Kapitel 55

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Nick

Ich komme mir ziemlich Fehl am Platz vor, als ich von zwei Wärtern durch das Gefängnis geführt werde und dabei einen Anzug trage.

Doch ich habe mir fest vorgenommen, es heute vor dem Abschlussball endlich hinter mich zu bringen und meinem Bruder ein letztes Mal gegenüberzutreten.

Ich lasse mich daher von den Wärtern in einem Raum führen, in dem ich mich vor eine Scheibe setzen und meinen Bruder sehen kann.

Sehe dadurch zum ersten Mal seit Monaten wieder in das Gesicht meines Bruders, der sich gerade ebenfalls auf den gegenüberliegenden Stuhl setzt, sodass uns nur noch diese dünne Scheibe voneinander trennt.

Ich schaffe es schließlich, den Hörer in meine Hand zu nehmen, um noch einmal mit ihm reden zu können.

Auch er nimmt den Hörer in die Hand, doch sein Blick ist dabei mehr als abweisend. Er scheint keinerlei Interesse zu haben, mich noch einmal sprechen zu wollen, doch das ist mir scheiß egal. Denn ich muss jetzt all die Dinge loswerden, die ich ihm noch an den Kopf werfen möchte, um endlich mit diesem Thema abzuschließen zu können.

,,Was verschafft mir die Ehre deines Anblicks", begrüßt er mich gelangweilt und sieht mich dabei direkt an.

,,Ehre ist das Letzte, was du verdient hast", gifte ich ihn an und umschließe den Hörer mit festen Griff, um meine Wut besser kontrollieren zu können.

,,Ach. Kommen wir direkt zur Sache", gibt Luke immer noch gelangweilt von sich. ,,Schieß los, kleiner Bruder. Ich bin bereit für deine bestimmt lange einstudierte Predigt."

Ich atme tief durch, um all den Hass und den Zorn nicht über meine Worte bestimmen zu lassen.

,,Ich wollte dir mitteilen, dass dein Plan gescheitert ist. Denn Liam ist am Leben und ihm geht es gut. Du hast ihn mir nicht weggenommen."

Doch Luke zuckt nur lässig mit den Schultern und wendet den Blick nicht von mir ab.

,,Was die Übermittlung von Nachrichten angeht, bist du genauso schnell wie die Schneckenpost. Denn wie du inzwischen wissen solltest, bin ich aufgrund eines Mordes und eines zweifach versuchten Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Dass ich deinen geliebten Liam nicht getötet habe, ist mir daher schon bei meinem Urteil vor vier Wochen klar worden."

Ich versuche, ihn ebenfalls nicht aus den Augen zu lassen, um keine Schwäche zu zeigen.

,,Ich wollte dir nur noch einmal vor Augen halten, dass du gescheitert bist. Denn mit deinen Taten hast du Liam, Emma und mich nicht auseinander, sondern nur noch näher zusammen gebracht", werfe ich ihm jetzt an den Kopf und weiß, dass es der Wahrheit entspricht. Dass seine Taten unsere Freundschaft nur gestärkt haben und mir klar gemacht haben, dass ich immer noch eine Familie habe. Nämlich die Menschen, die ich mehr als alles andere auf dieser Welt liebe.

,,Ist das alles, was du mir sagen willst?", fragt Luke mich jetzt gereizt und ich schüttle kaum merkbar den Kopf.

,,Nein", kläre ich ihn auf und sehe ihn nun wieder direkt in die Augen. ,,Ich bin auch hier, weil ich mich zumindest für eine Sache bei dir entschuldigen muss. Nämlich dafür, dass ich dich vor einigen Jahren im Stich gelassen habe. Ich hätte weiterhin für dich da sein und dir ein guter Bruder sein müssen. Es tut mir leid, dass ich dir das Gefühl gegeben habe, für mich nicht mehr von Bedeutung zu sein, doch du bist mir immer wichtig gewesen. Ich habe dich geliebt und hätte mir ohne zu zögern eine Kugel für dich eingefangen. Wenn du einfach nur mit mir darüber gesprochen und dich nicht von mir abgewendet hättest, hätte alles wieder früher werden können. Doch mit deinen Taten hast du genau das erreichst, was du zu glauben dachtest. Du hast erreichst, dass ich dich abgrundtief gehasst habe und du mir inzwischen absolut gleichgültig geworden bist. Daher herzlichen Glückwunsch mein Bruder. Du wirst mich nie wieder sehen. Denn für mich bist du gestorben."

Mit diesen Worten lege ich einfach auf, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten und stehe auf. Wende mich von ihm ab, um ihn nie wieder ansehen zu müssen.

Ich verlasse daher mit eiligen Schritten den Raum und schließlich das Gefängnis, in dem mein Bruder des Rest seines Lebens verbringen wird.

In meinem Wagen stelle ich jedoch erleichtert fest, dass durch dieses Gespräch eine große Last von mir abgefallen ist und ich nun endlich mit der Vergangenheit abschließen kann.

I need you to save meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt