Das schrille Geräusch der Klingel riss Linda aus ihren Gedanken. Sie hatte gerade noch über einer Rede für die kommende Sitzungswoche gebrütet und hatte dabei wohl die Zeit vergessen. Schnell stand sie auf und schlängelte sich durch die Stapel an Kisten, die noch in ihrer neuen Wohnung in der Potsdamer Innenstadt standen.
Für heute Abend hatte sich ihre Freundin und Kollegin Gyde Jensen angekündigt. Die beiden hatten sich eine Weile nicht mehr gesehen und Gyde hatte angeboten, Linda beim auspacken zu helfen.
Linda betätigte erst den Türöffner und öffnete dann die Wohnungstür. Sogleich kamen ihr Schritte aus dem Treppenhaus entgegen. „Meine Güte", keuchte Gyde, als sie endlich im vierten Stock angekommen war. „Seit der Schwangerschaft fühle ich mich so unsportlich." Linda grinste und schloss ihre Kollegin in die Arme. „Schön, dass du da bist, komm rein!" Die jüngere Frau hob eine Augenbraue und musterte ihr Gegenüber. „Mensch, du hast dich ja richtig ins Zeug gelegt heute."
Linda sah an sich herunter. Sie trug eine Jogginghose und einen grauen, ausgewaschenen Pulli der Uni Potsdam. „Ich saß den ganzen Tag nur in der Küche oder im Arbeitszimmer, da brauche ich doch nicht so rumlaufen, als ob jede Sekunde der Bundeskanzler vor der Tür steht", maulte sie zurück, während sie Gyde die Jacke abnahm und diese aus Ermangelung einer Garderobe auf den nächstbesten Karton ablegte.
„Hier siehts vielleicht aus. Gut, dass ich jetzt endlich da bin und dir helfen kann", sagte Gyde und sah sich prüfend um. „Ich habe mir gedacht wir beginnen im Wohnzimmer. Willst du Wein?", fragte Linda und ihr Gast bejahte. Während sie zwei Weingläser und eine Flasche Weißwein aus der Küche holte, betrat Gyde das Wohnzimmer. Überall standen Kisten und leere Regale, die aber immerhin schon aufgebaut waren. „Nochmal was von Björn gehört?", fragte sie.
Linda schüttelte den Kopf, während sie den Wein eingoss. „Nein, aber ich schätze der ist immer noch sauer. Er hat das alles nicht kommen sehen." Gyde nahm den Wein dankend entgegen. „Um ehrlich zu sein habe ich das auch nicht erwartet", sagte sie. Linda nickte bedächtig. Dass sie vor rund zwei Wochen ihrem Mann die Affäre mit ihrer ehemaligen Fraktionskollegin Katja Suding gestanden hatte, wusste Gyde nicht. Genaugenommen wusste niemand von der Beziehung abgesehen von Christian Lindner, Björn und leider auch Alice Weidel.
„Es ging einfach so nicht mehr. Ich habe immer geglaubt, dass mein Leben mit Björn das ist, was ich privat wirklich möchte, aber schon vor dem Wahlkampf habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr unbedingt das Bedürfnis habe ihm nahe zu sein." Linda zuckte mit den Schultern. „Ich denke mal, irgendwann habe ich mich sozusagen entliebt und mir geht es mit der Entscheidung wirklich sehr gut."
Gyde Jensen erwiderte nichts. Sie widmete sich lieber dem ersten Karton, der halb ausgepackt auf Lindas Sofa stand. Einige Möbel hatte sie aus der Wohnung mit Björn mitgenommen, andere hatte sie neu gekauft. Das Sofa hatte bis vor kurzem in ihrem Arbeitszimmer in der gemeinsamen Wohnung gestanden. „Ach schau mal!", rief Gyde aus und hielt Linda einen Bilderrahmen entgegen. Darin befand sich ein Bild der FDP-Fraktion kurz nach dem Wiedereinzug in den Bundestag 2017.
„Da sieht Christian noch richtig wie ein Bubi aus", sagte sie und kicherte. Linda musste auch grinsen. Christian Lindner war wirklich um Jahre gealtert seit diesem Tag, auch wenn es ihm nicht schlecht stand. Auch sie öffnete einen Karton. Darin lagen Fotoalben, Bücher und einige Erinnerungsstücke aus ihrer Jugend.
Linda strich gerade gedankenverloren über den Ledereinband einer alten Bibel, die ihrer Großmutter gehört hatte, als sie hinter sich ein überraschtes Schnauben hörte.„Ich wusste gar nicht, dass es schon im Druck ist", sagte Gyde leise und Linda drehte sich langsam um. Sie konnte sich schon denken was genau Gyde da in die Hände gefallen war und ihre Verdacht bestätigte sich, als sie das Buch in den Händen ihrer Kollegin sah.
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Irgendwo in Berlin
FanfictionLindas Karriere scheint am Ende zu sein. Von Christian in die zweite Reihe der FDP gedrängt, sieht sie sich jetzt auch noch mit dem Ende ihrer Ehe konfrontiert. Neben politischen Intrigen, ihrer neuen Freundschaft zu einer linken Politikerin und ve...