Kapitel 27

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Liam

Ich sehe direkt in den Lauf der Pistole und bin mir ziemlich sicher, jetzt sterben zu müssen, weshalb ich mich vor Angst einfach nicht mehr rühren kann.

Doch als die Pistole plötzlich seine Richtung ändert und mitten in eine rennende Schülermenge hineinzielt, werde ich aus meiner Starre gerissen und reiße Emma neben mir zu Boden. Ich lege mich schützend auf sie, um sie vor all den Schüssen abzuschirmen zu können, die nun über unsere Köpfe hinweg fegen.

Qualvolle Schreie hallen durch den Raum und ich löse mich keine sekundelang von Emma. Denn ich darf sie einfach nicht loslassen auch wenn meine Berührung ihre Angst wahrscheinlich gerade mehr als verstärkt, da ich das heftige Zittern ihres Körpers spüren kann.

Als die Schüsse für einen kurzen Moment verstummen, flüsterte ich Emma zu, dass sie zu den Schreibtischen rennen und sich unter ihnen verstecken soll. Denn wir müssen hier weg, da wir dem Amokläufer  hilflos ausgeliefert sind, der nur wenige Meter hinter uns steht und gerade seine Waffe nachlädt.

Emma folgt meiner Bitte, da sie es schafft, sich aus ihrer Starre zu lösen und mit mir gemeinsam in Richtung der Schreibtische loszurennen, unter denen sich bereits einige unserer Mitschüler ängstlich verstecken.

Doch wir erreichen die Schreibtische nicht mehr rechtzeitig, bevor weitere Schüsse abgefeuert werden. Ich muss mit ansehen, wie Emma vor meinen Augen getroffen wird und schreie ihren Namen, als sie vor mir zusammenbricht. Ich werfe mich sofort neben sie, um sie vor weiteren Kugeln abzuschirmen und habe das Gefühl, in einen tiefen Abgrund zu fallen, als ich das viele Blut bemerke, dass die linke Seite ihres T-Shirts durchtränkt.

Das darf nicht passieren. Nicht hier, nicht so, schießt es mir immer wieder panisch durch den Kopf, während ich versuche, die Blutung mit meinen Händen zu stoppen und nehme die Schüsse und die Schreie um uns herum gar nicht mehr wahr, da ich mich nur auf Emma konzentriere, die blass neben mir liegt und vor Schmerzen gequält ein und ausatmet.

,,Es wird alles gut, Emma", verspreche ich ihr, doch meine Stimme zittert, da ich Angst habe, sie zu verlieren.

Als die Schüsse plötzlich verstummen, höre ich eilige Schritte, die sich entfernen, weshalb ich glaube, dass der Amokläufer die Bibliothek verlassen haben muss. Dadurch höre ich nun das leise Wimmern meine Mitschüler, die sich in der Bibliothek verstecken und ich schaffe es einfach nicht, mich im Raum umzusehen, da ich den Anblick vermutlich nicht ertragen könnte. Meine Sorge gilt derzeit auch nur Emma, die ihre Hand auf meine legt, da ich noch immer versuche, ihre Blutung zu stoppen.

,,Du musst dich verstecken", bittet sie mich mit schwacher Stimme, doch ich schüttle bestimmend den Kopf.

,,Ich werde dich auf keinen Fall alleine lassen", widerspreche ich ihr mit fester Stimme, da ich lieber sterben würde, als sie hier zurückzulassen.

,,Liam bitte", versucht sie es verzweifelt, doch ich lasse mich nicht umstimmen.

In diesem Moment hallen wieder Schüsse durch den Raum, doch sie scheinen diesmal aus dem Flur zu kommen. Die qualvollen Schreie meiner Mitschüler, die in den Fluren gerade um ihr Leben kämpfen, rauben mir den Atem, da ich das Grauen, das sich hier abspielt, einfach nicht in Worte fassen kann. Ich würde ihnen so gerne helfen, doch ich weiß einfach nicht wie, weshalb ich mich gerade so nutzlos fühle. Ich denke in diesem Moment an Nick und an Sarah, die irgendwo da draußen sein müssen, wodurch ich vor Angst um die Beiden kaum noch gerade aus denken kann.

Ich versuche diese Angst jedoch zu verdrängen, da ich mich auf Emma konzentrieren muss, die immer mehr Blut verliert. Ich ziehe daher meine Jeansjacke aus, damit ich sie um Emmas Oberkörper spannen und damit die Blutung besser stoppen kann. Sie verzieht schmerzverzehrt das Gesicht und sie so leiden zu sehen, bringt mich beinahe um den Verstand, da die Qualen, die sie aufgrund der Schmerzen und meiner Berührung gerade durchleiden muss, unerträglich sein müssen.

Plötzlich beginnen Emmas Augen zu flackern, weshalb ich nun komplett den Verstand verliere und ihr Gesicht in meine Hände nehme.

,,Emma! Du bleibst wach, hörst du mich! Schau mich an!", schreie ich sie panisch an, woraufhin sie es schafft, mich anzusehen. Doch mein Herz versagt in meiner Brust, als ich sehe, dass kaum noch Leben in ihren Augen steckt.

Emma möchte etwas sagen, doch sie ist einfach zu schwach, weshalb kein Wort ihre Lippen verlässt.

,,Ich bring dich hier raus", verspreche ich ihr nun aufgelöst und meine das auch vollkommen ernst. Denn ich werde keine Minute länger hier verweilen, während sie in meinen Armen verblutet, weshalb ich sie jetzt einfach hier raus bringen und durch den Flur bringen muss, in dem noch immer Schüsse fallen.

Daher zögere ich nicht länger, nehme sie in meine Arme und trage sie mit schnellen Schritten aus der Bibliothek.

,,Bitte halte durch Emma", bitte ich sie  verzweifelt, als ihr Körper in meinen Armen erschlafft und ich mit ihr den Eingang der Bibliothek erreiche.

Doch ich werde zum Stehen gebracht, als er mir den Weg versperrt und die Waffe wieder mit zitterndern Händen direkt auf mich richtet.

Ich sehe nun in die Augen des Jungen, den ich wochenlang versucht hatte zu beschützen.

I need you to save meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt