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Erst als ich die Hoffnung endgültig losgelassen hatte, merkte ich, wie feindseelig ihre Natur doch in Wahrheit war. Über Wochen hatte sie mich im Glauben gelassen, dass bestimmt bald die Polizei das Gelände stürmen würde.

Dass mich jemand finden und retten würde.
Sie redete mir ein, dass jeder noch so schreckliche Albtraum irgendwann ein Ende hatte.  
Irgendeine der täglichen Spritzen, Pillen und Untersuchungen würde irgendwann die Letzte sein.
Das alles war nur eine Phase. Nichts war für die Ewigkeit bestimmt. 
Wenigstens damit hatte sie Recht behalten. Wenn auch auf ganz andere Art und Weise, als ich es mir ersehnt hatte. 
Als ich endlich erkannt hatte, dass jedes meiner Gebet sinnlos war und keine Rettung kommen würde, fühlte ich mich auf eigenartige Weise befreit.
Jedes Experiment hatte einen weiteren Faden aus dem Verbindungsseil zu meinem alten Leben durchtrennt. 
Bis es schließlich vollständig gerissen war.
Letztlich war ich sogar in der Lage zu respektierten, dass ich meine Familie und Freunde nicht wiedersehen würde.
Es würde mich nicht weiter bringen, wenn ich die Augen vor der Realität verschloss.
Also nahm ich mein Schicksal an.
Plötzlich hatte ich Dumbledores Stimme im Ohr.
Es war eigenartig, dass meine Gedanken gerade in so einer Situation immer wieder zu so belanglosen Themen schweiften. 
Langsam verlor ich den Verstand.
Vielleicht eine Nebenwirkung der ganzen Tabletten?

Es ist nicht gut, wenn wir nur unseren Träumen nachhängen und vergessen zu leben. 
Wie schade, dass auch zu leben hier drin unmöglich geworden war.

Die Worte des alten Schulleiters aus Hogwarts gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.
Ich erinnerte mich, an unseren alljährlichen "Harry Potter"-Marathon in der Weihnachtszeit. Verrückt, wie weit weg mir das alles mittlerweile vorkam. 
Ob Elias unserer Tradition trotz meines Verschwindens treu bleiben würde?
Ich hoffte es. 
Das grelle Aufflackern der Lichter kündigte Steves Anwesenheit an. 
Ich konnte seine Anspannung regelrecht spüren. 
Irgendetwas war heute anders. 
"Hallo Emma. Ich habe schlechte Nachrichten. Unsere Tests und haben mich bisher kein Stück weiter gebracht. Ich dachte die letzten Ergebnisse würden endlich etwas mehr aussagen, aber nein." Frustriert raufte er sich die Haare.
"Jetzt bleibt mir nur noch eine Möglichkeit." Der Irrsinn in seinen Augen trieb mir eine Gänsehaut über die Arme.
"Jetzt sieh mich nicht so an, Kleine! Komm schon! Du wusstest, dass diese Aufgabe wichtig ist. Und wenn nur dein Gehirn Aufschluss darüber bringen kann, wie dieses eigenartige Gen funktioniert, dann ist das nicht meine Schuld. Dein Körper trägt dafür die Verantwortung."
Er sah mich an, als müsse er einer Sechsjährigen erklären, dass es den Weichnachtsmann nicht gibt. 
Ich verstand gar nichts mehr. 
Was zur Hölle faselte er da? Mein Gehirn sollte was? 
Steve musste die Verwirrung in meinem Blick gelesen haben. 
Seufzend beugte er sich zu mir hinab. 
"Ich werde dein Gehirn entnehmen. Das heißt das hier wird unsere letzte Unterhaltung sein. Wobei du eh nie wirklich viel gesprochen hast." Er zuckte so gleichgültig mit den Schultern, als hätte er mir gerade erzählt was er heute Abend essen wolle. 
Mein Herz begann zu rasen noch bevor die Bedeutung seiner Worte zu mir durchgesickert war. 
Das bedeutete... Mein Körper begann zu zittern. Heiß-kalte Schauer krochen meine Wirbelsäule hinunter. 
"Du wirst mich heute umbringen.", krächzte ich. 
Die Worte schmeckten, wie Gift auf meiner Zunge.
Steve antwortete nicht, doch das war auch nicht nötig. 
Sorgsam bereitete er den OP Tisch für seinen letzten Eingriff an mir vor. 
Vielleicht wäre es angebracht gewesen in so einem Moment zu weinen oder ein letztes Mal zu beten.
Doch ich war zu leer, zu ausgebrannt und kraftlos. 
Also starrte ich nur Minutenlang auf meine staubigen Hände.
Als er mir das Muskelrelaxanz spritzte, verspürte ich keinerlei Wirkung. 
Mein Körper war schon zuvor vor Angst ganz taub gewesen. 
Ich war ein Tier, was zur Schlachtbank geführt wurde. 
Vor meinem inneren Auge sah ich Alex. 
Ob er sich genauso gefühlt hatte, kurz bevor er gestorben war? 
Würde ich ihn jetzt wiedersehen? Genauso wie meine Mum und meinen Dad? 
Steve schloss meiner Zelle auf und zog meinen schlaffen Körper zu der metallenen Liege im Zentrum des Raumes.
Der raue Steinboden schabte schmerzhaft über meinen Rücken.
Ächzend hievte er mich auf das Tragegestell.
Wie sehr würde es weh tun?
Meine Augen zuckten nach rechts. Nur wenige Meter neben mir lag eine Art Kreissäge.
Oh mein Gott! Sofort spürte ich die aufkeimende Panik.
Übelkeit stieg in mir auf. 
Ich würde diese Schmerzen nicht ertragen!
Ich versuchte Steve anzuflehen mir eine Betäubung zu geben, doch meine Zunge wollte einfach nicht gehorchen. 
Kalter Schweiß sammelte sich in meinem Nacken. Was war das nur für ein kranker Scheiß?
"Ganz ruhig Kleines. Zuerst bekommst du nochmal ein kostenloses Wellnessprogramm. Das Gehirn muss schließlich möglichst steril entnommen werden."
Er zwinkterte mir zu, als wäre das ernsthaft eine Tatsache über die ich mich freuen sollte. 
Quälend langsam begann er meine Haare zu waschen und zu kämmen. 
Danach zog er mich bis auf die Unterwäsche aus und wusch meinen Körper.
Ekel überkam mich. 
Noch nie wollte ich jemanden so dringend von mir stoßen. 
Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte Steve sich von mir ab und zog sich Gummihandschuhe über. Das schnipsende Geräusch fuhr mir durch Mark und Bein.
Das Schnarren der Kreissäge übertonte mein hämmerndes Herz. 
Sofort kniff ich die Augen zusammen und versuchte mich auf das, was nun kommen würde, vorzubereiten.
"RUMPS"
Ein viel zu schriller Knall ließ meine Ohren dröhnen. 
Die Kreissäge verstummte und wurde durch laute Schüsse ersetzt.



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