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Ich wälzte mich hin und her, zwang mich ruhig zu atmen und machte mir schließlich sogar eine geführte Meditation auf Youtube an, die angeblich dabei helfen sollte einzuschlafen. Pustekuchen! Sobald ich meine Augen schloss waren da diese riesigen Zweifel, die mich einfach nicht in Ruhe lassen wollten. Egal wie viele imaginäre Schäfchen ich auch zählte, meine Gedanken kreisten immer wieder um Alex und Nate. Mittlerweile war es schon 04:20 Uhr und an Entspannung war nicht zu denken. Ich hatte mich dazu entschieden Alex zu verlieren. Seitdem war mein Leben leer und mein Herz stumm. 
Hätte ich diese Entscheidung nicht getroffen, dann wäre meine Beziehung zu Nate früher oder später zerbrochen. 
Ein Leben ohne ihn war unvorstellbar, und dennoch konnte ich das Gefühl einen Fehler gemacht zu haben, nicht abschütteln. War die Beziehung zu Nate falsch? Nein. 
Ich schüttelte so aprubt den Kopf, dass mir für einen Augenblick schwindelig wurde. 
Doch es half nichts. Die Frage hatte sich bereits in meinen Kopf gebrannt. 

Auf einmal fühlte ich mich tonnenschwer. Die Antwort durfte nicht "Ja" sein.
Das würde bedeuten, dass ich Nate so sehr verletzen müsste, dass er mich vermutlich für immer aus seinem Leben streichen würde. Das könnte ich nicht ertragen. Wir beide - für immer. Und dennoch fühlte ich mich unglücklich und leer. 

In zwei Stunden würde mein Wecker klingeln. An Schlaf war jetzt sowieso nicht mehr zu denken. Ich musste hier raus. Hastig schlüpfte ich in meine Jogginghose und zog einen von Elias' Hoodies über. Auf Zehenspitzen schlich ich mich zur Haustür. Die Luft war angenehm kühl. Bis auf das Zirpen einiger einsamer Grillen, war nichts zu hören. 
Seufzend ließ ich mich auf die Treppenstufen vor unserem Haus sinken und fischte mein Handy aus der Hosentasche. 
Bevor ich überhaupt wusste, was ich damit tuen wollte, hatte ich bereits wie automatisch Rosis Nummer gewählt. 

Nur wenige Freizeichen später nahm meine beste Freundin ab.
"Hast du endlich deinen Brief aus Hogwarts bekommen? Oder ist eine Zombieapokalypse ausgebrochen? Wurdest du von einer radioaktiven Spinne gebissen? Es ist mitten in der Nacht! Warum zur Hölle rufst du mich um diese unchristliche Zeit an?" Ihre Stimme war noch rau vom Schlaf und triefte nur so vor Ironie. 
Ups, das hätte ich vielleicht bedenken sollen. Na ja, jetzt war sie eh wach und ich brauchte dringend jemanden zum Reden, sonst würde ich noch platzen. 
"Sorry, ehrlich gesagt kann ich nicht schlafen. Die Sache mit Alex und Nate geht mir einfach nicht aus dem Kopf.", erwiderte ich und versuchte dabei so reumütig, wie möglich zu klingen.

Rosi seufzte. "Nicht dein Ernst. Und da kannst du nicht ein paar Stunden warten bis du mich anrufst? Und warum denkst du immer noch darüber nach? Ich dachte das sei geklärt. Alex ist nicht mehr da und du führst eine glückliche Beziehung mit Nate. Ende Gelände. Ich sehe da kein Problem."
"So einfach ist das aber nicht.", protestierte ich. "Ich fühle mich schrecklich seit dem Gespräch mit Alex. Ich dachte, dass da nichts zwischen mir und ihm ist, aber was wenn ich mich irre? Diese dummen Zweifel wollen einfach nicht weggehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich es für mich war ihn gehen zu lassen. Und ja, es ist toll mit Nate, aber irgendwie... ich bin einfach nicht zu 100% glücklich.
Ich habe eine Scheißpanik, dass ich mich falsch entschieden habe. Ich liebe Nate, aber was wenn wir einfach nicht füreinander als Partner, sondern doch nur als Freunde gemacht sind? Was wenn alles ein riesiger, blöder Fehler war? Vielleicht empfinde ich doch mehr für Alex, als ich wahrhaben möchte.
Andererseits kann ich die Beziehung zu Nate nicht beenden. Ich kann ihn auf keinen Fall verlieren. Das geht einfach nicht. Rosi..." Ich seufzte kraftlos. "Ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Und deshalb kann ich auch nicht schlafen. Es macht mich fertig."

All das endlich auszusprechen fühlte sich unglaublich befreiend und beängstigend zugleich an.
Nach ein paar Sekunden Stille hörte ich ein Rascheln, gefolgt von Kaugeräuschen. 
"Sag mal, isst du jetzt etwa?", fragte ich ungläubig. 
"Was? Es ist halb 5 nachts und du kommst mir mit sowas um die Ecke. Ich brauche Nervennahrung um klar denken zu können."
"Du kaust so laut, dass ich gleich einen Gehörsturz kriege. Sind das Chips?"
"Pringels Ketchup Flavor, wenn du es genau wissen willst.", präzisierte meine beste Freundin.
"Aber wollen wir jetzt über meine Snacks oder dein Problem reden?"
Ergeben seufzte ich. "Sorry, du hast recht." 

"Also, da mein Gehirn jetzt wieder genug Energie hat, kommt mir direkt eine mega gute Idee. Du hast Alex abgeschossen, kommst aber nicht von ihm los. Jetzt bist du nicht glücklich mit Nate, möchtest ihn aber verständlicherweise nicht verlieren. Du musst also herausfinden ob die Beziehung mit Nate wirklich das Richtige ist. Dafür musst du erstmal alle Kräfte mobilisieren und in die Beziehung stecken. 
Vielleicht blockiert dich nur das schlechte Gewissen gegenüber Alex. Das können wir nicht wissen. Du musst dringend mit Nate mal da rauskommen. Wie wäre es, wenn du einen Wochenendausflug planst. Macht irgendetwas richtig Cooles zusammen, an einem Ort, der nur euch gehört, wo keine Erinnerungen mit Alex verknüpft sind.
Ihr könntet zum Beispiel nach Bristol fahren. Dort soll es echt schön sein."

"Du bist ein Genie. Vielleicht bekomme ich so auch endlich Alex aus meinem Kopf und kann mich wieder voll und ganz auf meine Beziehung konzentrieren. Wenn ich könnte würde ich dich jetzt abknutschen." 
Dieser Ausflug würde endlich Gewissheit bringen. Angst und Freude kämpften in meinem Inneren, doch schließlich empfand ich vor allem Hoffnung.
Es konnte immer noch alles gut werden.
"Ne, lass mal. Spar dir deine Küsse lieber für dein Wochenende mit Nate auf.", erwiderte Rosi schnurpsend. "Aber freut mich, dass ich dir helfen konnte. Kann ich jetzt wieder schlafen gehen?"
"Klar, vielen Dank. Ich hab dich lieb. Schlaf gut."
"Danke du Verrückte. Hab dich auch lieb. Ich rufe dich morgen Abend noch mal an. Dann können wir die coolsten Attraktionen heraussuchen." 
Noch ein letztes Gähnen, dann hatte meine beste Freundin aufgelegt. 

Den Rest der Nacht verbrachte ich damit verschiedenste Unterkünfte in Bristol zu durchforsten. Als mein Wecker klingelte, hatte ich bereits das perfekte Hotel für Nate und mich gefunden. 

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