer neben mir geschleudert.
Die Waffe glitt mir aus der Hand und schlitterte mit einem schabenden Geräusch über den Boden.
Ein stechender Schmerz durchzuckte meine Schulter und der metallische Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus. Fuck. 
Ich ignorierte das heiße Pochen in meiner Seite und sprang sofort wieder auf die Beine. 
Mein Herz pumpte pures Adrenalin durch meine Adern.
In der nächsten Sekunde sah ich, wie der zweite Mann, welcher mich gegen die Mauer geschubst haben musste, raubtierartig auf mich zusprang. 
Ich drehte mich ruckartig um 180 Grad und bekam sein Handgelenk zu fassen.
Mit aller Kraft drehte ich die Arme des Muskelprotzes auf seinen Rücken. 
Knack. Der Typ keuchte auf. 
Seine rechte Schulter wirkte eigenartig deformiert. 
Der war wohl erstmal außer Gefecht gesetzt. 
Als ich Schritte hinter mir hörte, ließ ich von ihm ab und wandte mich erneut meinem ersten Angreifer zu. Seine Nasenflügel blähten sich immer wieder unkontrolliert bebend auf, während mich sein tomatenrotes Gesicht wütend anstarrte. Wären wir in einem Cartoon hätte es wohl auch noch aus seinen Ohren gedampft. 
"Na warte, du kleine Ratte", knurrte er und fletschte seine Zähne wie ein angriffslustiger Wolf. 
"Du kannst froh sein, dass ich dich am Leben lassen soll."
Eine eisige Gänsehaut kroch über meinen Körper. 
Was sollte das heißen? Er soll mich am Leben lassen? 
Wer wollte das und was hatten die mit mir vor? 
Der Kerl versuchte mir einen Kinnhaken zu verpassen, doch ich war schneller. 
Ich packte ihn an den Haaren und wollte ihm gerade mein Knie in den Rücken stoßen, als ich plötzlich einen Stich, gefolgt von einem Brennen in meinem linken Oberschenkel verspürte. 
Was? Was war das? 
Schlagartig wurde mir schwindelig. Verwirrt taumelte ich zurück. 
Meine Knie waren auf einmal, wie Pudding und ich konnte mich nur mit Mühe aufrecht halten. 
Als ich meinen Oberschenkel abtastete spürte ich so etwas, wie einen dicken, gläsernen Dartpfeil in meinem Bein. 
Das fühlte sich eigenartig an. 
So glatt und kühl. 
Eine wütende mir unbekannte Männerstimme rief aus der Ferne irgendwas von "Idioten" und "unterschätzt ihre Fähigkeiten nicht". 
Meine Sicht geriet immer mehr ins Wanken und begann schließlich gänzlich zu verschwimmen. 
Ein kräftiger Arm schlang sich um meinen Oberkörper, aber es war nicht Alex. 
Oh man, wie gern ich jetzt in Alex' Arm liegen würde.
Auf einmal fühlte sich mein Körper unfassbar schwer und müde an. 
Nur für einen Moment die Augen schließen... Mein Wecker wird schon klingeln, wenn ich zur Prüfung muss. 
Das Letzte was ich spürte, war etwas Kaltes, Hartes unter meinem Rücken. 
Dann ließ ich mich ins Reich meiner Träume ziehen.








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