Es war mehr Klebeband mit Geschenkpapier, als Geschenkpapier mit Klebeband. Bei meinem Talent hätte ich das Fotoalbum einfach unverpackt lassen sollen. Seufzend ließ ich die blaue Schande auf meinem Schreibtisch liegen und wandte mich zu meinem Kleiderschrank um etwas Passables für den Abend zu finden. Je länger meine Hände über die Kleider glitten, desto mehr versank ich in Gedanken.
Wie so oft in den letzten Tagen tauchte ein verstrubbelter, blonder Haarschopf vor meinem inneren Auge auf. Alex würde auch kommen. Ein dumpfes Kribbeln nistete sich in meinen Bauch, was ich gekonnt ignorierte. Das ist so falsch! Es sollte mir egal sein. Es MUSSTE mir egal sein. Die letzten Wochen hatte er kaum ein Wort mit mir gewechselt. Er hatte mich weder zu neuen Einsätzen mitgenommen, noch hatte er mich in unseren gemeinsamen Unterrichtseinheiten nur eines Blickes gewürdigt. Ich sollte froh darüber sein, doch das verräterische Stechen in meinem Herzen rüttelte immer fester an meiner feinsäuberlich aufgesetzten Fassade.
Ich war vergeben an den vermutlich besten Menschen, den dieser Planet zu bieten hatte. Nate machte mich glücklich. Und ich blöde Kuh dachte an seinen Bruder. Das schlechte Gewissen setzte sich, als tonnenschwere Last auf meine Schultern. Wie schrecklich konnte ich mich denn noch benehmen? Am liebsten hätte ich mir selbst eine gescheuert. Mit aller Kraft verdrängte ich jeden Gedanken an Alex in den hintersten Winkel meines Verstandes. Ich durfte nur eine Person im Kopf haben und das ist Nate.
Wir waren seit fast einem Monat zusammen und es war schön. Er kannte mich besser, als jeder andere. Es war leicht mit ihm. Das weiße Spitzenkleid wanderte wie von selbst in meine Hand. Das Kleid, was ich an hatte, als er mir das erste Mal gesagt hatte, dass er mich liebt. Vielleicht war das genau die richtige Wahl für seine Geburtstagsparty.
Als ich an seiner Tür klingelte war es bereits dunkel und gedämpfte Musik schallte aus dem Haus. Nate öffnete die Tür und zog mich in eine innige Umarmung ehe er mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen drückte. "Alles Gute zum Geburtstag!", rief ich eine Spur zu laut. "Danke. Schön, dass du da bist.", sagte er lächelnd. Seine Augen wanderten über meinen Körper und die Emotionen, die darin aufblitzten ließen keine Zweifel, dass er sich genau an das letzte Mal erinnern konnte, als ich dieses Kleid getragen hatte. "Klar, den Geburtstagkuchen kann ich mir doch nicht entgehen lassen.", erwiderte ich neckend.
Im Haus befanden sich bereits dutzende Leute, die tranken, lachten und tanzten. Als ich mein Geschenk auf den dafür vorgesehenen Tisch stellte, entdeckte ich Alex. Zwei junge Frauen standen bei ihm und kicherten aufgeregt. Die Fassade bröckelte. Als hätte er meine Anwesenheit gespürt, drehte er sich auf einmal zu mir. Doch ehe sein Blick sich in meinen bohren konnte, wandt ich mich ab und tauchte in die Menge ein. Ich wollte auf keinen Fall darüber nachdenken, was ich fühlte. Verdrängung. Das war das Zauberwort. Irgendwann würde das Chaos in mir einfach verschwinden. Das musste es.
Wenige Minuten später fand ich Elias und Maja auf der Tanzfläche. "Heeey Emma! Komm, tanz mit uns!" Blonde Locken wirbelten durch die Luft und ehe ich mich versah hatten Maja und mein Bruder einen Kreis mit mir gebildet. Die ersten Klänge von TNT ertönten aus den Lautsprechern um uns. "Ihr wisst, was das heißt." Ein Blick zu den beiden Turteltauben genügte um zu wissen, dass keine weiteren Worte nötig waren. Elias spielte Luftgitarre, wie kein anderer, während seine Freundin und ich leidenschaftlich den Headbanging-Part übernahmen. Viele Songs später spürte ich einen Kuss in meinem Nacken. Ein angenehmer Schauer kroch über meine Wirbelsäule.
"Na du." Lächelnd drehte ich mich zu Nate. Seine braunen Augen strahlten eine Wärme aus, die mir kurz den Atem verschlug. Ich hatte ihn so unendlich lieb. Die Angst, dass die Sache zwischen uns nicht funktionieren würde hatte mich bereits viele schlaflose Nächte gekostet. Ich würde ihn verlieren. Das dürfte niemals passieren. Niemals. Er bedeutete mir so viel, dass Worte es nicht annährend beschreiben konnten. Elias gab ein unnatürlich hohes Quietschen von sich. "Aww, süß!" Zufrieden knuffte er mir in die Wange. Die ersten Tage nachdem mein Bruder erfahren hatte, dass wir zusammen sind hatte er so oft "Ich hab's dir ja gleich gesagt" oder "Ich wusste es von Anfang an." gesagt, dass er eigentlich mittlerweile heiser sein müsste.
Anstatt Elias zu antworten verdrehte ich nur meine Augen. Wenn er eins konnte, dann nerven.
"Habt ihr Lust 7 Minuten im Himmel mitzuspielen?", fragte Nate unvermittelt. Verunsichert sah ich ihn an. "Meinst du echt, dass das eine gute Idee ist?" Dieses Spiel brach jedesmal mindestens ein Herz. Wenn die Nacht möglichst ohne Dramen vorübergehen sollte war das vermutlich nicht der beste Vorschlag. "Ach komm schon, sei keine Spaßbremse. Ich bin sowas von dabei.", mischte sich Elias ein und auch Maja nickte begeistert. Na toll. Ich war wohl überstimmt. "Hier gibt es absolut kein Dramapotential. Keine Sorge." Nate schien meine Gedanken gelesen zu haben. Was seine Einschätzung betraf war ich mir jedoch nicht so sicher.
Seufzend gab ich nach und folgte meinen Freunden eine Etage höher. Die anderen Mitspieler hatten sich bereits in einen Kreis gesetzt. Zu meinem Bedauern konnte ich in der gedämpften Beleuchtung ebenfalls einen blonden Haarschopf ausmachen. Na klasse. Auch das noch. Die beiden Mädels von vorhin hatten sich links und rechts von ihm platziert und konnten sich augenscheinlich nur sehr schwer zusammenreißen nicht gleich über Alex herzufallen. Meine Laune sank augenblicklich in den negativen Bereich.
"Setz dich neben mich." Nates Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich folgte schweigend seiner Aufforderung. Sofort spürte ich Alex' brennenden Blick auf meiner Haut. Oh Gott. Das konnte ja lustig werden.
Ein dunkelhaariges Mädchen, was ich nicht kannte ergriff nun das Wort. "Also nur nochmal kurz zu den Spielregeln: Wir drehen die Flasche jeweils zwei Mal und die beiden Personen auf die sie zeigt werden für 7 Minuten in einen Schrank gesperrt. Dabei ist es egal ob es Junge und Mädchen, zwei Jungs oder zwei Mädchen erwischt. Danach müsst ihr uns sagen, was ihr da drin gemacht habt." Der perverse Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. "Ich drehe als Erste." Mit einem hellen Klirren wirbelte die Flasche über den Boden. Sie wurde immer träger und träger bis sie schließlich zum Stillstand kam. "Das Geburtstagskind höchstpersönlich!" rief das Mädchen kichernd. Ergeben gab Nate nun der Flasche einen Schubs bis die Öffnung schließlich an Elias Platz hängen blieb. Einige klatschten begeistert in die Hände. "Ab in den Schrank mit euch!",grölte Maja.
"Mach dir keine Sorgen Schatz. Ich versuche meine Hände bei mir zu behalten.", erwiderte Elias neckisch und bekam daraufhin die herausgestreckte Zunge seiner Freundin zu Gesicht.
Eine Runde nach der anderen verging, die verrücktesten Konstellationen kamen zu Stande. Manche knutschten, andere führten interessante Gespräche oder schwiegen sich einfach an, bis die Flasche schließlich auf mich zeigte. "Emma!" Na toll. Wenig begeisterte drehte ich erneut an ihr. Bitte einfach nicht Alex. Ich spürte seinen bohrenden Blick auf mir, doch wagte es nicht in seine Richtung zu sehen. Ein leises Klirren, dann kam die Flasche zum Erliegen. "Nate!" Ein perverses "uuuhhh" ging durch die Runde. "Na dann viel Spaß euch beiden!", sagte der Typ neben mir. Mittlerweile brannte Alex' Blick wie Feuer auf meiner Haut. "Den werden wir haben." Lächelnd zog Nate mich auf die Beine und keine Minute später standen wir dicht aneinander gedrängt und umringt von Klamotten in der Dunkelheit.
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Genetic
Teen FictionEmma Haydn hat einen Traum: Sie will unbedingt das berüchtigte Polizeistudium der Sonderklasse absolvieren. Auf ihrem Weg an die Spitze darf sie sich nicht ablenken lassen - schon gar nicht von ihrem neuen, unverschämt attraktiven Einsatzleiter. Un...