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Noch immer dröhnt mein Kopf von der Arbeit, weshalb ich mehrere Kopfschmerztabletten in einem Zug zu mir nehme. Es ist ungesund, klar, aber es interessiert mich sehr wenig wie der Fakt, dass ich kurz davor bin, mich auf den Boden übergeben zu müssen. Wie der Fakt, dass meine Gedanken so laut schreien, dass ich alle Kisten in meinem Kopf wegschmeißen würde.

Ich habe es schwer, nicht auf der Stelle einzuschlafen oder mich auf den Boden zu legen. Ich bin müde, aber irgendwie kann ich die Arten der Müdigkeit nicht besonders unterscheiden. Es gibt mehrere Arten und mehrere Bedeutungen, doch welche Art zu welcher Bedeutung gehört, weiß ich nicht. Ich glaube, die fünf für Interpretation im Deutschunterricht war demnach berechtigt.

Da ich noch nicht nach Hause möchte, beschließe ich kurzerhand, den Weg zu Rana anzustreben und bei ihr zu übernachten. Mit den letzten Schritten in Richtung ihres Wohnblockes überquere ich die Straße. Mich trennen nur noch einige Meter vom Gebäude, als ich abgefangen und aufgehalten werde.
„Aziza." Ich blicke verwundert zur Seite und finde Latif wieder. Wie er steht, mit seinem üblich schiefen Lächeln, den schwarzfunkelnden Augen und der Sporttasche um die Schulter geworfen.

Obwohl es Winter ist, trägt er keine Jacke, sondern lediglich nur einen waldgrünen Jogginganzug, der ihn vermutlich genau so wenig wie die schwarze Mütze auf seinem Kopf vor der Kälte schützt.
„Ach, du schon wieder." Ich strebe den Weg zur Eingangstür, indessen ich versuche, so unbekümmert wie möglich zu wirken, obwohl mir gerade tausende von Fragen durch den Kopf schwirren, die allesamt mit Was zur Hölle beginnen.
„Wie geht es dir, meine Hübsche?" Ich klingele an der Tür, ohne ihm zu antworten. Ich schenke ihm diese Genugtuung nämlich nicht.

„Danke, mir geht es auch gut." Beinahe hätte ich gelacht, aber auch nur beinahe, dies jedoch nicht vor Kalk, sondern weil ich müde bin, Schmerzen empfinde und verzweifelt bin. Vor allem wegen Letzterem.
„Ja?", ertönt es durch die Anlage und ich antworte mit einem einfachen Aziza, woraufhin mir die Tür elektronisch geöffnet wird.
„Gehst du zu Rana? Cool, ich muss auch hier hin. Also nicht zu Rana, sondern zu Ayman."
„Latif." Ich drehe mich zu ihm, als ich auf den Treppenstufen anhalte. Da ich ihm zwei Stufen voraus bin, muss ich den Kopf nicht in den Nacken legen und kann ihm ins Gesicht.

„Was willst du?"
„Nichts."
„Und warum nervst du?" Sein Lächeln wird breiter, was ich für fast unmöglich gehalten hätte. Er möchte gerade zum Sprechen ansetzen, da weicht das Lächeln aus seinem Gesicht und er dieses unangenehm verzieht. Die Stirn legt er in Falten.
„Warum riechst du nach Krankenhaus?" Es wundert mich, dass er das so schnell definieren konnte.

Ich hätte gerne gescherzt, dass mein Herz gebrochen ist und ich dort lag, um es zu heilen zu lassen, aber ich bin mir sicher, dass wir nicht denselben Humor teilen. Er wirkt aufgedrehter und lebensfroher. Ich erinnere mich daran, dass es eine Zeit gab, in der ich ebenso glücklich und sorgenlos war. Und heute? Heute häufen sich Sorgen über Sorgen und Probleme über Probleme.

„Weil ein Krankenhaus wohl danach riecht."
„Warum warst du im Krankenhaus?" Ich lasse seine Frage so stehen und steige die Treppen ignorant auf. „Ich rede mit dir."
„Und du nervst."
„Wenn du mir sagst, warum du nach Krankenhaus riechst, nerve ich nicht mehr."

Ich seufze ergeben und halte im zweiten Stock an, da höre ich schon Ranas Stimme meinen Namen rufen, die ich übergehe und mich stattdessen Latif widme.
„Geht es dir gut?", fragt er plötzlich, als er vor mir hält. In seinen Augen spiegelt sich Sorge. Kurz steht die Welt um mich herum still, weil ich mit vermutlich allem außer dieser Frage gerechnet hätte.

„Was?"
„Warum warst du im Krankenhaus? Ist alles gut?"
„Ich", setze ich an, doch stoppe mich von seiner Reaktion perplex selbst. „Ja, also, alles gut. Ich war arbeiten."
„Du arbeitest im Krankenhaus?"
„Gott", flüstere ich, als er beginnt, mir die nächsten Fragen an den Kopf zu schleudern.

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