3 - Freunde und Konkurrenten

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Linda sah in die ungläubigen Augen von Gyde. „Du hast Sahra Wagenknecht auf einen Kaffee eingeladen? In deinem Büro?", fragte ihre Kollegin zum nun bestimmt dritten Mal. „Sie stand weinend vor mir. Hätte ich das ignorieren sollen?" Die Situation in der vergangenen Woche hatte Linda noch einige Tage später verfolgt. Wagenknecht hatte ihr wirklich sehr leid getan und wenn man von der Weidel mal absah, dann hätte sie jeder Kollegin angeboten mit in ihr Büro zu kommen.

„Nein, ich verstehe dich schon. Trotzdem komisch", murmelte Gyde. „Und wie war es so? Ich meine Sahra Wagenknecht! Man kennt sie, man fürchtet sie, aber ich glaube, ich habe noch nie ein Wort mit dieser Person gewechselt." Linda lächelte. Eigentlich war das Gespräch sehr nett gewesen. Nachdem Sahra ihr kurz von ihren parteiinternen Problemen erzählt hatte, hatten die beiden Frauen über Sahras Leben im Saarland, Lindas Jugend in Brandenburg und das Studium gesprochen. Wagenknecht war eine angenehme Gesprächspartnerin, die vor allem auch gut zuhören konnte und sich nicht immer selbst in den Mittelpunkt schob. Einen Eigenschaft, die Linda der Linken gar nicht zugetraut hätte.

Seit Sahra ihr Büro an diesem Tag verlassen hatte, hatte sich die Stimmung zwischen den beiden Politikerinnen merklich verändert. Sahra grüßte Linda wann auch immer sie sich auf den Gängen begegneten und schenkte ihr meistens noch ein strahlendes Lächeln, welches man sonst kaum an ihr sah. Wenn Linda ehrlich war, dann hätte sie das Gespräch gerne wiederholt, doch sie wusste nicht ganz wie sie das anstellen sollte. Außerdem: Eine Freundschaft zwischen einer Abgeordneten der Linken und einer von der FDP? War das nicht vielleicht ein sehr kühner Traum?

Gerade als Linda Gyde antworten wollte, betrat Christian Dürr den Fraktionssaal, in welchem die beiden Frauen schon gewartet hatten. Es war Dienstagmorgen und zunächst stand eine Fraktionssitzung an. Linda hörte nur halb hin, als der Fraktionsvorsitzende die Anträge und Themen für die kommende Woche herunterratterte. Ihre Gedanken waren wieder zu Sahra Wagenknecht abgeglitten.

Linda hatte bis zu ihrem Gespräch geglaubt, dass Wagenknecht nicht einen Pfifferling darauf gab was andere Menschen von ihr dachten und sie keine Rücksicht auf ihre Umwelt nehmen würde, um ihre Ziele zu erreichen. Ganz so war es ja dann doch nicht, aber von Katja hatte auch jeder gedacht, dass sie durch und durch eine eiskalte Politikerin war. Man konnte eben doch nicht in die Köpfe der Menschen sehen.

Dass Wagenknecht trotz ihrer Gefühle und Zweifel ihre Sache durchzog fand Linda mehr als bewundernswert. Wieso konnte sie eigentlich nicht so sein? Warum musste ausgerechnet sie immer auf Nummer sicher gehen? Sahra hingegen tat sowohl politisch als auch privat einfach das was sie wollte. Niemand konnte Linda erzählen, dass es keinen Gegenwind gegeben hatte, als Sahra und Oskar Lafontaine geheiratet hatten. Die beiden hatten immerhin einen Altersunterschied von 26 Jahren. Von ihren politischhen Kontroversen mal ganz zu schweigen. Aber der Erfolg gab ihr recht. Sahra war Fraktionsvorsitzende der Linkspartei und Spitzenkandidatin gewesen. Seit Jahren war sie nicht wegzudenken aus der deutschen Politik. Ganz im Gegensatz zu Linda, die kein Risiko einging.

Christian Dürr hatte seinen Monolog beendet. Gyde kritzelte mit einem Bleistift in ihr Notizbuch und Marie-Agnes in der Reihe vor ihr, sah aus als ob sie eingenickt wäre. Zu Lindas Überraschung erhob sich nun Christian Lindner, der vorne neben Dürr saß und voller Vorfreude breit in die Runde grinste „Freunde, bevor wir alle in unseren Arbeitstag starten habe ich noch eine kleine Ankündigung zu machen", rief er mit dröhnender Stimme in die Runde. Marie-Agnes' Kopf zuckte hoch.

Was hatte er jetzt geplant? Reichte Finanzminister nicht? Würde Lindner sich als nächstes als Landesbischof bewerben?
„Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dazu entschlossen auf unserem kommenden Bundesparteitag nochmal als Vorsitzender der FDP zu kandidieren."

Linda klappte der Mund auf. Das war noch schlimmer als Landesbischof. Während einige Kollegen um sie herum zumindest höflich applaudierten, starrte sie Christian Lindner sprachlos an. Gyde warf ihr einen besorgten Blick zu. „Alles okay, Linda?", fragte sie. Linda fing sich kurz wieder und nickte. „Ja alles okay, mir ist nur eingefallen, dass ich in 10 Minuten einen Telefontermin habe. Wir sehen uns später beim essen", log Linda und sprang auf. In dem Durcheinander, das losbrach als ihre Kollegen Lindner viel Glück für die erneute Kandidatur wünschen wollten, fiel nicht auf, dass sie sich als eine der ersten aus dem Raum stahl.

Irgendwo in BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt