Kapitel 4

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Emma

Meine Hände zittert immer noch, als ich mich zu Hause in mein Bett lege und die Decke über mich ziehe. Ich kann nicht verhindern, dass ich erneut zu weinen beginne, da der Morgen einfach zu viel für mich gewesen war und ich versuche verzweifelt, die letzten Stunden aus meinem Gedächtnis zu verdrängen, doch es gelingt mir einfach nicht. Denn ich kämpfe immer noch gegen all die Gefühle an, die heute über mich hereingebrochen sind und von denen ich dachte, dass ich sie nach dieser einen Nacht nie wieder spüren würde. 

Denn als Liam heute morgen auf einmal neben mir stand und meinen Namen sagte, erweckte seine Stimme wieder etwas in mir. Ein Kribbeln, dass ich seit unserem letzten Gespräch nicht mehr gespürt hatte und ein Verlangen danach, mich in seine Arme zu schmiegen, so wie ich es schon tausende Male getan hatte. Ein Verlangen, dass mich so sehr erschreckte, sodass es meinen Körper erstarren ließ. Meinen Körper dazu brachte, wieder eine schützende Mauer um mich herum zu errichten und das Gefühl in die hinterste Ecke zu verdrängen. Wieder nur diese Leere in mir zurück zu lassen, die ich seit Monaten in mir trage und die mich vor weiterem Schmerz schützen soll. Dem Schmerz, wieder berührt zu werden. Denn ich weiß, dass ich keine Berührung ertragen kann. Nicht einmal seine. Doch all meine Mauern hatten Liam nicht abhalten können, mich zu berühren. Diese schrecklichen Erinnerung in mir hervorzurufen, sodass ich meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Ein Kratzen an meiner Tür reißt mich aus meinen Gedanken und ich zwinge mich aus meinem Bett, um die Tür öffnen zu können. Ich lasse meinen Border Collie Bandit rein, der sich sofort eng an mich schmiegt, weshalb ich ihm sanft über sein Fell streichle. Ich mich schließlich neben ihn setze, um ihn in den Arm nehmen zu können, da er der Einzige ist, dessen Berührung ich ertragen kann. 

,,Er wollte unbedingt zu dir", erscheint die Stimme meiner Mom, die mich aufmunternd anlächelt und sich mir gegenüber setzt. ,,Er merkt immer, wenn es dir nicht gut geht." 

Sie beginnt ebenfalls, Bandit zu streicheln und mich dabei aber besorgt anzusehen.

,,Erzählst du mir, was passiert ist, Liebling?", fragt sie mich vorsichtig und ich seufze niedergeschlagen. Denn ich bereue,  heute so ausgerastet zu sein und den Großteil des ersten Schultages verpasst zu haben. Dass meine Mom früher von der Arbeit gehen musste, um mich abzuholen und mich schließlich aufgelöst und zitternd in der Nähe der Schule vorgefunden hatte. Keine Erklärung bekam, da ich außer Stande gewesen war zu sprechen.

,,Nichts, worüber du dir Sorgen machen musst", versuche ich sie zu beruhigen und ein Lächeln zustande zu bringen. ,, Ein neuer Schüler hat mich ausversehen berührt und ich habe überreagiert. Tut mir leid, dass du mich abholen und dir Sorgen machen musstet."

Ich sehe sie schuldbewusst an, doch sie lächelt nur erleichtert.

,, Aber dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen", muntert sie mich auf, denn sie weiß, wie ich auf Berührungen reagiere. Sie kann mich selbst seit einem Jahr nicht mehr berühren und ich merke jeden Tag, wie viel Kraft es sie kostet. Wie sehr es sie belastet, dass sie mich nicht mehr in den Arm nehmen kann. Gerade in solchen Momenten, wenn eine Mutter ihre Tochter in den Arm nehmen sollte.

,, Möchtest du, dass ich bei Dr. Turner anrufe?", fragt sie mich schließlich mit einem aufmunternden Lächeln, doch ich schüttele bestimmend den Kopf. Denn Dr. Turner war für eine kurze Zeit mein Psychiater gewesen aber die Therapie hatte so viel Geld gekostet, weshalb ich sie bereits nach einem Monat abgebrochen hatte. Denn seit mein Dad vor drei Jahren an Krebs gestorben ist, muss meine Mom für alles alleine aufkommen. Macht haufenweise Überstunden in der Klinik, um uns irgendwie durchzubringen und die Krankenhausrechnungen meines Vaters abzubezahlen.  Daher wollte ich ihr die Therapie nicht länger zumuten und hatte sie damals in dem Glauben gelassen, dass mir die Therapie nichts brachte und ich aufhören wollte. Sonst hätte sie weiterhin darauf bestanden, dass ich hingehe.

I need you to save meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt