Emma
Nach dem Unterricht treffen Liam und ich uns zum ersten Mal in der Bibliothek, um mit dem Projekt zu beginnen.
Wir müssen ein Referat über den Holocaust vorbereiten, dass etwa eine komplette Schulstunde füllen und alles wichtige wiedergeben soll. Ich hatte in den vergangenen Jahren bereits mehrere Dokumentation über dieses Thema gesehen und kenne mich daher schon etwas aus. Es ist ein sehr trauriges Thema und ich weiß jetzt schon, dass es mich daher wieder sehr mitnehmen wird. Denn es ist einfach schrecklich, zu welch grausamen Taten die Menschen fähig sind. Doch mehr beunruhigt mich die Tatsache, dass ich das Projekt mit Liam vorbereiten muss. Mit dem Jungen, der mir nach all der Zeit noch immer sehr viel bedeutet und dessen Anwesenheit mich in eine leichte Panik versetzt, da ich mich nach seiner Nähe sehne aber diese auch gleichzeitig nicht zulassen darf. Denn ich weiß genau, dass eine Berührung von ihm all die Schmerzen zurückbringen würde, die ich in dieser einen Nacht durchleben musste. Die ich seit Monaten versuche zu verdrängen, damit diese nicht wieder die Kontrolle über meinen Körper erhalten, da ich sonst endgültig zerbrechen und nur noch Scherben von mir übrig bleiben würden.
Daher atme ich noch einmal ermutigend ein und aus, um diese Panik zu verträngen, während mein Blick auf Liam fällt, der an einem Computer in der Bibliothek sitzt und bereits eifrig recherchiert. Er hat mich noch nicht bemerkt und sieht dadurch nicht, wie ich meine Unterlagen an meinen Körper presse und versuche gegen diese Panik anzukämpfen.
Schließlich schaffe ich es, mich von meiner Starre zu lösen und auf Liam zuzugehen. Als ich nur noch einen Meter von ihm entfernt stehe, scheint er mich zu bemerken, denn er wendet seinen Blick vom Bildschirm ab und mir zu. Ein Lächeln erscheint auf seinen Lippen und ich schaffe es, dieses Lächeln zu erwidern, denn ich habe diesem noch nie widerstehen können. Seit der ersten Klasse hat er es immer geschafft, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, egal wie schlecht es mir auch ging. Selbst nachdem mein Vater gestorben war und ich tagelang nur geweint hatte, war er die ganze Zeit für mich da gewesen und hatte mir trotz der vielen Tränen ein Lächeln entlocken können.
,,Hi", begrüße ich ihn zaghaft und streiche mir eine Strähne hinters Ohr, so wie es immer mache, wenn ich nervös bin. ,, Du scheinst dich ja schon sehr mit dem Thema zu beschäftigen."
Er nickt ertappt und deutet mit dem Kopf auf den Stuhl neben sich, den er scheinbar etwas mehr nach rechts gerückt haben muss, da die Stühle hier eigentlich näher beieinander stehen.
,,Möchtest du dich setzen?", fragt er mich zögerlich, während er mich noch immer anlächelt. ,,Ich kann aber auch stehen, wenn dir das lieber ist. Das macht mir nix aus", bietet er mir freundlich an, doch ich möchte nicht, dass er stundenlang stehen muss, weshalb ich meinen inneren Schweinehund überwinde und mich neben ihm setze.
,,Schon okay", versichere ich ihm, während ich meine Sachen vor mir ausbreite. ,, Es ist genug Platz."
Dennoch bin ich mir seiner Nähe deutlich bewusst und spüre dadurch mein Herz heftig gegen meine Brust schlagen, so als ob es mir beinahe aus der Brust springen würde. Ich kann nicht zuordnen, ob dieses Gefühl aus meiner Panik entwächst oder etwas anderes bedeutet.
,,Okay", antwortet er mir verlegen und überrascht.,,Aber bitte sag mir, wenn es dir zu viel wird. Dann stehe ich auf."
Ich lächele ihn dankbar an und gebe ein ,Okay' zurück, bevor wir uns schließlich einen Bericht im Internet durchlesen und ich die wichtigsten Dinge aufschreibe. Wir wissen schließlich beide aus Erfahrung, dass man Liams Schrift kaum lesen kann.
Zwei Stunden beschäftigen wir uns mit mehreren Berichten und Artikel, während es mir bei den Bildern immer eiskalt den Rücken runter läuft. Die Qualen der Menschen sind den Bildern deutlich anzusehen und ich kämpfe immer wieder mit den Tränen. Als wir uns gegen Ende noch eine kurze Dokumentation ansehen, kann ich diese nicht mehr länger zurückhalten und sehe, dass auch Liam diese Dokumentation sehr nahe geht.
,,Schrecklich, was damals passiert ist", bricht er schließlich das Schweigen, als die Dokumentation zu Ende ist.
,,Ja. Das ist es", antworte ich auf seine Aussage und wische mir dabei eine Träne von der Wange. ,,Hoffentlich passiert so etwas nie wieder."
,,Ja. Hoffentlich", beendet Liam das Thema, bevor er wieder ein Lächeln versucht und mich ansieht. ,, Wir sollten langsam mal nach Hause gehen. Es ist schon 18 Uhr", versucht er das Ganze für heute zu beenden und ich nicke zustimmend. Ich hatte bereits drei Seiten vollgeschrieben und glaube, dass wir bereits einige Tage vor dem Abgabetermin in drei Wochen fertig sein werden. Wir packen unsere Sachen zusammen und als wir uns erheben, stehen wir uns nun unbeholfen gegenüber.
,,Na dann", versucht er sich verlegen von mir zu verabschieden, während er wieder ein Lächeln auf den Lippen hat. ,,Da haben wir heute eine Menge geschafft. Soll ich dich vielleicht nach Hause fahren?", bietet er mir schließlich zögerlich an, doch ich lehne ab.
,,Das brauchst du nicht", antworte ich ihm. ,,Denn meine Mom holt mich gleich ab. Aber danke."
Auch ich bringe wieder ein kurzes Lächeln zustande, bevor wir gemeinsam die Bibiliothek verlassen. Doch auf dem Gang werde ich ungewollt von der Vergangenheit eingeholt, da Nick und Sarah sich vor ihren Spinden gegenüber stehen und er gerade ihre Hand in seine nimmt, da sie vollkommen aufgelöst zu sein scheint und er sie zu trösten versucht. Doch der Anblick zerreißt mein Herz dennoch in tausend Stücke, da sich wieder diese Erinnerung vor meinen Augen abspielt, weshalb erste Tränen mir die Sicht vernebeln.
,,Alles okay?", kann ich Liams besorgte Stimme neben mir hören. Er folgt meinen Blick und nun scheint auch Nick uns wahrzunehmen, wodurch er erschrocken seine Hand von Sarahs löst. Sein Blick ist nun schuldbewusst auf mich gerichtet.
,,Emma. Was ist los?", versucht Liam immer noch besorgt zu mir durchzudringen, doch ich nehme ihn kaum noch wahr. Bin zu sehr in meinen Erinnerungen versunken und weiß, dass ich hier schnellstmöglich weg muss. Eile daher Richtung Ausgang und versuche gleichzeitig, diese Erinnerungen zu verdrängen, doch es gelingt mir einfach nicht. Sie spielen sich immer wieder vor meinen Augen ab.
,,Emma. Bitte sag mir, was los ist", höre ich Liam verzweifelt hinter mir her rufen, während er versucht, mich einzuholen.
,,Lass mich bitte in Ruhe", bitte ich ihn mit brüchiger Stimme, als ich mich noch einmal zu ihm umdrehe. Sehe ihn besorgt wenige Meter vor mir stehen bleiben, weshalb ich nun aus der Schule laufe und auf dem Parkplatz den Wagen meiner Mom erkenne, weshalb ich sofort auf diesen zurenne.
Erst im Wagen kann ich meinen Gefühlen und den Tränen freien Lauf lassen.
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I need you to save me
RomanceJede Berührung schmerzt. Diese Erfahrung muss die 17 Jährige Emma jeden Tag durchleben, nachdem sie nach einer Party vergewaltigt und beinahe ermodert wird. Auch ein Jahr später ist der Täter noch immer nicht gefasst, weshalb sie in ständiger Angst...