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2 Stunden. 120 Minuten. 7200 Sekunden. Ich hätte in dieser Zeit nicht einmal ansatzweise Titanic zu Ende gucken können. Jedes Telefonat mit meiner besten Freundin dauerte länger. Vermutlich hätte ich in 120 Minuten nicht einmal einen Kuchen backen können. Wie sollte ich dann mit nur 2 Stunden Schlaf einsatzfähig für die Beschattung eines mutmaßlichen Terroristen sein? 

Richtig! Gar nicht!
Die letzte Nacht hatte nicht nur einen brummenden Kopf und dunkle Augenringe, sondern auch ein verwirrtes Herz zurückgelassen. Nate und ich - die besten Freunde, die man sich nur vorstellen konnte - hatten sich geküsst. Und es hatte mir gefallen. Wir waren gestern Hand in Hand zu meinem Haus gelaufen. Nach mehreren Abschiedsküssen und mit viel Überredungskunst hatte ich es geschafft Nate davon zu überzeugen, dass es mir gut genug ginge um jetzt allein zu sein. So glücklich, wie gestern hatte ich ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Der Gedanke ließ eine angenehme Wärme in mir aufsteigen. 

Waren wir jetzt offiziell zusammen? Ich hatte ihm gesagt, dass ich es mit ihm versuchen möchte. Doch was bedeutete das genau?

Stöhnend massierte ich meine Schläfe. Warum musste dieser verdammte Einsatz gerade heute sein? Das letzte Mal hatten Alex und ich uns noch auf eine Art geküsst, die mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte und jetzt war ich vermutlich mit seinem Bruder zusammen. Ich musste Alex dringend aus meinen Gedanken verbannen. Es fühlte sich so an, als hätten sich seit meiner Aufnahmeprüfung kleine, grüne Kobolde in mein Leben geschlichen, die jedliche Struktur in Chaos verwandelten. Falls es einen Gott gibt, der uns beobachtet, lacht er sich bestimmt gerade schlapp, während er sein heiliges Wolkenpopcorn mampft.

3 geleerte Kaffeetassen später schwang ich mich auf mein Fahrrad und fuhr zum vereinbarten Treffpunkt. Dieses Mal wartete Alex bereits auf mich. 

"Guten Morgen. Wir lösen die Kollegen gleich ab. Sie haben mir gerade ihren Standort zugeschickt.", sagte Alex, sobald ich vor ihm stand. Wenige Minuten später stiegen wir in ein kleines, graues Auto. Ich sollte ernsthaft mehrere Stunden auf so beengtem Raum mit Alex verbringen? Na klasse. Seufzend ließ ich mich in den Sitz sinken und schloss die Tür. Wie auf Knopfdruck breitete sich eine elektrisierende Spannung im Wagen aus, die mein Herz zum Rasen brachte. Ich war am Arsch. Angespannt spähte ich aus dem Fenster. 

"Wo ist der Mann, den wir beobachten sollen?", fragte ich möglichst neutral und sah zu meinem Trainer. Dieser deutete auf die andere Straßenseite. Nach genauerem Hinsehen entdeckte ich einen schlacksigen, großen Mann. Seine strähnigen, schwarzen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht und leichte Schweißflecken zeichneten sich, trotz der eher kühlen Außentemperaturen, auf seiner Kleidung ab. 

"Und jetzt sitzen wir hier einfach und warten?" In Filmen wirkten Beschattungen sehr viel spannender. Alex nickte, während sein typisches Herzensbrecherlächeln sein Gesicht erhellte und meinen Bauch aufgeregt kribbeln ließ. Verdammt, das musste aufhören. Aprubt wandte ich den Blick ab. Das war nicht richtig. Ich durfte nicht so fühlen. Scheiße, einfach an Nate denken. Ob es irgendein Gegenmittel gegen zu hohe Hormonaktivität gab? 

Ein Räuspern riss mich aus den Gedanken. "Emma, es tut mir leid." Hä?  Was meinte er? Der warme Audruck in Alex' Augen stand im Widerspruch zu seiner Entschuldigung. Das Blau spiegelte weder Bedauern noch Reue. Irgendetwas schlummerte darin, was unmöglich zu deuten war. "Ich habe dich geküsst. Das war nicht richtig.", fügte er hinzu als er meinen verwirrten Blick bemerkte. Oh Gott, ich hatte innerlich gehofft, dass wir den Kuss einfach für immer totschweigen würden. Ich war zu müde für ein Gespräch dieser Art. "Schon okay. Das kann ja mal passieren.", erwiderte ich schulterzuckend. 

"Sollte es allerdings nicht.", ergänzte mein Gegenüber. Da ich keine Ahnung hatte, was ich darauf antworten sollte schwieg ich. Die angespannte Energie zwischen uns schien von Minute zu Minute immer stärker zu werden. Unsere Zielperson machte nichts Verdächtiges und je mehr Zeit verstrich, desto schwerer fiel mir das Atmen in diesem verflucht kleinen Auto. 

Irgendwann hielt ich die Hitze nicht mehr aus und beschloss meinen Hoodie auszuziehen. Glücklicherweise hatte ich mich heute Morgen dazu entschieden ein T-shirt darunter zu tragen. Der sehr begrenzte Platz im Wagen führte dazu, dass ich versehentlich mehrfach gegen Alex stieß, bis dieser mir schließlich half mich von meinem Pullover zu befreien. Heute war definitiv nicht mein Tag. "Sorry", lachte ich nachdem wir mich endlich aus dem Hoodie gepellt hatten.

Der plözlich so intensive Blick aus den blauen Augen meines Gegenübers traf mich unvorbereitet. Warum waren wir uns plötzlich so nah? Verdammt, ich hätte meinen Scheißpullover einfach anbehalten sollen. Ich kannte den Blick mit dem Alex mich ansah. Das sonst so helle Blau hatte sich verdunkelt und jede Leichtigkeit war aus seinen Augen gewichen. Mein Herz geriet aus dem Takt, als er mir langsam näher kam. 

Die Nilpferde in meinem Bauch tanzten Cha-Cha-Cha. Meine innere Stimme schrie mich dieses Mal so laut an, dass ich sie nicht ignorieren konnte. "Denk an Nate! Das geht nicht! Stop!"

Ich spürte Alex' warmen Atem bereits auf meiner Haut. "Halt.", stieß ich atemlos hervor. Er sah mich noch immer auf eine Art und Weise an, die mich in meinen Träumen verfolgen würde. 

"Das geht nicht. Ich bin mit Nate zusammen."






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