3 Monate später
Der vertraute Geruch von Lavendel stieg mir in die Nase, als ich Dr. Nasters Sprechzimmer betrat. Der Muskelkater des letzten Trainings saß mir noch immer in den Knochen. Ich steckte gerade mitten in der Prüfungsphase und im Gegensatz zu vermutlich jedem anderen Studenten meines Jahrgangs, war ich erleichtert über all den Stress, den diese mit sich brachte. Er lenkte mich von der Leere in mir ab. Denn je mehr ich zu tun hatte, desto weniger Zeit hatte ich nachzudenken.
An ihn zu denken.
Mir seine Augen oder sein Lächeln vorzustellen, aus Angst sein Anblick würde in meinen Gedanken irgendwann verblassen.
Oder an den Trümmerhaufen Nates und meiner Freundschaft.
Seufzend ließ ich mich auf den Stuhl gegenüber von Dr. Nasters Schreibtisch sinken.
Meine Freunde versuchten mir das Leben so leicht wie möglich zu machen.
Wenn ich nicht gerade etwas mit Mina und Eddi unternahm, gesellten sich Elias und Maja zu mir. Sie sorgten dafür, dass ich fast nie allein war.
Anfangs hatte sich ihre ständige Begleitung nach Kontrolle angefühlt, doch mittlerweile war ich unendlich dankbar für all das.
Dank meinen Therpiesitzungen mit Dr. Naster hatte ich erkannt, dass sie einfach nur für mich da sein wollten. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte ich das auch bitter nötig.
Als ich den kritischen Blick der Psychiaterin auffing, verkrampfte sich sofort jeder Muskel in meinem Körper.
"Hallo, schön das du da bist Emma."
Ich schenkte ihr ein schwaches Lächeln.
In den letzten Therapiestunden hatte Dr. Naster nur ein Thema:
Ich musste lernen meinen Blick auf das, was ich noch hatte zu richten, anstatt dem hinterher zu trauern, was sowieso für immer verloren war.
Ich wusste, dass sie recht hatte, doch das machte es nicht einfacher.
Sofort setzte das altbekannte Stechen in meiner Brust ein.
Es war immer so, wenn ich den Gedanken zuließ. Es fühlte sich nach Verrat an, denn wenn der Schmerz schwächer werden würde, würde auch sein Vermächtnis immer mehr schwinden.
Mein inneres Leid hielt Alex am Leben und ich war nicht in der Lage loszulassen.
Noch nicht.
Vielleicht auch nie.
Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch um mein inneres Chaos unter Kontrolle zu bringen.
Dann konzentrierte ich mich wieder ganz auf Dr. Naster.
Ich erzählte ihr von meiner Woche, den Prüfungen, dem Schusstraining und meinen Freunden.
Ich berichtete von der anhaltenden Kontaktpause zwischen Nate und mir, von den Telefonaten mit Rosi und schließlich konnte ich auch das Alex-Thema nicht mehr weiter hinauszögern.
Dr. Naster kritzelte hastig etwas auf den kleinen Notizblock in ihrer Hand, ehe sie ihren Blick wieder auf mich richtete.
"Emma, ich habe über unsere letzten Sitzungen nachgedacht. Und eine Frage will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen."
Sie nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse, ehe sie fortfuhr:
"Alex und du habt ab einem gewissen Zeitpunkt eine sehr besondere Verbindung miteinander geteilt. Du hast ihm schlagartig sehr viel Vertrauen geschenkt. Und ich frage mich: Was hat euch emotional auf diese Ebene gebracht? Gab es da einen bestimmten Moment? Es ist wichtig, dass du darüber sprichst. Über die besonderen Momente zwischen euch beiden, meine ich. Sonst wird es dir nie gelingen nach vorn zu sehen."
Auf einen Schlag wurde meine Kehle staubtrocken und ich musste mich mehrfach räuspern um meine Stimme wiederzufinden.
Verdammt. Diese Frage hatte mich kalt erwischt.
Es war eine süße Qual in Gedanken zu den besonderen Momenten zwischen Alex und mir zurück zu gehen.
Vermutlich verbrachte ich sogar mehr Zeit damit, als mir gut tat.
Da gab es wirklich diesen einen Augenblick, den ich noch nie mit jemandem geteilt hatte.
Das war der Moment in dem Alex mir gesagt hatte, dass wir beide seltene Genträger waren.
Von diesem Zeitpunkt an hatte ich eine tiefere Verbinung zu ihm gespürt.
Ich hatte begonnen ihm bedingungslos zu vertrauen.
Alex hatte damals mehr in mir gesehen, als jeder andere.
Er hatte mich beschützt und gleichzeitig versucht mich dabei zu unterstützen meine Träume zu verwirklichen.
Er war der Einzige, der es wusste und der es verstanden hatte.
Denn er war genauso, wie ich.
Ich hatte es keiner anderen Menschenseele anvertraut, egal wie schwer es auch gewesen war... doch jetzt, da er nicht mehr bei mir war...
Es war immer unser Geheimnis gewesen. Vielleicht war es wirklich an der Zeit mit jemandem darüber zu sprechen.
Dr. Naster hielt mich vermutlich sowieso schon für durchgeknallt, außerdem war sie meine Therapeutin und dürfte es allein aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht niemandem erzählen.
Ich spielte nervös am Bund meines T-Shirts herum, während ich mich dazu zwang mit dem Sprechen zu beginnen:
"Da gab es diesen einen Moment zwischen uns. Ich habe nie jemandem davon erzählt, weil Alex damals meinte es könnte gefährlich für mich sein, wenn diese Information an die falschen Leute gerät. Er bat mich für ein 4-Augen Gespräch länger zu bleiben, da er Ergebnisse eines Bluttests hatte, der in der Uni gemacht wurde. Alex erzählte mir, dass ich Dank meines Genpols besondere Fähigkeiten hätte. Nur wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts davon."
Ich sah so etwas, wie Erkenntnis in den Augen meiner Psychiaterin aufblitzen, doch es war genauso schnell wieder verschwunden, wie es kam.
Mein Puls raste.
Die Erinnerungen an diesen Nachmittag bohrten sich, wie Dolche in mein Herz.
Nachdem ich mir ein paar Sekunden Zeit genommen hatte um meine Fassung wieder zu erlangen, fuhr ich leise fort:
"Er erklärte mir alles und obwohl sich das alles total verrückt anhörte, gab er mir ein Gefühl von Sicherheit. Ich wusste einfach, dass er mich damit nicht allein lassen würde. Ab diesem Moment war ich mir sicher, dass er ein guter Mensch ist und dass ich ihm zu 100% vertrauen kann. Ich glaube da hat alles begonnen. Die körperliche Anziehung zwischen uns war schon immer da gewesen, doch dass er in Wahrheit innerlich noch 1000 mal schöner war, habe ich in diesem Augenblick gemerkt.
Es war besonders. Er war besonders. Ich fühlte mich nicht, wie ein Freak, sondern einzigartig und wunderbar, wenn er mich ansah. Alex verstand mich, obwohl er mich damals noch nichtmal richtig kannte."
Meine Stimme brach und ich blinzelte hastig die Tränen weg, welche sich in meinem Augenwinkel gesammelt hatten.
Dr. Naster musterte mich für ein paar Sekunden mit einer Intensität, die ich zuvor noch nie bei ihr erlebt hatte. Am Liebsten wäre ich von diesem schrecklich unbequemen Stuhl gesprungen und herumgelaufen um ihrem bohrenden Blick zu entgehen.
Als sie sich schließlich wieder auf ihren Block konzentrierte, atmete ich erleichtert auf.
Dr. Naster machte sich ein paar Notizen, ehe sie sich wieder mir zuwandt.
"Vielen Dank für dein Vertrauen Emma. Ich glaube heute hast du dadurch einen großen Sprung nach vorn geschafft. Es war sicherlich nicht leicht darüber zu reden. Du kannst sehr stolz auf dich sein. Wie fühlst du dich jetzt?"
Das warme Lächeln, was ihre Lippen umspielte, ließ das Gewicht auf meinen Schultern leichter werden.
"Ich fühle mich ein bisschen verunsichert, aber auch erleichtert."
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Genetic
Teen FictionEmma Haydn hat einen Traum: Sie will unbedingt das berüchtigte Polizeistudium der Sonderklasse absolvieren. Auf ihrem Weg an die Spitze darf sie sich nicht ablenken lassen - schon gar nicht von ihrem neuen, unverschämt attraktiven Einsatzleiter. Un...