13 - Rosenkrieg

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Wie jeden Dienstag schritt sie lässig über den Linoliumboden des Hörsaals. Der modische graue Hosenanzug stand ihr ausgezeichnet und die dunklen, schulterlangen Haare glänzten im Licht der Leuchtstoffröhren über ihrem Kopf. Linda fuhr sich durch die kurzen blonden Haare und machte sich eine Randnotiz in ihrem vorher ausgearbeiteten Skript.

Selten hatte sie zu einer Person derart aufgeblickt wie zu Prof. Dr. Monika Wallenstein, Professorin für Bürgerliches Recht. Sie war Ende 40, anspruchsvoll und durchsetzungsstark. Das musste sie auch sein. Abgesehen von ihr gab es nur noch eine weitere weibliche Professorin an der Fakultät. Jeden Dienstag saß Linda ganz vorne in ihrer Vorlesung zum Familienrecht.

„Das erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts aus dem Jahr 1976 beinhaltet jedoch auch die Ablösung des Verschuldensprinzips durch das Zerüttungsprinzip", führte sie aus und setzte sich halb auf einen Tisch, der auf dem Podium stand. Jedes ihrer Worte untermalte sie mit schwungvollen Gesten ihrer langgliedrigen Finger.

„Wir fragen also nicht: Wer hat die Ehe zerstört und ist deshalb dem anderen Part unterhaltspflichtig, nein, wir sagen: Das Ende einer Ehe ist immer eine Tragödie. Dann verpflichten wir völlig unabhängig von den Gründen für die Trennung den wirtschaftlich starken Partner dazu den wirtschaftlich schwachen Partner zu alimentieren."

Erwartungsvoll schaute sie in die Runde. „Finden Sie das fair? Stellen Sie sich vor sie sind eine gut verdienende Anwältin und ihr Mann ist... ja, sagen wir er hat kein Einkommen. Ihr Mann betrügt Sie mit der Nachbarin. Diejenige, die ihm jetzt Unterhalt zahlen muss sind sie und sofern sie nichts anderes vereinbart haben, wird auch der Versorgungsausgleich vor allem zu ihren Lasten gehen."

Prof. Dr. Wallenstein lachte. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Abschaffung des Verschuldensprinzips war definitiv richtig und auch im Hinblick auf die anderen Änderungen durch das erste Reformgesetz ein Meilenstein der Emanzipation. Wieviele Frauen sind wohl bei einem gewalttätigen, lieblosen Ehemann geblieben, nur weil sie eine Scheidung wirtschaftlich komplett ruiniert hätte? Ich rate Ihnen dennoch eines: heiraten Sie NIE ohne Ehevertrag!"

Einige Studenten im Saal lachten. Linda, die wie gewöhnlich weit vorne in den Reihen saß lächelte bloß. Die Professorin schritt zurück zu ihrem Pult und Linda kam nicht umhin jede Ihrer Bewegungen genaustens zu verfolgen. Ihr Lächeln, ihre Augen, die Art wie sie sprach und ihre Eloquenz... Linda seufzte innerlich. Was würde sie dafür geben um eines Tages so zu sein wie diese Frau dort vorne.

Linda blinzelte und riss sich von dem Gedanken los. Damals war sie frisch mit Björn zusammen und Themen wie Scheidung, Eheverträge und Unterhalt so weit weg wie sie es nur sein konnten. Niemals hätte sie geahnt, dass sie selbst einmal einer Scheidung konfrontiert sein würde.

„Woran denkst du?", fragte Theresa Altmann, eine Studienfreundin von Linda, womit sie die Politikerin endgültig aus ihrer Gedankenwolke holte. Theresa war nicht nur eine alte Freundin, sie war auch Lindas Scheidungsanwältin. „Ob du's glaubst oder nicht, aber ich habe grade an Prof. Wallenstein gedacht." Theresa sah Linda ungläubig an. „Was willst du denn mit der alten Hexe? Lebt die überhaupt noch?"

Linda grinste. „So alt war sie damals noch nicht, aber auf die 70 geht sie mittlerweile zu, schätze ich. Ich habe damals Familienrecht bei ihr gehört." Theresa und Linda saßen in einem Konferenzraum in Theresas Kanzlei und warteten auf Björn und seinen Anwalt. Die Scheidung stand noch lange nicht an, aber man wollte heute zusammen den Ehevertrag auslegen und einige Zusatzpunkte klären.

„Stimmt ja, du warst ja so ein riesen Fan von ihr, das habe ich nie verstanden. Mann, ich glaube ansonsten konnte die keiner bei uns leiden", sagte Theresa und lachte leise. Rückblickend fragte Linda sich, ob ihre Präferenz für etwas ältere, dunkelhaarige Frauen wohl schon damals ihren Anfang genommen hatte.

Irgendwo in BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt