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Nate und ich saßen in seinem Zimmer und lernten für die Uni, als es an der Tür klingelte.

"Hoffentlich ist das nicht schon wieder Miss Marsh, die ständig Betreuung für ihre inkontinente Katze braucht." Seufzend rappelte Nate sich auf und ging zur Tür.
"Hi, stör ich?" Die Stimme hätte ich unter Tausenden erkannt. Alex. 
Sofort begann die Schmetterlingshorde in meinem Bauch aufgeregt zu flattern.
Ich hatte ihn seit dem Tag am Krankenhaus nicht mehr gesehen.
Weil er dir aus dem Weg geht, flüsterte diese fiese, kleine Stimme in meinem Kopf, doch ich ignorierte sie so gut es ging.
"Nein, nein, komm gerne rein.", hörte ich Nate sagen.
Sofort war ich auf den Beinen und ging in den Flur, wo die beiden noch immer standen.
"Ich wollte mal sehen wie-" Alex verstummte aprubt, als er mich bemerkte.
Die Muskeln an seinem Kiefer traten hervor, als er die Zähne fest zusammen biss. "Emma, was machst du denn hier?"
"Ich, ähm..." Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen. "Wir lernen zusammen. Ich habe dich versucht in den letzten Tagen zu erreichen."
Alex sah zu Boden.
"Ach Leute, da fällt mir ein, dass ich noch eben die Blumen gießen muss."
Nate schlüpfte in Rekordgeschwindigkeit in seine Sneaker.
"Nein, Na-" Doch bevor Alex seinen Satz beenden konnte, hatte Nate bereits die Tür hinter sich zugezogen.
"Da waren es nur noch 2." Toll, sehr geistreich Emma. Da bist du nach Ewigkeiten mal wieder mit Alex allein und das ist ernsthaft das Erste, was dir einfällt? Das hat einen mittelschweren Applaus verdient.
"Jap, aber ich muss dann auch."
Oh nein, er durfte nicht gehen. Wir mussten endlich reden. Ich musste ihm alles erklären.
Hastig griff ich nach seinem Arm.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
"Bitte geh noch nicht. Ich muss dir dringend ein paar Dinge erklären. Bitte, Alex. Gib mir nur 5 Minuten."
Er starrte erst mich an, dann auf meine Hand.
Ich bemerkte, wie sich die kleinen Härchen auf seiner goldbraunen, makellosen Haut aufstellten.
Ich ließ ihn also doch nicht so kalt. 
Die Hoffnung in mir erwachte zum Leben und warf mit Glückshormonen um sich, als wären es Süßigkeiten an Karneval. 
Alex' Brustkorb hob und senkte sich schnell. Ein paar Sekunden vergingen.
Dann entzog er mir seinen Arm.
"Schön."
"Danke.", flüsterte ich und atmete ein paar Mal tief durch um mich zu sammeln.
"Du musst nämlich dringend ein paar Sachen wissen." Oh Gott, wie leitete man am Besten so ein Gespräch ein? 
Keine Ahnung! Dann einfach mit die alt bewährte "Mit-der-Tür-ins-Haus-fallen"-Taktik Angespannt fummelte ich am Saumen meines T-Shirts herum.
"Ich habe gelogen, als ich gesagt habe, dass ich bei dir nichts fühle. Es war die grauenhafteste und größte Lüge meines Lebens, denn in Wahrheit fühle ich so viel, dass ich es nicht ansatzweise in Worte fassen kann." Mir wurde heiß und kalt zugleich. Endlich hatte ich die Möglichkeit ihm meine Gefühle zu gestehen. Die Aufregung ließ meine Stimme zittern, doch ich zwang mich weiter zu sprechen. Er musste hören, was ich schon vor so langer Zeit hätte aussprechen sollen.
"Ich habe in Romanen darüber gelesen, wie es sich anfühlt, wenn man diesem einen Menschen begegnet, für den man bestimmt ist, aber ich hätte nie gedacht, dass es so etwas wirklich gibt. Doch dann habe ich dich getroffen. Endlich habe ich verstanden, warum es nie mit einer anderen Person klappen würde. Weil keiner du bist. Und auch wenn du jetzt, nach allem was passiert ist, nicht mehr zu mir gehören möchtest, musst du wissen, dass ich trotzdem immer zu dir gehören werde. 
Es tut mir so leid, dass es so lange gedauert hat, bis ich endlich die Wahrheit sehen wollte, doch das ist sie. Und ich will nichts mehr, als mit dir zusammen sein, dich küssen oder einfach nur stundenlang mit dir reden. Ich denke ununterbrochen an dich und als ich dachte, dass du tot wärst..." Ein kalter Schauer ließ mich erzittern.
"...da ist eine Welt für mich zusammen gebrochen. Und ich kann und will es nicht mehr leugnen. Ich liebe dich."
Eine Welle der Erleichterung überkam mich. Endlich hatte ich es ihm gesagt.

Alex schnaubte verächtlich. Die Erleichterung verwandelte sich in Angst.
Seine Schulter wirkten zum Zerreißen gespannt.
"Du hast nicht das Recht dazu mir so etwas zu sagen." Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und atmete hörbar aus. "Warum hast du dich dann damals für Nate entschieden? Warum hast du mir gesagt, dass dir das zwischen uns nichts bedeutet? Wie konntest du all das so leichtfertig wegwerfen?" Seine Stimme war kalt wie Stein und ließ keine einzige Emotion durchblitzen.
Ich versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen.
In meinen Träumen wären wir uns in diesem Moment in die Arme gefallen, doch stattdessen hatte ich das Gefühl gegen eine meterhohe Betonmauer zu knallen. Alex wandte mir den Rücken zu und sah aus dem Fenster.
Mein Mund wurde staubtrocken und ich musste mich mehrfach räuspern um meine Stimme wiederzufinden.
"Ich hatte Angst. Ich war davor noch nie so jemandem, wie dir begegnet. Das, was du in mir ausgelöst hast und all die Macht, die du über mich hattest war völlig neu für mich und hat mich verunsichert. Und dann hat Nate mir seine Gefühle gestanden und ich hatte diese dämliche Befürchtung, dass ich ihn verlieren würde, wenn ich sie nicht erwiedere. Ich habe mir eingeredet, dass es das Beste so wäre, aber in Wahrheit war ich einfach nur zu feige auf mein Herz zu hören. Es tut mir so leid, dass ich das erst jetzt verstanden habe, aber du musst mir glauben. Ich liebe dich. Du bist es, Alex. Seit dem Moment in dem ich dich das erste Mal gesehen habe."

"Ach so" Alex wandte sich wieder zu mir. Die Abscheu in seinem Blick war ein Schlag in die Magengrube.
"Also hast du gelogen, weil ich deiner Vorstellung eines Märchenprinzen nicht entspreche? Du wolltest keinen wie mich. Nate war der Vorzeigeschwiegersohn im Gegensatz zu mir. Für ein bisschen rummachen hat es gereicht, aber sobald es ernst wird lügst du mir lieber mitten ins Gesicht? Wäre ich nie "gestorben" wärst du jetzt wahrscheinlich immer noch glücklich mit meinem Bruder zusammen.  Verdammte Scheiße, und dann kommst du her und sagst mir ernsthaft, dass du mich liebst?" Er stieß ein freudloses Lachen aus.
"Ich habe nie gesagt, dass du nicht meiner Vorstellung eines Märchenprinzen entsprichst, Alex.", sagte ich heiser.
Er schüttelte bloß den Kopf. Die Wut in seinem Blick war einem tiefen Schmerz gewichen.
Alex hatte wegen mir gelitten und deshalb wieder scharfen Stacheldraht schützend um sein Herz gezogen.
All seine Wut und Abneigung verbargen nur Wunden unter sich, die er unter keinen Umständen wieder aufreißen wollte.
Das war mir zwar bewusst und sicherlich hatte ich es auch verdient, aber trotzdem tat es weh.
Es fühlte sich nämlich an, als würde ich Alex erneut verlieren - diesmal für immer.
"Aber du hast es gemeint. Wie soll ich dir jetzt noch glauben? Woher soll ich wissen, dass du morgen nicht wieder deine Meinung änderst, so wie es dir gerade passt?" 
Seine Worte hingen zwischen uns und ich wusste nicht, was ich noch entgegnen sollte. 
Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm begreiflich machen sollte, dass ich immer nur ihn geliebt hatte und dass ich genau in diesem Moment nichts lieber tun würde, als all die Sorgen aus seinem Gesicht zu küssen. 
Er gab mir ohnehin keine Chance.
Die Erkenntnis trieb mir Tränen der Verzweiflung in die Augen.
Hastig versuchte ich sie wegzublinzeln, doch es half nichts.
Hatte ich Alex wirklich für immer verloren, nur weil ich zu dumm gewesen war und nicht auf mein Herz gehört hatte? Das würde ich mir nie verzeihen.
Wir sahen uns eine gefühlte Ewigkeit lang an. Dann schluckte er.
"Gut, dass wir das beide so sehen."
Das war das Letzte, was er sagte bevor er sich umdrehte, das Zimmer durchquerte und die Tür hinter sich zu schmiss. 
Er verschwand, wie an jedem Tag im Café, als ich den größten Fehler meines Lebens begangen hatte. 
Nur, dass ich ihm diesmal die Wahrheit gesagt hatte. Leider war es dafür zu spät gewesen.
Erst, als ich sein Motorrad aufheulen hörte, brach alles in mir zusammen.
Mein Herz schmerzte so sehr, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
Ich schlang die Arme um mich und versuchte mich selbst irgendwie zusammenzuhalten, während all die Enttäuschung und der Schmerz über mir zusammenbrach.
Meine Seele brannte und ich weinte, doch kein Wasser der Welt vermochte dieses zerstörerische Feuer zu löschen.
Ich hatte ihn verloren. 
Irgendwann spürte ich eine Hand die über meinen Kopf streichelte.
"Alles wird gut.", murmelte Nate immer und immer wieder. 

Alex:

Mein dämliches Herz schrie mich an sofort umzukehren und sie um den Verstand zu küssen.
Wie oft hatte ich mir vorgestellt, dass sie all diese Dinge zu mir sagen würde? Und jetzt?
Verdammte Scheiße, ich konnte das nicht. Früher oder später würde sie erkennen, dass ich doch nicht mehr bin, als die heiße Affäre für ein paar Monate. Bis der nächste Kerl mit guten Manieren zu ihr kommen würde.
Warum konnte ich nicht endlich aufhören an Emma zu denken?
Frustriert presste ich meinen Kiefer aufeinander.
Allein die Vorstellung von ihr und einem anderen Kerl trieb mich in den Wahnsinn.
Es war eine seelische Folter zu wissen, dass sie mich wollte und, dass ich trotz allem viel zu viel Schiss hatte mein Herz noch einmal für sie zu öffnen. 
Eine Scheißangst hatte, verletzt zu werden.
Die Art, wie sie mich angesehen hatte zerriss mir mein verflucht  bescheuertes Herz.
Ich war davor noch nie verliebt gewesen. Und es hätte verdammt nochmal einfach so bleiben sollen. Ich konnte mich schmerzvoll genau an jede verfluchte Sekunde in diesem Café erinnern. Sie hatte mir das Herz herausgerissen. 
Lieber hätte ich mir in den Arm schießen lassen, als dieses Gespräch zu führen.
Das Motorrad wurde immer schneller, doch statt des sonst zuverlässig einsetzenden Adrenalinkicks fühlte ich nichts als Leere.
Vielleicht gab es früher mal eine Chance auf ein Happy End zwischen Emma und mir, aber in unserer zum Drama gewordenen Liebesgeschichte, war schon zu viel Mist passiert und Vertrauen zerbrochen, als dass ich einfach so tun könnte, als wäre all das nie geschehen.

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