32 - Sackgasse

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Annalena starrte zum bestimmt hundertsten Mal seit sie die Nachricht bekommen hatte auf den Display ihres Handys.

Robääärt: Er weiß es.

Mit einem flauen Gefühl im Magen bog sie in den Gang zu Lindners Büro ein. Annalena war nicht leicht einzuschüchtern oder zu verunsichern und unter anderen Umständen wäre sie sicher nicht hier aufgetaucht, nur weil Christian Lindner sie einbestellte, allerdings fand sie, dass sie es Linda schuldig war. Sie würde sie nicht allein lassen.

Dort, vor der großen Holztür, stand diese bereits und bewegte stumm die Lippen. Ihren Augen waren geschlossen. Annalena war sich nicht sicher, ob sie sich selbst Mut zusprach oder betete. Sie wartete einige Sekunden ab, bevor sie auf die Liberale zutrat. "Linda, es tut mir so leid!", platze es sofort aus der Außenministerin heraus.

Linda sah überrascht auf. "Annalena? Was machst du denn hier?" Mit betretenem Blick wedelte Annalena mit ihrem Handy. "Christian hat mich gebeten herzukommen. Laut Robert ist er unfassbar sauer." Linda nickte langsam. "Gyde sagte auch er schäumt vor Wut. Verständlicherweise."

"Das ist alles auf meinem Mist gewachsen. Ich habe dich zu dieser bescheuerten Sache überredet, bitte-" Linda hob ihre Hand und sah Annalena fest an. "Es ist keine bescheuerte Sache. Und selbst wenn. Ich hätte ja nicht zustimmen müssen, oder? Wir schauen jetzt erstmal was genau er von uns will. Und dann sehen wir weiter." Die Außenministerin schluckte und nickte. Sie hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen.

Vor den beiden Frauen öffnete sich Christians Bürotür. Johannes Vogel trat heraus und schloss hinter sich die Tür. Er atmete tief durch und sah dann zwischen Annalena und Linda hin und her. "Viel Glück. So sauer habe ich ihn seit dem Absturz von Lehman Brothers nicht mehr erlebt", sagte er und wand sich ab, wobei er Lindas Schulter sanft tätschelte. Annalena sah Johannes ein wenig irritiert hinterher, denn so ganz konnte sie diese Aussage nicht einordnen. Linda vergrub währenddessen das Gesicht in den Händen.

Dann atmete sie tief durch. "Okay, reißen wir uns zusammen. An diesem Punkt können wir es sowieso nicht mehr beeinflussen." Annalena nickte und klopfte an Lindners Bürotür. Sie hätte schwören können, dass Linda hinter ihr etwas von Gottes Hand flüsterte.

Die Tür vor ihnen wurde aufgerissen und Christian Lindner, dessen Gesichtsfarbe seit Alice Weidels Besuch ein ungesundes dunkelrot angenommen hatte, stand im Türrahmen.
"Na wenn das nicht Deutschlands neues politisches Duo ist! Kommt rein, kommt rein! Darf ich euch was anbieten? Tee? Kaffee? Meinen Kopf auf einem Silbertablett?"

Annalena verdrehte die Augen und lehnte sich gegen den gläsernen Konferenztisch in Lindners Büro. Linda stand ein bisschen verloren neben ihr. "Also Lindner, wir sind vielbeschäftigte Frauen. Was möchtest du von uns?" Christian schnaubte wütend und nickte. "Ja viel beschäftigt damit mir meine Partei zu klauen. Ernsthaft Linda, wie konntest du das nach all dem, was wir beide zusammen durchgemacht haben tun?"

"Halt mal die Luft an, Christian, die ganze Sache war irgendwie meine Ide-" Doch weiter kam Annalena nicht, denn Linda rauschte an ihr vorbei und baute sich vor Christian auf. "Nach all dem was wir beide durchgemacht haben? Was wäre das denn? Sexistische Witze auf meine Kosten? Mein Rauswurf als Generalsekretärin? Dass du mir seit Jahren das Gefühl gibts, dass ich inkompetent bin? Dass du meine Beziehung zu Katja zerstört hast?" Kurz sah Christian überrascht aus, doch er war viel zu wütend auf Linda, als dass er sein Verhalten der letzten Jahre reflektiert hätte.

"Ach letzteres scheint dir ja nicht mehr zu sehr nachzuhängen, oder Linda? Wie man hört forschst du zum Thema Extremismus ja mittlerweile auch am lebenden Objekt." Linda starrte Christian mit offenem Mund an. Er wusste auch davon? Annalena hatte keine Ahnung was hier gerade vor sich ging. Auf der einen Seite war sie beeindruckt davon wie Linda dem FDP Chef die Stirn bot, auf der anderen war sie mittlerweile einfach nur verwirrt.

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