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Alex:

"Wir gratulieren Alex Harrison. In großer Hochachtung wird ihm heute für besondere Leistungen bei der Ausschaltung eines Talibanführers, das hochgradigste Hoheitsabzeichen der Polizei verliehen. Mr. Harrison hat damit viele Leben gerettet. Wir freuen uns sehr auf die zukünftige Zusammenarbeit in seiner neuen Stellung, als Leitung der Sondereinheit."
Das war mein Stichwort. 
Mechanisch stand ich auf und ging zum Podium.
Der tosende Applaus und diese aufgesetzte Ehrenveranstaltung mit lauter alten Typen, die vor Jahren mal irgendetwas Besonderes geleistet hatten, hätten mich wohl glücklich oder wenigstens ein bisschen stolz machen sollen.
In Wahrheit fühlte sich das alles leer an.
Wie ein wunderschön verpackter Schokoladenosterhase, der ranzig schmeckte.
Nachdem ich viel zu viele Hände geschüttelt hatte, setzte ich mich wieder auf meinen Platz. 
Die Arschkriecherei dauerte länger als gedacht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verließen die Mitwirkenden endlich nach und nach das Podium.
Dann strömten alle Gäste, wie Ameisen aus der Halle.

"Ich bin so stolz auf dich." Nate umarmte mich etwas zu überschwänglich für meinen Geschmack.
"Danke", sagte ich und befreite mich aus seinem Griff.
"Was hältst du davon, wenn wir zur Feier des Tages noch ins Caters gehen und einen auf dich trinken?",  fragte Nate grinsend.
Na klasse, natürlich musste er genau den Club vorschlagen, in dem Emma bei mir das erste Mal dieses viel zu intensive Kribbeln ausgelöst hatte.
Ich fühlte mich bei dem Gedanken dahin zu gehen beschissen. Es war als könnte ich mir selbst nicht mehr trauen, seit Emma all die Mauern, die ich errichtet hatte, um zu überleben, mit ihren Worten angeknackst hatte. 
Mein Kopf forderte mich auf sofort abzulehnen. 
Aber mein dämliches Herz jubelte natürlich. 
Wie konnte dieses verdammte Ding überhaupt so viel fühlen? Es war nur eine Scheißblutpumpe! Konnte ich das Teil irgendwo umtauschen?
"Komm schon, man. Da ist heute am Meisten los. Wir müssen deinen Erfolg auf jeden Fall gebührend feiern! Außerdem warst du verdammt lange weg. Wir haben einiges nachzuholen.", fuhr Nate fort. 
Mein schlechtes Gewissen meldete sich prompt. Fuck, warum musste er gerade jetzt die "Du hast mich allein gelassen"-Karte ausspielen? Ich seufze ergeben. "Na gut. Lass uns hingehen."

Der Club war stickig und voll. Der Geruch von Schweiß und billigem Parfum lag in der Luft. Nach nicht einmal 5 Minuten in diesem verfluchten Pumakäfig, kam schon die erste Blondine zu mir und versuchte sich an allen möglichen Tricks der Flirtkunst, die sie vermutlich in irgendeinem dämlichen, viel zu überteuerten Buch gelesen hatte. 
Früher hätte ich ihr gegeben, was sie von mir wollte.
Heute nervte mich schon allein ihr aufgesetzte Kichern so sehr, dass ich am Liebsten sofort wieder gegangen wäre. 
"Ey, Alex, komm mal mit.", schrie Nate mir ins Ohr. Seine Stimme klang angespannt. 
"Was ist?" Ich runzelte die Stirn und folgte ihm. 
Nate blieb in einer ruhigeren Ecke stehen. Sofort fiel mein Blick auf die Tür mit der Aufschrift "PRIVAT" vor ihm. 
In diese kleine Mitarbeitertoilette hatte mich Emma damals gezogen um mein Shirt zu reinigen.
Sie war so panisch. Und verdammt süß...
Scheiße, ich musste dringend damit aufhören ständig solche Sachen zu denken. 
Seufzend stellte ich mich zu Nate und sah ihn abwartend an.
Er grinste so merkwürdig, dass ich begann an seinem Geisteszustand zu zweifeln.
"Tut mir leid Alex, aber das muss jetzt sein."
Plötzlich schubste er mich so heftig gegen die Tür hinter mir, dass sie krachend aufging und ich rückwärts in den Raum stolperte. 
"Was zur Hölle?" Okay, Nate hatte definitiv den Verstand verloren.
In der nächsten Sekunde schlug der Vollidiot die Tür direkt vor meiner Nase zu. 
Das Klacken eines Schlüssels war gedämpft zu hören.
Schloß die Arschgeige mich jetzt ernsthaft in der verfluchten Mitarbeitertoilette ein? 
Was war verdammt nochmal in ihn gefahren?
Als ich mich umdrehte setzte mein Herz für ein paar Sekunden aus, nur um dann in dreifacher Geschwindigkeit weiterzuschlagen. 


Emma:

Nervös ging ich auf und ab.
Alex wurde heute für seinen letzten Einsatz geehrt.
Einerseits war ich vor Stolz kurz vorm Platzen.
Andererseits war ich wirklich traurig darüber, dass ich seine Auszeichung nicht mit eigenen Augen sehen konnte.
Ich atmete ein, ohne genug Luft in die Lunge zu bekommen.
Die weißen Fliesen der Personaltoilette waren kaum noch sichtbar, weil ich jeden Zentimeter von ihnen mit Zetteln beklebt hatte.
Zettel auf denen Gründe standen, warum ich mich in Alex verliebt hatte.
Für manche mochten diese Gründe, wie Kleinigkeiten erscheinen, doch für mich bedeuteten sie die Welt.
Wenn ich Alex während der letzten Wochen zufällig über den Weg gelaufen war, was leider viel zu selten vorkam, dann hatte ich ihn immer von oben bis unten angeschaut und versucht mir jedes Detail von ihm einzuprägen - beispielsweise die kleine Narbe neben seiner linken Augenbraue, die leichten Grübchen, wenn er lächelte oder die einzelnen grauen Flecken in seiner himmelblauen Iris. Gott, ich vermisste ihn so sehr.
Ich liebte jede noch so unbedeutende Einzelheit an ihm.
Doch vor allem liebte ich sein Wesen. 
Es musste einfach klappen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Erst als die Tür aufsprang und ein verwirrter Alex hereinstolperte, wurde mir klar wie schwitzig sich meine Handflächen anfühlten.
Wie schnell mein Puls raste.
Und wie viel Angst ich hatte, dass mein Herz das nicht überleben würde.
Die ganzen Gefühle, die ich in der vergangen Zeit verspürt hatte, brachen wie eine gigantische Welle über mir zusammen.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden. Er sah so perfekt aus. Mal ehrlich, wie heiß konnte ein Typ sein?
Er trug ein weißes Hemd, was so unglaublich gut saß, als wäre es nur für ihn angefertigt worden.
Die obersten 2 Knöpfe hatte er geöffnet und seine Ärmel waren so weit hochgekrempelt, dass sie seine sehnigen Unterarme entblößten.
Mein Mund wurde auf einen Schlag staubtrocken.
Alex wandte sich mir zu und ich sah den Schock in seinen Augen.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.
Oh Gott.
Sein Blick wanderte fassungslos durch den Raum.
Scheiße, ich musste etwas sagen. Mein Kopf war plötzlich wie leer gefegt. 
Seine Augen weiteten sich, als er mich erneut ansah.
"Hi, Alex. Du fragst dich sicher, warum du hier bist und was das alles hier soll." Meine Stimme klang genauso zittrig, wie ich mich fühlte. 
"Ähm...weißt du... ich habe Nate darum gebeten dich hierher zu bringen... herzlichen Glückwunsch übrigens zu deiner Auszeichnung und der Beförderung. Nate hat mir davon erzählt. Das hast du wirklich verdient und ich bin unglaublich stolz auf dich. Freust du dich über deine neue Stellung?", fuhr ich fort. Oh man, jetzt reiß dich mal zusammen Emma.
Ich war hier um ihn von meinen Gefühlen zu überzeugen und nicht um Smalltalk zu führen.
"Natürlich tust du das.", fügte ich hastig hinzu, als Alex keine Anstalten machte zu antworten. Ich lachte nervös. Gott, mir war richtig schlecht vor Aufregung und bisher lief es absolut katastrophal. Ich spürte wie meine Ohren rot wurden. 
Einatmen.
Ausatmen.
Ich liebte Alex von ganzem Herzen und noch ein bisschen mehr.
Ich besann mich auf die Wärme in meinem Bauch. 
Die tiefe Zuneigung zu ihm nistete sich in jede Faser meines Körpers ein und gab mir ein gutes Gefühl. Das unsichtbare Band zwischen uns machte mich stärker. Besser. 

"Okay, ich möchte nicht mehr um den heißen Brei herum reden. Und ich verspreche dir, dass ich dich in Ruhe lassen werde, wenn du mich wieder abweist, aber ich muss das jetzt einfach tun. All diese Dinge, die ich auf die Zettel geschrieben habe...", ich machte eine allumfassende Geste, "...kamen direkt aus meinem Herzen. Ich liebe dich. Und das nicht nur weil du heiß bist oder aus einer Laune heraus. Nein. Ich liebe dich auf eine Kitsch-Liebesfilm-Weise, die andere Leute mit den Augen rollen lässt. Ich hatte keine Ahnung, wie intensiv Gefühle sein können bis ich dich kennengelernt habe. Und ich weiß, dass zu Zweifel hast. Das verstehe ich. Aber ich kann dich nicht einfach so aufgeben. Ich habe viele Fehler gemachte, weil ich Angst hatte und blind war. Aber du musst wissen, dass ich, wenn du mir eine zweite Chance gibst, der glücklichste Mensch auf diesem Planeten wäre. Ich will nur dich und ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Bitte sag mir, dass es noch nicht zu spät dafür ist, Alex. Bitte gib mir noch eine Chance."
Tränen brannten in meinen Augen, doch ich konnte meinen Blick nicht von Alex abwenden.
Ich suchte in seinem Gesicht nach Gefühlen, doch fand nichts.
Seine Mine schien undurchdringlich. 
Ich versuchte seinen Blick festzuhalten doch er wich mir aus.
Meine Ohren begannen zu rauschen.
"Bitte, glaub mir.", flüsterte ich rau. "Bitte."
Kurz schwieg er. Ich konnte ihn tief einatmen hören, dann seufzte er schließlich.
"Ich kann das nicht, Emma."
Alex brach die Tür auf und ging.
Das Schlimmste daran war, dass ich ihn in diesem Moment kein bisschen weniger liebte.
Ich hatte versucht die Kluft zwischen uns zu überwinden und war in die Tiefe gestürzt. 


Alex:

Es tat weh sie anzusehen, also fixiere ich stattdessen einen Punkt über ihrem Kopf. Ihre Worte ließen einen Knoten in meiner Brust platzen, aus dem eine wohlige Wärme austrat. 
Sie flutete meinen Körper und vertrieb die innere Kälte innerhalb von Sekunden. 
Das war nicht gut, denn das sollte nicht passieren, das sollte wirklich nicht passieren.
Emma, könntest du bitte aufhören, in meinem Herzen herumzutoben, als wäre es dein persönliches Spieleparadies, und einsehen, dass wir dauerhaft geschlossen haben?
"Bitte.", flüsterte sie rau. 
Ihre Stimme klang so verzweifelt, dass es mir das Herz brach. 
Emma auf diese Weise zu sehen, machte etwas mit mir.
Alles in mir sehnte sich danach sie an mich zu ziehen und nie wieder loszulassen.
Das war verfluchte Folter, denn ich wusste, dass es nicht ging.
Ich war nicht gut für sie. Scheiße, ich hatte Emma nicht verdient und sie würde das auch noch merken. 
Sie hatte mich in eine andere Welt katatpultiert und wenn ich mir erlaubte diese erneut zu betreten, würde ich es nicht ertragen sie noch einmal zu verlieren.
Emma zu verlieren.
"Ich kann das nicht, Emma.", presste ich hervor. Während ich die Worte aussprach, starb etwas in mir.
Der Ausdruck in ihren wunderschönen Augen ließ mich brennen. 
Fuck, ich hielt das keine Sekunde länger aus.
Ohne nachzudenken warf ich mich mit voller Wucht gegen die Tür und stürmte aus dem Zimmer.
Ich musste hier raus.
Ich drängte mich durch die feiernden Menschenmassen im stickigen Club. Die kühle Nachtluft fühlte sich an, wie eine kalte Dusche. 
Was zur Hölle war da gerade passiert? Fuck, mir war speiübel. 
Schluckend lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Fassade des Caters und nahm mir ein paar Sekunden um tief durchzuatmen und mich zu sammeln.
Kurz herrschte Stille.
Nur ich, mein viel zu schneller Herzschlag und meine verreckte Seele.
Dann sah ich diesen flehenden Ausdruck in ihrem Gesicht wieder vor meinem inneren Auge und hörte ihre süßen Worte.
"Fuuuuck!"
Ich schlug auf das Gebäude ein. Einmal, zweimal, dreimal... bis meine Fingerknöchel zu bluten begannen.
Plötzlich schlossen sich zwei Arme um mich und zogen mich nach hinten.



Emma

Ein animalischer Schrei entrang sich meiner Kehle.
Ich sah zu, wie mir das Schicksal ins Gesicht schlug. Verzweifelt drückte ich die Hand an meine Brust um den Schmerz zu lindern. 
Da war sie, die hässliche, erbarmungslose Wahrheit: Ich hatte Alex verloren.
Mein Handy begann zu klingeln. Die fröhliche Melodie schien mich zu verhöhnen.
Es klingelte immer weiter, also warf ich das dämliche Ding gegen die Wand.
Eine Wand voller Gründe, warum ich Alex so bedingungslos verfallen war.
Dieser Raum war unerträglich. 
Blind vor Schmerz taumelte ich in den Tanzsaal. Tränen trübten meinen Blick.
Ich hangelte mich zur Bar und bestellte einen Tequila.
Dann noch einen.
Und noch einen.
Scheiße, warum hatte ich das nur getan. Ich war so dumm.
Er hatte mir zuvor schon mehr als deutlich gesagt, dass es zu spät für uns war. 
Tja, wer nicht hören will, muss fühlen.
Der Alkohol brachte in etwa so viel, wie ein Glas Wasser bei einem Waldbrand.  
Also hörte ich auf zu trinken.
Der Schmerz, den ich empfand, war so allumfassend, dass es eh sinnlos war.
Kein Drink der Welt konnte mich davon erlösen.  
Also saß ich einfach nur da, ignorierte jede Person, die mich ansprach und versuchte das Geschehene zu akzeptieren.
Ich würde weiter machen. Das konnte ich. Doch zwischen existieren und wirklich leben war ein riesiger Unterschied. Und wie sollte man ohne Liebe wahrhaftig leben? Sie war das Schönste, was diese Welt uns zu bieten hatte. 
Und auch das Schmerzhafteste.
Irgendwann stand ich auf und ging nach Hause. 
Wie ferngesteuert betrat ich das Haus, schloss mich im Bad ein und nahm eine Dusche.
Ich konzentrierte mich darauf jeden Quadratzentimeter von mir unter dem heißen Wasser sauber zu schrubben um den schrecklichen Tag einfach wegzuspülen.
"Drrrrrrrrr"
Das laute Geräusch unserer Haustürklingel ertönte. 
Ich ignorierte es.
"Drrrrr"
"Drrrrrrrrrrr"
"Drrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr"
"Drrrrrrrrrrrrrr"
"Drrrrrrrrrrrrrrrr"
Wer klingelte denn bitte mitten in der Nacht Sturm?
Jemand hämmerte gegen die Tür.
Es schien dringend zu sein. Also zwang ich mich das Wasser abzustellen, hüllte mich in ein Handtuch und tapste durch den Flur. 
Seufzend machte ich die Haustür auf und erstarrte.

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